Die Börse sei wie jemand, der in einer missbräuchlichen Beziehung gefangen sei, sagt Starökonom Paul Krugman. «Sie leugnet noch immer alles und nutzt jedes Anzeichen von Anstand als Beweis dafür, dass ihr Partner sein Verhalten wirklich ändert.»
Zum Beispiel forderte Donald Trump kürzlich die «Entlassung» von US-Notenbankchef Jerome Powell und nannte ihn einen «grossen Verlierer». Einen Tag später behauptete Trump dann, er habe «nicht die Absicht, Powell zu feuern». Und wie immer, wenn Trump an einem Tag das eine und am nächsten Tag das Gegenteil sagt, ist die Börse danach abgehoben.
Das war einer von vielen Belegen, allein in dieser Woche, dass es bei Trump keine Rationalität gibt, nur seine Launen, sein letztes Gespräch. Krugman rät, die Börse zu ignorieren und auf die Realwirtschaft zu schauen. «Alles deutet darauf hin, dass das politische Chaos bald seinen Tribut fordern wird.» Er meint damit in den USA, aber auch in der Schweiz wird ein Tribut fällig.
Es war chaotisch, wie Trump an seinem «Tag der Befreiung» neue Zölle verhängte. Berechnet laut Ökonomen nach einer «Mickey-Mouse-Methode», die willkürlich Zölle ausspuckt: 31 Prozent gegen die Schweiz, 10 Prozent gegen Pinguin-Inseln. Die Art und Weise, wie Trump diese Zölle aussetzte, war laut «Wall Street Journal» allerdings ebenso chaotisch.
Die Börse fiel und fiel. Trump rief über die sozialen Medien zum Durchhalten auf: «Seid nicht schwach! Seid nicht dumm!» Derweil wurde sein Finanzminister Scott Bessent schwach und auch sein Wirtschaftsminister Howard Lutnick. Beide sahen einen Crash kommen. Beide wollten Trump warnen. Doch Peter Navarro, der Zölle liebende Handelsberater mit grossem Einfluss auf Trump, lungerte ständig im Oval Office herum.
Als Navarro zu einer Sitzung in einem anderen Teil des Weissen Hauses musste, eilten Bessent und Lutnick los. Rein zu Trump, erst wieder gehen, wenn Trump die Zollpause verkündet hat.
Trump hat sich mit Ja-Sagern umgeben, die sich gegenseitig mit Schmeicheleien überbieten. An einer Minister-Sitzung gab es Wortmeldungen wie: «Ihre Vision ist ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte.» Was Trump aussenpolitisch tue, sei «ein grosser Dienst für unser Land, aber letztlich auch für die ganze Welt.»
Diese Lobhudeleien wiederholten sich nach der Pausierung der Zölle. Das sei von Anfang an der Plan gewesen, sagte Bessent. China werde so isoliert und zum Hauptschuldigen gemacht für das Leid der US-Arbeiter. Trump-Berater Stephen Miller sprach von der: «grössten Meisterstrategie eines US-Präsidenten in der Geschichte.» Die Börsen hoben ab.
Doch auch die heute geltenden Zölle von 10 Prozent gegen die Schweiz und die EU sind ein Vielfaches des früheren Niveaus. Noch höhere Zölle hat Trump gegen Mexiko und Kanada verhängt und nochmals höhere gegen China – 145 Prozent. Alles in allem erheben die USA nun historisch hohe Zölle von durchschnittlich 28 Prozent, wie das Budget Lab der Universität Yale errechnet hat. Das ist fast das Zwölffache des früheren Niveaus. Um noch höhere Zölle zu finden, muss man zurückgehen bis ins Jahr 1901.
