Der Sicherheitsmann kam aufgeregt um die Ecke auf den Journalisten zu. Dieser hatte mit einer Kleinbildkamera das Gebäude der chinesischen Botschaft am Kalcheggweg in Bern fotografiert. «Löschen Sie die Bilder», verlangte der Sicherheitsmann, hier dürfe nicht fotografiert werden. Sonst rufe er die Polizei.
Der Journalist sagte: Er habe von der Strasse aus, von öffentlichem Grund aus fotografiert, das sei erlaubt.
Darauf verlangte der Sicherheitsmann, der für eine Schweizer Firma arbeitete, die Personalien des Journalisten. Dieser winkte ab, sagte etwas wie: «Damit mein Name in einem chinesischen Computer landet?»
Nachdem er ankündigte, er müsse den Journalisten «in dem Fall ablichten», und er sein Handy zückte – was er später bestritt –, machte der Sicherheitsmann seine Drohung wahr und rief über Handy den Botschaftsschutz der Kantonspolizei herbei. Er habe hier «einen», den man überprüfen müsse.
Mehrere Beamte rückten an, und diese stellten fest, dass Fotografieren von der Strasse aus natürlich erlaubt war. Der Journalist zeigte den Beamten die Fotos, die er geschossen hatte, und löschte von sich aus die zwei Bilder mit dem Sicherheitsmann, den er als Reaktion auf dessen Ankündigung ebenfalls «abgelichtet» hatte.
Was im letzten Oktober diese Aufregung beim Sicherheitsmann im Solde der Chinesen auslöste, ist nicht klar. Das harmlose Bild von der Strasse aus kann es nicht gewesen sein ‒ auf Google sieht man viel mehr. Aber der Mann wird auf Druck seiner Auftraggeber, der Chinesen, reagiert haben. Denn der Journalist hatte zuvor am Bomontiweg, im Volksmund «Schnäggegässli» genannt, die dortigen massiven Sicherheitsmassnahmen fotografiert, was vermutlich Xi Jinpings Truppe nicht verborgen geblieben war. Sie werden den Sicherheitsmann aufgefordert haben einzuschreiten.
Das «Schnäggegässli» ist ein Drama für sich: Meterhohe Metallzäune sichern die Gebäude rechts und links dieser Fussgängerpassage, welche zwei Quartierstrassen miteinander verbindet. Von den hohen chinesischen Zäunen aus sind mehrere Kameras auf den Durchgang gerichtet, sodass sich kein Passant und keine Passantin dem totalitären Überwachungsstaat aus Fernost entziehen kann.
Die Polizei nahm, getrennt voneinander, die Personalien des Journalisten und des Sicherheitsmanns auf. Da kreuzten auch zwei Vertreter der benachbarten türkischen Botschaft auf, in Anzug und mit dunkler Sonnenbrille wie aus dem Film, und verlangten gestikulierend von der Kantonspolizei, die Kamera des Journalisten sei darauf zu überprüfen, ob türkische Einrichtungen abgebildet wurden. «Schon gemacht», sagte einer der Beamten. Alles sei in Ordnung.
Der Einsatz war den Beamtinnen und Beamten merklich peinlich, aber es galt offensichtlich, die ausländischen Botschaften nicht zu verärgern. Und je autoritärer die Regimes, desto drastischeres Vorgehen verlangen sie von der Berner Polizei, sagt einer, der weiss, worum es geht. Auch die privaten Sicherheitsleute stehen, wie spätere Gespräche zeigen, unter massivem Druck ihrer autoritären Auftraggeber, die glauben, sie könnten in Bern fuhrwerken wie in Peking oder Ankara.
Und es wird immer schlimmer. Gerade die Chinesen machen in Bern, was ihnen passt. Sie haben zum Schrecken vieler Anwohner vor einigen Jahren nach der Liegenschaft Kalcheggweg 10, in der sich die Botschaft befindet, auch die Villa Bomonti am Kalcheggweg 12 gekauft. Das «Schnäggegässli», der Bomontiweg, ist seither faktisch chinesisches Territorium. Quartierbewohner befürchten, dass das Gässli «früher oder später geschlossen wird», wie vor einigen Jahren der Berner «Bund» berichtete.
Nicht davon betroffen wäre Saudi-Arabien: Die Saudis, deren Botschaftsresidenz unten an den Bomontiweg grenzt, verfügen über ein im Grundbuch eingetragenes Fusswegrecht. Autoritäre unter sich in Bern. Ein schöner Trost.
In den Liegenschaften am Kalcheggweg, abgeschirmt und abgekapselt, haben die Chinesen, davon sind Anwohner überzeugt, längst eine Spionage- und Abhörzentrale eingerichtet, vollgestopft mit Hightechmaterial. Beim Umbau sei nur chinesisches Personal zum Einsatz gekommen, einige Monate seien die Leute im Einsatz gewesen, dann ausgewechselt worden. Die Stromleitungen, die vom Elektrizitätswerk eingezogen wurden, hätten ein Mehrfaches der Kapazität, die für ein gewöhnliches Bürogebäude eigentlich nötig wäre. Dazu passt, dass das Berner Bauinspektorat 2018 im Erdgeschoss der Liegenschaft am Bomontiweg «widerrechtliche Arbeiten» feststellte, wie der «Bund» berichtete. «Zum oberen Stock hingegen gewährten die Chinesen keinen Zutritt», so die Zeitung. Mussten sie gemäss Völkerrecht auch nicht, das diplomatische Liegenschaften weitgehend der Kontrolle des Gaststaats entzieht.
Alteingesessene Anwohnerinnen und Anwohner leiden zunehmend im Botschaftsviertel im Bern, nicht nur wegen der Chinesen. Neue Kriege und alte Konflikte, die internationale Lage ist aufgeladen, das schlägt sich direkt im Kirchenfeld nieder, wo Freund und Feind oft nah aufeinandersitzen. Die NZZ berichtete letzte Woche über einen Nachbarschaftsstreit um russische Fahrzeuge, der nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine eskaliert ist. Die Lage ist explosiv, Nerven liegen blank.
Für Nachbarn, das zeigen viele Gespräche, ist aber auch der Botschaftsschutz mitunter ein Problem, der sich in ihren Augen mehr für die Diplomaten einsetzt als für die Interessen der Anwohnenden. So wird von unterbeschäftigten Polizisten erzählt, die falsch parkierte Diplomatenfahrzeuge unbehelligt liessen, weil die ja ohnehin die Busse nicht zahlten, dafür aber Strafzettel an Besucher von Anwohnenden verteilten. Das geschehe aber nur bei schönem Wetter, stellt eine Beobachterin fest: «Bei schlechtem Wetter bleiben die Polizisten in ihren Häuschen.» (cpf)