Im Juli 1993 verschwand der Boss der sizilianischen Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro, von der Bildfläche. Er tauchte in seiner Heimatregion unter. Erst im Januar 2023 schafften es die italienische Polizei und Justiz, ihn ausfindig zu machen und in Palermo zu verhaften.
Versteckt und verschwunden bleiben weiterhin die Vermögenswerte in der Höhe von angeblich mehreren Milliarden Euro, die Messina Denaro im Lauf der Jahre zur Seite schaffen liess. Seit Jahren schon gibt es Anzeichen dafür, dass die Schweiz dabei eine wichtige Rolle gespielt haben muss, dass Gelder hier angelegt und gebunkert wurden und werden. Bis heute allerdings gelang es den Ermittlern nicht, den «Schatz» des Sizilianers aufzuspüren.
Ein halbes Jahr nach der Verhaftung von Messina Denaro nimmt die Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft von Palermo einen neuen Anlauf. Die Schweizer Bundesanwaltschaft bestätigt auf Anfrage Berichte, wonach dieses Jahr ein neues Rechtshilfeersuchen aus Palermo eingegangen und derzeit «im Vollzug» ist.
Bereits im Jahr 2015 sei ein erstes Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft von Palermo in der Sache Messina Denaro erledigt worden, so eine Sprecherin. Mehr will die Bundesanwaltschaft nicht verraten; sie hält einzig fest, dass sie «zurzeit keine Strafverfahren» in diesem Zusammenhang führe.
Das war 2014 anders. Damals eröffnete sie ein Strafverfahren gegen unbekannt wegen Geldwäscherei. Es ging insbesondere um den 1967 in Locarno geborenen Mafia-Boss Domenico Scimonelli, der für Messina Denaro Geld in der Schweiz angelegt haben soll. Das Strafverfahren wurde aber wenig später mangels Beweisen eingestellt.
Inzwischen fördern die andauernden Ermittlungen der italienischen Behörden allerdings immer mehr Verbindungen von Messina Denaro in die Schweiz zutage. Sie weisen auf ein solides Netz in unserem Land hin.
So stellte sich heraus, dass eine Wohnung in Campobello di Mazara, die Messina Denaro bis einige Monate vor seiner Verhaftung als Versteck benutzte, einem Ehepaar gehört, das seit Jahrzehnten in der Schweiz lebt: laut italienischen Berichten in Baden AG. Das Paar wurde in der Schweiz rechtshilfeweise befragt und konnte offenbar glaubhaft machen, dass es unschuldig ist. Dass es keine Ahnung hatte, wer der Mann war, der die Wohnung seit 2007 unter dem Namen Andrea Bonafede für 250 Euro monatlich gemietet hatte.
Die Wohnung war über Verwandte der Schweizer vermietet worden. Zweifelhaft ist für die Ermittler aber offenbar, ob diese Verwandten auch nicht wussten, wer der Mieter war.
Eine sehr enge Vertraute von Messina Denaro, laut Aufzeichnungen offenbar sogar seine Geliebte, stammt ursprünglich aus der Schweiz: Die Frau wurde 1975 in Schlieren ZH geboren. Sie und ihr Ehemann waren wichtige Helfer von Messina Denaro; sie ermöglichten es ihm, bis unmittelbar vor seiner Verhaftung unauffällig im Ort Campobello di Mazara zu leben. Das Paar sitzt mittlerweile in Haft. Phasenweise beherbergte es den Boss in seinem Haus und sorgte dafür, dass die Luft rein war, wenn er ein und aus ging. Der Frau wird auch vorgeworfen, sie habe für Messina Denaro «Schaltstelle» gespielt, damit dieser mit anderen Personen kommunizieren konnte, die ihm besonders nahestanden.
Die bei Zürich geborene Frau gehörte gewissermassen zu Messina Denaros Familie. Sie hatte einen Neffen von Leonardo Bonafede geheiratet, den langjährigen Boss von Campobello di Mazara. Bonafede, im Jahr 2020 mit 88 verstorben, galt als der engste Vertraute von Messina Denaro. Laut Zeugen vertrauten sich die zwei Bosse und ihre Familien bedingungslos.
Die italienischen Ermittler graben immer tiefer und wollen mehr über die Verbindungen in die Schweiz wissen. Das dürfte hierzulande nicht überall auf viel Freude stossen. Wer dieser Tage mit Schweizer Verwandten oder Bekannten aus dem Umfeld von Messina Denaro zu sprechen versucht, stösst auf eine Mauer des Schweigens: «Ich weiss nichts, ich sage nichts.»
Klar wird einmal mehr, dass die Omertà, das Schweigegebot der Mafia, auch bei uns gilt.
Eine andere, nie wirklich geklärte Spur führt nach Basel. Ein dort ansässiger Antikenhändler, gebürtiger Sizilianer, soll von Messina Denaros Vater Francesco, genannt Don Ciccio, mit massenhaft Altertümern beliefert worden sein, die Raubgräber in Sizilien gestohlen hatten. Matteo Messina Denaro habe, das sagten der Mafia-Killer Giovanni Brusca und weitere Zeugen, dieses Geschäft später übernommen. (aargauerzeitung.ch)