Nach Jahrzehnten des Freihandels eine solche Zollmauer um die weltgrösste Wirtschaft zu ziehen, ist ein historischer Bruch. Und zugleich nur die schlimmste Zutat in einem giftigen Gebräu. Hinein kommt Elon Musks planloses Sparen in der staatlichen Verwaltung und in der Forschung, Angriffe auf Anwälte und Universitäten, illegale Ausschaffungen und ein de facto Zuwanderungsstopp für Arbeitskräfte.
Die Zölle allein werden laut der Universität Yale das allgemeine Preisniveau um 3 Prozent erhöhen und jeden Haushalt rund 4900 Dollar kosten. Dies werden die Amerikaner schon in den nächsten Wochen in den Regalen der drei grössten Detailhändler zu sehen bekommen.
Die Chefs von Walmart, Target und Home Depot durchbrachen die Reihen der Schmeichler um Trump und warnten vor höheren Preisen und gar vor leeren Regalen. Dass die Waren gar nicht mehr ins Land kommen, sieht man heute schon im Hafen von Los Angeles, grösster Umschlagplatz für asiatische Importe. Der Verkehr ging so stark zurück, es erinnert an den Stillstand in den frühen Coronazeiten.
Der übervorsichtige Internationale Währungsfonds warnt jedenfalls vor einer «deutlichen Verlangsamung». Firmen berichten in Umfragen von wegbrechenden Bestellungen und einer so schlechten Geschäftslage wie in der globalen Finanzkrise von 2008.
Trump habe eine schwächer werdende Wirtschaft übernommen und sie noch schwächer gemacht, fasst Neil Dutta zusammen, Chefökonom beim Beratungsbüro Renaissance Macro Research. «Nun sind wir schon in einer Rezession und wie in jeder Rezession rutschen wir nicht langsam hinein – wir fallen.»
Wie immer in Rezessionen werden an der Börse verdeckte Schwächen offengelegt. «Erst bei Ebbe erkennt man, wer nackt geschwommen ist», sagte Investoren-Legende Warren Buffett einmal. Tesla-Chef Elon Musk gilt als möglicher Nacktschwimmer. Tesla ist an der Börse zwar schon tief gefallen, aber noch immer himmelhoch bewertet. Gemessen an den Gewinnen viermal höher als Amazon, Apple oder Microsoft. Gerechtfertigt wäre dies nur, wenn diese Tesla-Gewinne lange Zeit schnell wachsen – und nichts schiefgeht.
Ein Harvard-Professor sagt in der «New York Times» über Musk: Sein Vermögen verdanke er seinem «messianischen Status» und einem «Finanzkult von Legionen von geblendeten Investoren-Anhängern». In einer Rezession könnten die Verkäufe von Teslas weiter dahinschwinden, mit ihnen der Glaube an Musk und damit sein Vermögen und seine Macht.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ihren Leitzins zuletzt im März auf 0,25 Prozent herabgesetzt. Der nächste Entscheid steht im Juni an. Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, sagt, die Finanzmärkte würden aktuell davon ausgehen, dass die SNB den Leitzins erneut senkt – zunächst auf 0 Prozent im Juni und im zweiten Halbjahr eventuell sogar in den negativen Bereich hinein.
Diese Erwartung erklärt sich vor allem mit den trüben Aussichten für die US-Wirtschaft, sagt Junius. «Eine Rezession in den USA schwächt auch hierzulande Wirtschaft und Inflation. Die SNB wäre zu Zinssenkungen gezwungen.» Ablesen lässt sich die Erwartung negativer Leitzinsen bereits an den zweijährigen Schweizer Staatsanleihen.
Die Renditen darauf sind diese Woche deutlich unter die Nulllinie gefallen – so tief wie nie seit der fünfjährigen Tiefzinsphase, die erst durch die Corona-Inflation beendet wurde. Damit ist das Phänomen der Negativzinsen wieder zurück. Kommt es so, werden die Hypothekarzinsen weiter unter Druck kommen. Im Gegenzug dürften die Preise von Immobilien noch mehr Schub erhalten. (aargauerzeitung.ch)