Die Teilnahme von Alt-Bundesrat Ueli Maurer an Chinas Militärparade – er gehörte zu den Ehrengästen – hat für viel Kritik gesorgt. Westliche Staaten wohnten der Parade offiziell nicht bei.
China feierte das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Maurer verstand seinen Besuch als Zeichen des Respekts vor China, wie er gegenüber SRF sagte. Das Land habe die Schweiz nie drangsaliert, sondern immer unterstützt.
Nun hat sich der ehemalige Bundesrat erneut zu seiner Reise geäussert. In einem Gespräch mit der Weltwoche sagte Maurer: «Ich glaube, es war gut, dass ich für die Schweiz präsent war.» Es sei besser, China zum Freund zu haben als zum Feind.
Ebenfalls für Aufsehen sorgte Maurer mit folgendem Zitat: «China ist für mich inzwischen sicherer als die Schweiz.» Polit-Analyst Mark Balsiger schätzt Maurers Besuch und seine Aussagen ein.
Gibt es für Alt-Bundesräte Regeln, was ihre öffentlichen Auftritte betrifft?
Mark Balsiger: Nein, die gibt es nicht. Die meisten der abtretenden Mitglieder der Landesregierung halten sich jedoch an das Prinzip «servir et disparaître», also dienen und verschwinden.
Ueli Maurer offenbar nicht.
Korrekt. Es gibt einzelne Alt-Bundesräte, die der Verlockung einer Medienanfrage nicht widerstehen können oder sich mit Autorenbeiträgen oder anderen Aktivitäten ganz bewusst wieder ins Spiel bringen. Fakt ist, dass ehemalige Magistraten spannende Gesprächspartner sind, weil sie sehr viel erlebt und sich damit sehr viel Wissen angeeignet haben. Ueli Maurer spielt allerdings in einer eigenen Kategorie.
In welcher?
Er agiert einmal mehr in seiner Rolle als bewusster Provokateur, die hatte er als Bundesrat und auch schon als Parteipräsident der SVP. Diese Aussage meine ich nicht nur kritisch, es ist auch eine Begabung. Maurer ist ein Instinktpolitiker, ihm rutscht nicht einfach etwas heraus. Er platziert seine Botschaften jeweils ganz bewusst. Und er hat grosse Freude daran, verbal auszuteilen.
Maurer machte im Podcast der «Weltwoche» unter anderem folgende Aussagen: «China ist für mich inzwischen sicherer als die Schweiz» und «In einer grösseren chinesischen Stadt fühle ich mich sicherer als in gewissen Gebieten in Zürich oder in Lausanne.» Was halten Sie davon?
Es zeigt seine nach wie vor ungebrochene Lust, in ein Wespennest hineinzustechen. Es kann sein, dass in chinesischen Grossstädten die Kleinkriminalität kleiner ist als in Zürich, Lausanne oder Genf. Die Frage ist, zu welchem Preis. Spätestens bei dieser Frage kommt Ueli Maurer ins Schlingern, weil er immer betont hat, wie wichtig die Freiheiten des Individuums sind. Diese individuellen Freiheiten gibt es in China nicht, die kommunistische Partei regiert vollkommen autoritär. Wenn in einer chinesischen Grossstadt, anders als in der Schweiz, jeder Bürger dauerhaft überwacht wird, ist es naheliegend, dass die Kriminalität abnimmt. Ueli Maurer kommt in seiner Verteidigung immer nur in den ersten Schützengraben, im zweiten bleibt er stecken.
Hat sich Maurer vom chinesischen Regime instrumentalisieren lassen?
Zumindest wusste das chinesische Regime genau, wie es Ueli Maurer locken kann. Es hat ihn mit dieser Einladung als Ehrengast zur Militärparade in seiner Eitelkeit erwischt. Ein spannender Aspekt wäre es übrigens, herauszufinden, ob Maurer Reise und Aufenthalt selbst bezahlt hat.
Wollte Maurer mit seinen Aussagen ausschliesslich provozieren oder meint er sie in Teilen auch ernst?
Er ist für mich eine Sphinx. Obwohl ich Maurer seit 30 Jahren beobachte, kann ich ihn nicht lesen. Was Maurer sehr gut weiss und auch freimütig zugibt: Wenn er auffällt, bleibt die Kamera auf ihm. Er kennt die heutige Medienlogik sehr gut und spielt damit. Geschichten über Ueli Maurer klicken gut, weil er Ueli Maurer ist.
Schaden Maurers Aussagen der Schweiz?
Wir dürfen davon ausgehen, dass die meisten Staaten wissen, wer bei Chinas Militärparade zu Gast war. Dass Ueli Maurer dort neben Autokraten wie dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic, dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un oder Wladimir Putin stand, mag aus Schweizer Sicht befremdlich wirken. Viel mehr als die Schweizer Nachbarstaaten wissen aber nicht, ob Ueli Maurer ein aktiver oder ein ehemaliger Politiker ist. Hätte Maurer eine Rede gehalten, wäre es problematisch geworden. So war er ein geladener Gast unter vielen. Deswegen dürfte sich der Schaden für die Schweiz in Grenzen halten.
Kann Maurers Besuch der Schweiz sogar nützen?
Ich wüsste nicht, wie. Einen Geniestreich, wie es andere Beobachter bezeichnen, erkenne ich wahrlich nicht.
Schadet Maurer mit seinem Besuch und seinen Aussagen der SVP?
Nein. Für einen Grossteil der SVP-Wähler könnte fast alles passieren, die halten ihrer Partei die Treue. Maurers China-Besuch wird der SVP nicht ansatzweise schaden. Da lassen sich Parallelen zur Maga-Bewegung in den USA ziehen. Die meisten Anhänger von Donald Trump sind sich sehr bewusst, dass er lügt und die Demokratie destabilisiert. Sie finden dies jedoch richtig. Da kann passieren, was wolle, diese Trump-Wähler wenden sich nicht von ihm ab. Das gilt auch für die SVP.
Ist Maurer egal, was die Öffentlichkeit, was seine ehemaligen Bundesratskollegen von ihm denken?
Im Gegensatz zu den allermeisten anderen Schweizer Spitzenpolitikern hat Maurer tatsächlich eine dicke Haut. Er teilt aus, kann aber auch einstecken.
Damit kann ich mich einverstanden erklären.