Ganz Europa will diesen Drohnen-Killer aus Zürich – nur die Schweiz hat keine Eile
Vergangene Woche schreckte Russland die Nato auf: Mindestens 19 russische Angriffsdrohnen flogen teilweise hunderte Kilometer nach Polen hinein. Nur eine Handvoll konnte abgeschossen werden. Seitdem ist nicht nur für Russlands Machthaber Wladimir Putin, sondern für alle Welt offensichtlich: Es gibt massive Lücken in der Ostflanke der westlichen Verteidigungsallianz.
Das Gleiche gilt auch für die Schweiz. Verteidigungsminister Martin Pfister sagte gegenüber dieser Zeitung, die Armee habe derzeit keine Möglichkeiten, auf Drohnenattacken wie jene in Polen angemessen zu reagieren. Gegen Drohnen steht die Schweiz wehrlos da.
Dabei gäbe es eine Verteidigungswaffe, die man als «Drohnen-Killer» beschreiben kann. Sie wird in Zürich entwickelt und gefertigt.
Trefferquote 100 Prozent dank «Schrotwolke»
Der «Skyranger» der Firma Rheinmetall ist eines der im Moment begehrtesten Waffensysteme in Europa. Herzstück ist die 30-Millimeter «Oerlikon»-Kanone, benannt nach der althergebrachten Waffenschmiede «Oerlikon-Bührle» in Zürich, die seit 1999 zu Rheinmetall gehört.
Die sogenannte «Revolverkanone» wird von einem Hochleistungs-Radar gesteuert und kann bis zu 1250 Schuss pro Minute abfeuern. Die 35-Millimeter-Variante bringt es auf gut 1000 Schuss, wobei üblicherweise in 20er-Salven auf anfliegende Ziele gefeuert wird. Die «Airbust Munition» ist programmierbar. Das bedeutet, dass sie in unmittelbarer Nähe ihres Ziels explodiert und sich in ungefähr 150 Projektile zerteilt. Mit dieser «Schrotwolke» ist der Skyranger hocheffektiv. Rheinmetall-Chef Armin Papperger sagt, dass jedes dieser Systeme «ein Gebiet von vier mal vier Kilometer komplett drohnenfrei» halten könne. Trefferquote 100 Prozent also laut Hersteller.
Zudem ist der Skyranger hochmobil: Er kann auf etliche Plattformen montiert werden. Zum Beispiel auf einem Piranha- oder Boxer-Radpanzer.
Aktuell produziert Rheinmetall laut Papperger 70 bis 100 Exemplare pro Jahr und plant, die Produktion auf 200 Stück auszubauen. In Zürich will Rheinmetall die Mitarbeiterzahl verdoppeln und rund 600 neue Stellen schaffen.
Als erstes Land überhaupt wird die Ukraine noch dieses Jahr den Skyranger erhalten. Wegen des Kriegsmaterialgesetzes aber mutmasslich nicht aus Schweizer Produktion.
Die deutsche Bundeswehr hat erst einmal 19 Systeme mit der Option auf 30 weitere bestellt. Bis zum Jahresende rechnet Rheinmetall gar damit, dass Deutschland rund 600 Exemplare bestellen wird. Kosten des Grossauftrags: rund acht Milliarden Euro. Aber auch Österreich, Dänemark, Ungarn und die Niederlande haben Aufträge platziert. Polen soll nach der Drohnenattacke laut Medienberichten ebenfalls bei Rheinmetall angeklopft haben.
Schweiz: Kein Geld für schnellen Ersatz von veralteter Fliegerabwehr?
Und die Schweiz? Urs Loher, Chef des Bundesamts für Rüstung Armasuisse, sagte im Oktober vergangenen Jahres, dass man den Skyranger auch für die Schweiz ins Auge fasse. Allerdings dürfte eine Beschaffung erst ab 2030 spruchreif werden, so Loher. Das Problem: Wegen der Lieferfristen wird es locker noch einige Jahre dauern, bis der erste Skyranger den Schweizer Himmel überwacht. Wenn halb Europa heute bei Rheinmetall bestellt, muss sich die Schweiz 2030 ganz hinten in der Warteliste anstellen.
Müsste die Beschaffung deshalb nicht rascher vorangetrieben werden? Zumal die Schweiz heute bei der Drohnenabwehr blank dasteht, wie Verteidigungsminister Pfister selbst sagt?
Armasuisse verweist auf die Armee, welche für die Rüstungsplanung verantwortlich sei. Dort wiederum teilt ein Sprecher mit, dass die Armee «als Gesamtsystem» weiterentwickelt werde.
Das klingt bürokratisch, heisst bei der Boden-Luft-Verteidigung aber: zuerst die in den USA bestellten Patriot-Luftabwehrsysteme für grosse Reichweiten. Dann die im Rüstungsprogramm 2024 enthaltenen IRIS-T-Abwehrbatterien für Bedrohungen aus mittlerer Entfernung. Und bei der Abwehr für kurze Distanzen, also unter anderem Drohnen, ist eine Beschaffung ab 2032 geplant. Weil erst dann die aktuellen Systeme an ihr Nutzungsende kommen.
Nur: Sowohl die schultergestützten Stinger-Luftabwehrraketen als auch die aus den 1960er-Jahren stammende «M Flab» mit einer 35-Millimeter-Oerlikon-Zwillingskanone sind für die moderne Drohnenabwehr ungeeignet. Das räumt Verteidigungsminister Pfister selbst ein.
Pro Militia, die Vereinigung ehemaliger und eingeteilter Angehöriger der Schweizer Armee, fordert deshalb, dass man jetzt nachjustiert. Die Armee müsse umgehend die Mittel erhalten, um ein neues Luftabwehrsystem für kurze Distanzen zu beschaffen. Das habe das Beispiel Polen gezeigt. Pro Militia empfiehlt in einer Stellungnahme vom Dienstag explizit den Skyranger.
Dafür aber bräuchte es zusätzliches Geld. Deutschland zum Beispiel bezahlt bei einem Stückpreis von 30 Millionen Euro für seine ersten 19 Skyranger knapp 600 Millionen Euro.
Will die Schweiz sich das kurzfristig leisten? Die Antwort lautet: Wohl kaum. Am Mittwoch versenkte nach dem Nationalrat auch der Ständerat den Antrag für eine zusätzliche Milliarde Franken für die Armee. Die Befürworter wollten damit Munition für die Abwehr von Lenkwaffen beschaffen. Die Argumentation der Gegner lautete: Es wäre zwar nötig, aber die Finanzlage des Bundes lässt es nicht zu.