In den vergangenen Monaten waren die Gegner des EU-Vertragspakets medial viel stärker präsent als die Befürworter. Dass Aussenminister Ignazio Cassis seit über einem Jahr nicht über das Thema spricht, trug zu diesem Bild bei.
Jetzt hat der oberste Repräsentant der Kantone an der Universität Zürich ein flammendes Plädoyer für die Verträge mit Brüssel gehalten. Markus Dieth (Mitte) ist Aargauer Regierungspräsident, Finanzdirektor und Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. Er erinnerte daran, dass die Konferenz 1993, ein Jahr nach dem Nein zum EWR, ins Leben gerufen worden sei.
Dabei habe man erreichen wollen, dass die Kantone ihr Mitspracherecht in den Beziehungen zur Europäischen Union wahrnehmen könnten. Denn in der Bundesverfassung heisse es: «Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.»
Dieth betonte sodann, dass die Nachbarländer und die Europäische Union mit Abstand die wichtigsten Handelspartner der Schweiz seien und blieben. Allein das Handelsvolumen mit dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg sei höher als jenes mit Indien.
Nicht nur grosse internationale Konzerne, sondern auch innovative kleine und mittlere Unternehmen profitierten von einem ungehinderten Marktzugang in Europa. Eine Studie habe aufgezeigt, dass sieben der zehn europäischen Regionen, die am meisten vom Binnenmarkt profitierten, in der Schweiz lägen.
Mit der EU-Kommission hätten bisher mehr als 140 Verhandlungsrunden zum Vertragspaket stattgefunden, und die Kantone seien eng involviert. Dieth betonte, dass «die Verhandlungen aus Sicht der Kantone bisher insgesamt gut und, ich würde auch sagen, erfreulich verlaufen».
Wie kommt der oberste Kantonsvertreter zu diesem Urteil? Erstens regle der neue Paketansatz die institutionellen Fragen nicht in einem einzelnen Abkommen, sondern mit institutionellen Elementen in den verschiedenen Binnenmarktverträgen. Zweitens habe man die sogenannte Superguillotine eliminiert. Drittens seien neue Marktabkommen vorgesehen – bei Forschung, Gesundheit und Strom – was einen breiteren Ausgleich der Interessen ermögliche.
Regierungspräsident Dieth, der für die Mitte-Partei politisiert, widersprach schliesslich dem Argument, dass das Vertragspaket die Souveränität der Schweiz einschränke. Die demokratischen Rechte blieben auf allen Stufen gewahrt. Und: «Es wird keine fremden Richter geben.»
Im Streitfall entscheide nicht der Gerichtshof der Europäischen Union, sondern ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht. Es ziehe den Gerichtshof bei, wenn der Streit zwischen der Schweiz und der EU Fragen zum EU-Recht betreffe – und wenn die Auslegung des EU-Rechts für die Beurteilung des Streitfalls relevant sei. «Der Streit selbst wird aber immer vom Schiedsgericht beurteilt.» Sollte eine Partei das Urteil des Gerichts nicht befolgen, könne die andere Partei «verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen» ergreifen.
Dieth unterstrich, dass für die Kantone stabile, langfristig geregelte Beziehungen zu den Nachbarstaaten und zur EU von höchster Bedeutung seien. Er ging in seiner Ansprache aber auf zwei heikle Punkte nicht ein: Weder thematisierte Dieth die Forderung des Bundesrates nach einer konkretisierten Schutzklausel gegen hohe Zuwanderung noch bezog er Stellung bei der Frage, ob das Vertragspaket in einer Volksabstimmung von einer Mehrheit der Kantone angenommen werden sollte oder nicht.
Die Konferenz der Kantonsregierungen hatte sich in den vergangenen Jahren mehrmals für einen Vertragsabschluss mit Brüssel ausgesprochen. 2023 begrüsste die Konferenz einstimmig neue Verhandlungen mit der EU. Im Februar 2024 befürwortete das Gremium die Verhandlungsleitlinien des Bundesrates. Das geschah aber nicht mehr unisono: Der Kanton Schwyz war gegen die Stellungnahme, der Kanton Nidwalden enthielt sich der Stimme. (aargauerzeitung.ch)