Gross war die Freude bei vielen in Deutschland, als Karl Lauterbach vor drei Wochen zum neuen Gesundheitsminister ernannt wurde. Der 58-jährige SPD-Abgeordnete war mit seiner medialen Dauerpräsenz zum «Gesicht» der Corona-Pandemie geworden. Manchen gingen seine ständigen Ermahnungen auf die Nerven, andere schätzten ihn gerade deswegen.
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Als Epidemiologe und Dozent an der US-Eliteuniversität Harvard lag Lauterbach mit seinen Einschätzungen häufig richtig. Nach dem «Chaos» unter CDU-Vorgänger Jens Spahn werde ein ausgewiesener Fachmann das Ministerium leiten und das Land auf den richtigen Weg bei der Pandemie-Bekämpfung führen, lautet die mit seiner Berufung verbundene Hoffnung.
Nun aber herrscht Ernüchterung, denn als Gesundheitsminister tritt Karl Lauterbach vorsichtiger und zurückhaltender auf als in seiner früheren Rolle. Manche seiner einstigen Fans sind enttäuscht bis empört, denn mit der Omikron-Variante droht eine erneute Eskalation der Pandemie. Sie fragen sich, warum Lauterbach zu «Leiserbach» wurde.
Letzte Woche kam es zum veritablen Eklat. Am Dienstag, kurz vor dem jüngsten «Gipfel» von Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Bundesländern, forderte das dem Ministerium unterstellte Robert-Koch-Institut (RKI) «maximale Kontaktbeschränkungen», die «sofort beginnen», also noch vor Weihnachten, und bis zunächst Mitte Januar gelten sollten.
Bei einem gemeinsamen Auftritt am Mittwoch versuchten Karl Lauterbach und RKI-Chef Lothar Wieler die Wogen zu glätten. Allerdings gab der Minister offen zu, das Papier des Instituts habe ihn «nicht vorher erreicht». Intern soll Lauterbach seiner Wut auf Wieler laut der «Bild»-Zeitung mehrfach Luft gemacht haben. Der Minister fühlte sich demnach «verarscht».
Ähnlich erging es vielen Befürwortern möglichst scharfer Massnahmen, allerdings anders herum. Auf Twitter trendeten Hashtags wie #dankewieler, während Karl Lauterbach fast schon als Verräter bezeichnet wurde. Er solle als Minister endlich hart durchgreifen oder zumindest auf den Putz hauen wie früher bei seinen Talkshow-Auftritten, wird gefordert.
Das aber verkennt die Natur seines Amtes und das Wesen der Demokratie. Als Minister ist Karl Lauterbach nicht allmächtig, sondern Teil der Ampel-Regierung. In dieser sitzt auch die FDP, die nicht zuletzt dank ihrer Kritik an den Corona-Massnahmen bei der Bundestagswahl zulegen konnte. Auch die Bundesländer können in der Gesundheitspolitik mitreden.
«Die Regierung von aussen unter Druck zu setzen funktioniert für ihn nicht mehr, einfach weil er jetzt selbst drin sitzt», umschreibt T-Online Lauterbachs neue Rolle. Also muss er auch die neuesten Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz mittragen, obwohl diese viel weniger weit gehen als die RKI-Forderungen und viele seiner einstigen Bewunderer verärgern.
Wie sich das anfühlt, könnte Lauterbach von seinem Schweizer Amtskollegen und «Parteifreund» Alain Berset erfahren. Dieser steht spätestens seit der zweiten Welle im Herbst 2020 unter Dauerbeschuss nicht nur der Gegner, sondern auch der Unterstützer einer scharfen Corona-Politik. Ihnen ist der oft zögerliche «Schweizer Weg» ein Dorn im Auge.
