Am Freitag um 18 Uhr wird die Gazprom-Arena im russischen St.Petersburg zum Kochen gebracht. Dann schrillt der Anpfiff im EM-Viertelfinalspiel zwischen Spanien und der Schweiz über den Rasen, dann wird Schweizer Sportgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal seit 67 Jahren hat das Schweizer Fussballnationalteam an einem grossen Turnier den Viertelfinal erreicht.
Um die Nati vor Ort zu unterstützen, reisen hunderte Schweizer Fans für das Wochenende nach Russland. Die Party wird gross, emotional, feuchtfröhlich, unvergesslich. Der grosse Haken dabei: St.Petersburg ist Hotspot der Coronavirus-Variante Delta. Seit Wochen steigen in Russland die Ansteckungszahlen. Nirgends so rasant wie am Austragungsort des Viertelfinalspiels, eine 5-Millionen-Einwohner Metropole. In den letzten Tagen starben in St.Petersburg alle 24 Stunden mehr als 100 Personen.
Laut Medienberichten sind die Spitäler in St.Petersburg nahe vor dem Kollaps. Vor einigen Tagen sorgten Filmaufnahmen aus einem städtischen Krankenhaus für Entsetzen. Zu sehen sind Coronapatienten, die im Gang auf Matratzen liegen und nach Atem ringen. Der Mann, der das Video auf dem Messengerdienst Telegram verbreitete, schrieb, sein Bruder befände sich in diesem Spital. Diesem sei geraten worden, auf den Bauch zu liegen und tief ein- und auszuatmen.
Keine angenehmen Voraussetzungen für eine Reise dahin. Und doch hält es Schweizerinnen und Schweizer nicht davon ab, nach St.Petersburg zu reisen. 1500 Tickets sind für Nati-Fans in der Gazprom-Arena reserviert. Insgesamt dürfen 30'000 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion, das damit zu 50 Prozent ausgelastet wäre.
Auf dem Hin- und Rückflug, sowie im Fussballstadion gelten zwar Sicherheits- und Hygienemassnahmen. Doch in der Stadt haben Restaurant und Bars normal geöffnet. Masken trägt kaum jemand. Auf dem Konyushennaya Platz im Norden St.Petersburg befindet sich eine Fan-Zone, in der über tausend Personen ungehemmt und ohne Abstand feiern dürfen. Die ideale Ausgangslage für die Verbreitung von der Delta-Variante – die mit den Fans in die Schweiz eingeschleppt werden könnte.
Nicola Low, Epidemiologin an der Universität Bern, ist überrascht, dass es für die zurückkehrenden Fussballfans keine speziellen Auflagen geben soll. «Ich verstehe nicht, warum Russland nicht auf der Liste der Länder mit besorgniserregender Virusvariante steht. Obwohl die Delta-Variante auch in der Schweiz dominant wird, sollte es unser Ziel sein, zusätzliche neue Fälle zu verhindern.» Russland sollte im Sinne einer frühzeitigen Prävention dringend auf diese Liste und die Zurückkehrenden in der Schweiz in Quarantäne, findet Low.
Doch am Mittwoch erläuterte Gesundheitsminister Alain Berset, man habe überlegt, Russland auf die Liste zu nehmen, sich aber dagegen entschlossen. Für die Ein- und Ausreise müsse ein Coronatest vorgewiesen werden. Ausserdem sei die Delta-Variante in der Schweiz so oder so bereits präsent. Nicht-Geimpften empfiehlt Berset allerdings, nicht nach St.Petersburg zu reisen.
Doch gefährdet seien nicht nur ungeimpfte Personen, sagt Low. «Bei geimpften Personen ist das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes zwar sehr klein. Doch sie können trotzdem Träger des Virus sein und dieses weiterverbreiten.» In ihren Augen ist das Risiko einer Ansteckung vor Ort hoch. «Wir haben mit der Delta-Variante eine Virusmutation, die sich schneller verbreitet. Zudem wird in Russland wenig getestet und die Impfrate ist sehr tief. Das ist eine toxische Mischung.»
Die meisten Nati-Fans sind nur für eine kurze Zeit unterwegs. Die meisten kehren bereits am Wochenende in die Schweiz zurück. Das birgt laut Epidemiologin Low die Gefahr, dass die Fans während der Inkubationszeit, in der sie noch asymptomatisch sind, das Virus hier weiterverbreiten – ohne es zu merken. So geschehen bei 86 Finnland-Fans, die zur Unterstützung ihres Teams gegen Belgien am 21. Juni nach St.Petersburg gereist waren. Die Fälle wurden erst nach ihrer Rückkehr entdeckt.
Auch in anderen Städten können Sport-Events zu Pandemietreiber werden. Nach dem Spiel Schottland gegen England am 18. Juni im Wembley-Stadion in London kehrten 397 schottische Fussballfans mit dem Coronavirus infiziert in die Heimat zurück. Epidemiologin Low empfiehlt den Reisenden, bei der Rückkehr sehr vorsichtig zu sein und sich fünf bis sieben Tage nach der Rückkehr testen zu lassen. «Wir vermuten, dass die Symptome bei der Delta-Variante milder sein können. Wer leichte Erkältungssymptome hat, sollte sich sofort testen lassen.»
Jetzt sei wichtig, dass die Fallzahlen in der Schweiz tief bleiben. «Wir müssen die Ansteckungsrate den Sommer hindurch auf tiefem Niveau kontrolliert halten, damit wir gut aufgestellt sind für den Herbst», so Low. Die Expertinnen und Experten wie auch der Bundesrat gehen davon aus, dass es dann wieder zu mehr Übertragungen kommt.
Die Zahlen haben sich in Finnland seit der Rückkehr verdoppelt.
Aber nein hat natürlich nichts mit der EM zu tun, nein nein, das ist alles nur Panikmache.
Wer jetzt zum Spass in solche Gebiete reist ist schlicht Verantwortungslos.
Ach ja, falls es mich dann erwischt will ich natürlich die bestmögliche und teuerste Versorgung, egal wie fahrlässig ich mich verhalten habe."