Gut 60 Prozent aller Menschen in Israel sind geimpft. Die Quote steigt mittlerweile nur noch langsam an. Daher holt die Schweiz auf. Die Impfquote beider Länder dürfte bald auf einem ähnlichen Niveau sein. Ende Juni hat rund die Hälfte unserer Bevölkerung mindestens die erste Impfdosis erhalten.
Nachdem sich in Israel schon sehr früh ein positiver Effekt der Impfung abgezeichnet hatte, wurde Schritt für Schritt gelockert. Anfang dieses Monats wurden dann fast sämtliche Massnahmen aufgehoben – geblieben ist einzig die Maskenpflicht in Innenräumen. Rund zwei Wochen später wurde auch diese gestrichen.
Doch dann geschah das, was sich niemand erhoffte: Die Fallzahlen stiegen über mehrere Tage wieder an. Nachdem sich die täglichen Neuinfektionen lange im einstelligen Bereich bewegt hatten, meldete Israel in den letzten Tagen wieder jeweils rund 150 positive Tests. Damit stecken sich in Israel aktuell wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus an als in der Schweiz.
Hinter dem Anstieg steckt vorwiegend die Delta-Variante, die erstmals in Indien entdeckt wurde. Laut dem israelischen Gesundheitsministerium macht sie etwa 90 Prozent aller Neuinfektionen aus. Studien zufolge ist sie nochmals deutlich ansteckender als die britische Mutation. Das BAG schätzt den Anteil der Delta-Fälle in der Schweiz Ende Juni auf rund 10 Prozent, Tendenz steigend.
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Und: Die Delta-Variante weist laut Experten eine gewisse Immunflucht auf. Das heisst: Die Mutation hat in manchen Fällen die Möglichkeit, den Schutz durch die Impfung oder Genesung zu umgehen. Doch Panik ist fehl am Platz, denn wer den kompletten Impfschutz hat, ist auch bei der Delta-Variante vor schwerer Erkrankung geschützt.
Entsprechend zeichnet sich in Israel auch kein Anstieg bei den Hospitalisierungen und bei den Todesfällen ab.
Der Corona-Beauftragte Israels Nachman Asch sagte im staatlichen Fernsehen, dass die steigenden Fallzahlen vor allem auf Reiserückkehrer zurückzuführen sind, die sich nicht an die Quarantäne-Regelungen gehalten haben: «Quarantäne-Brecher sind das Problem von uns allen – auf diese Weise breitet sich das Coronavirus im Moment aus.»
Ausserdem gibt es verschiedene Ausbrüche an Schulen. Obwohl Israel die mRNA-Impfstoffe inzwischen für Kinder ab 12 Jahren zugelassen hat, ist man unter Kindern weit von einer Herdenimmunität entfernt.
Der Epidemiologe Marcel Salathé zeigte sich auf Twitter wenig überrascht ab diesem Anstieg: «Mit dem, was wir über die Impfquote bei Erwachsenen (~85 Prozent) und der Wirksamkeit des Impfstoffes für Delta (~85 Prozent) wissen, ist das wie erwartet.» Doch er hält fest, dass die Fallzahlen vergleichsweise tief sind – und dass es sich aktuell bei Personen mit einem schweren Verlauf fast ausschliesslich um Ungeimpfte handelt.
Israel: half of *adult* cases in vaccinated.
— Marcel Salathé (@marcelsalathe) June 27, 2021
With what we know about vaccine coverage in adults (~85%), and vaccine efficacy for Delta (~85%), this is as expected.
The main story should be: case numbers very low, especially in adults, almost all severely ill aren't vaccinated. https://t.co/nDq617VKY8
Die ansteckendere Variante sorgt nicht nur in Israel für steigende Fallzahlen, sondern ist inzwischen auf dem Radar vieler Gesundheitsministerien aufgetaucht.
In keinem europäischen Land ist die Delta-Variante so präsent wie in Grossbritannien. Der Anteil ist ähnlich hoch wie in Israel, bei rund 90 Prozent aller Neuinfektionen.
Auch in Portugal hat sich die neue Variante durchgesetzt und sorgt für steigende Fallzahlen. Entsprechend befindet sich Portugals Hauptstadt Lissabon in einem erneuten Lockdown.
Für Diskussion in Zusammenhang mit den EM-Spielen, die in St. Petersburg ausgetragen werden, sorgt auch die Ausbreitung in Russland. Am vergangenen Samstag meldete Russland mit 107 Todesfällen innerhalb von 24 Stunden einen Wert so hoch wie seit Frühjahr 2020 nicht mehr.
Die Millionenstadt St. Petersburg hat entsprechend auch Massnahmen eingeleitet, so gilt beispielsweise Maskenpflicht im mit 30'000 Zuschauern gefüllten Stadion. Diese wird allerdings kaum eingehalten.
In der Metropole Sydney wurde wegen steigenden Fallzahlen in Zusammenhang mit der Delta-Variante ein zweiwöchiger Lockdown ausgerufen. Mehr als fünf Millionen Menschen dürfen das Haus nur noch für die dringendsten Angelegenheiten verlassen. Die Impfkampagne geht unterdessen nur sehr schleppend voran, nur gerade knapp 5 Prozent der australischen Bevölkerung sind vollständig geimpft.
Auch in unseren Nachbarländern ist die Delta-Variante ein Thema. In Deutschland steigt der Anteil stetig an und macht inzwischen etwa 15 Prozent aller Infektionen aus.
In gewissen Regionen Frankreichs macht die Delta-Variante schon 20 bis 30 Prozent aller Fälle aus.
In Israel zeigt sich unter anderem, dass die meisten aktuell positiv Getesteten asymptomatisch waren. Die Gefahr, dass sie das Virus daher unbewusst weiterverbreiten ist deutlich höher – zusätzlich haben sie trotz ausbleibenden Symptomen das Risiko, durch «Long Covid» längerfristige Beschwerden mitzutragen.
Auch wenn das Gesundheitssystem diesmal nicht in akuter Gefahr ist, ist es also im Interesse der Regierung, die Zahlen tief zu halten. Entsprechend hat Israel den letzten Lockerungsschritt bereits wieder rückgängig gemacht: In geschlossenen Räumen gilt jetzt wieder Maskenpflicht.
Für die Schweiz bedeutet das: Je mehr Personen geimpft sind, umso weniger Schaden können Mutationen wie die Delta-Variante hierzulande anrichten. Laut BAG ist man noch immer auf Kurs: Bis Ende Juli soll jede Person geimpft sein, die sich dafür entscheidet.