Das wirft ein Schlaglicht auf ein Segment in der Bevölkerung, das häufig übersehen wird. Es geht nicht zu archaischem Glockengeläut auf die Strasse oder zieht mit Fackeln vor die Häuser von Politikern. Es «verschwört» sich auch nicht in Telegram-Kanälen, sondern äussert seinen Unmut in den sozialen Medien, vor allem auf Facebook und Twitter.
Man könnte vereinfacht von einer Kritik von «links» sprechen (in der Realität gibt es auch linke Gegner der Corona-Massnahmen und rechte Befürworter). Sie äussert sich während den Medienkonferenzen des Bundesrats und des Bundesamts für Gesundheit. Nicht selten wird dabei aus der Wut heraus gefordert, Berset solle «endlich» zurücktreten.
Man kann dem SP-Bundesrat einiges vorwerfen, etwa die eine oder andere ungeschickte Aussage, aber Berset ist Teil einer Regierung, in der SVP und FDP die Mehrheit haben. Mit dem gleichen Problem müsste sich seine Nachfolgerin oder der Nachfolger herumschlagen, falls er den Wunsch seiner «Hater» erfüllen und seinen charakteristischen Hut nehmen sollte.
Die Vorstellung, mit Alain Bersets Rücktritt werde alles besser, ist nicht nur naiv. Sie offenbart ein problematisches Demokratieverständnis. Denn häufig ist sie verbunden mit einer Art Sehnsucht nach einer «weisen» Expertenregierung, die an die vom «alten Griechen» Platon propagierte Philosophenherrschaft erinnert. Es ist ein Konzept mit totalitären Zügen.
Demokratie hingegen ist nicht die Kunst des Wünschbaren, sondern des Machbaren. Das ist gerade in einer Krise eine Herausforderung. Der Föderalismus macht es nicht einfacher, wie selbst der scheidende SVP-Bundespräsident Guy Parmelin im Interview mit der «Sonntagszeitung» einräumte: «Natürlich ist er manchmal schwerfällig und kompliziert.»
Der Preis dafür ist ein ständiger «Eiertanz», zu dem Alain Berset und Karl Lauterbach gezwungen sind. Für den deutschen Gesundheitsminister bietet sich immerhin ein relativ simpler Ausweg. Er kann zurücktreten, ohne wie in der Schweiz eine ganze Wahlmaschinerie in Gang zu setzen, und wieder als Talkshow-Nervensäge auftreten.
Wenn es ihm jedoch ernst ist mit dem Kampf gegen das Virus, wird er weitermachen und den Gegenwind seiner einstigen Bewunderer aushalten. Auf den Rückhalt der Bevölkerung kann er zählen. In einer «Bild»-Umfrage liegt Lauterbach noch vor Kanzler Scholz. Nur dessen Vorgängerin Angela Merkel ist noch beliebter als der Gesundheitsminister.
Auch Alain Berset kann sich über viel Zustimmung freuen. In einer «Blick»-Umfrage und im SRG-Wahlbarometer lag er jeweils an der Spitze. Das macht die Angriffe von «rechts» und «links» erträglicher. Die breite «Mitte» scheint zu respektieren, dass ein Gesundheitsminister in einer Demokratie eine Pandemie nicht einfach «wegzaubern» kann.
Corona? Das war der Berset. Infrastrukturprobleme? Sommaruga. EU? Der Cassis.
Am Ende sind personenbezogene Diskussionen müssig. Sie sind eine Schwäche der repräsentativen Demokratien. Ein konstruktiver Dialog ist nur möglich, wenn man über die Sache selbst redet. Das ist die stärke direkter Demokratie. Und ein wichtiger Pfeiler unseres Wohlstands.
Dazu kommt, dass Lauterbach bis jetzt eine Ein-Mann-Show war, welche alles via Twitter und Lanz zu seinen Jünger kommuniziert hat. Nun muss er ein Ministerium mit zig-tausenden MA führen.
Dazu kommt, das KL auch gehypt wurde und viele nur bestimmte Punkte an ihm sehen wollten.