
Polizeieinsatz am letzten Sonntag in Washington.Bild: EPA
Der Wahlsieg von
Donald Trump hat eine Debatte über Fake News ausgelöst. (Zu) Viele
Menschen sind bereit, Dinge für bare Münze zu nehmen, die in ihr
Weltbild passen. Das zeigen drei aktuelle Beispiele aus der
Schweiz.
09.12.2016, 11:1810.12.2016, 06:45
Fake News können
tödlich sein. Oder zumindest fast. Am letzten Sonntag hätte eine
Lügenstory aus dem Internet beinahe zu einem Blutbad geführt. Edgar
Maddison Welch, ein 28-jähriger Mann aus dem US-Bundesstaat North
Carolina, stürmte bewaffnet die Pizzeria «Comet Ping Pong» in
Washington, in deren Keller angeblich Kinder missbraucht wurden. Er
bedrohte Kunden und Angestellte mit einem Sturmgewehr und feuerte
mehrere Schüsse ab.
Verletzt wurde
niemand, die Polizei konnte den Schützen festnehmen. Zu seiner Tat
angeregt wurde er durch eine Verschwörungstheorie, die seit Wochen
unter dem Begriff Pizzagate im Internet kursiert, vor allem unter
Anhängern des gewählten US-Präsidenten Donald Trump. Demnach ist
besagte Pizzeria in Washington die Zentrale eines Pädophilenrings,
in den niemand anders involviert sein soll als Trumps Gegenkandidatin
Hillary Clinton.

Edgar Maddison Welch wird von der Polizei gefasst.Bild: AP/Sathi Soma
Ausgangspunkt waren
die gehackten E-Mails von Clintons Wahlkampfleiter John Podesta.
Darin taucht der Name James Alefantis auf. Er ist Inhaber der
Pizzeria, Anhänger und Geldgeber der Demokratischen Partei. Durch
eine absurde Kaskade, die von der BBC rekonstruiert wurde, entstand
daraus die Pizzagate-Story. Sie ist längst als Bullshit entlarvt,
doch unzählige Clinton-Hasser glaubten sie bereitwillig. Alefantis und
selbst die Besitzer benachbarter Geschäfte wurden bedroht, und
schliesslich wollte Edgar Welch die Sache mit der Waffe «regeln».
In der aufgeheizten
Stimmung kurz vor der Wahl hatte der Pizzagate-Wahn auch Donald
Trumps Umfeld erreicht. Der Ex-General Michael Flynn, den der neue
Präsident als Sicherheitsberater ins Weisse Haus holen will,
verbreitete die Fake-Story auf Twitter mit dem Zusatz «MUST READ».
Sein Sohn Michael Flynn jr. behauptete selbst nach dem
Beinahe-Blutbad vom Sonntag, Pizzagate bleibe «ein Thema».
Immerhin hat Trump ihn danach aus seinem Übergangsteam gefeuert.
Pizzagate ist ein
besonders krasser Fall in der Debatte um Fake News, die seit Trumps
überraschendem Wahlsieg auf unzähligen Kanälen präsent ist. Die
Verbreitung von gefälschten Meldungen hat sich zu einer regelrechten
Industrie entwickelt. Häufig stehen nicht politische, sondern
pekuniäre Motive dahinter. Mit Fake News kann man viel (Werbe-)Geld
verdienen. Sie profitieren davon, dass sie über Social Media
unzählige Menschen ohne viel Aufwand erreichen.
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Und viele sind nur
zu gerne bereit, alles zu glauben, was in ihr Weltbild passt. So
erzielte die Falschmeldung, wonach Trump von Papst Franziskus zur
Wahl empfohlen wurde, eine enorme Interaktion auf Facebook.
Zahlreiche Experten äusserten sich besorgt, sie warnen vor einer «Filterblase» (gerade zum «Wort des Jahres» erklärt), in die
sich die Menschen zurückziehen. Fake News könnten dazu führen,
dass sie «nicht mehr an wahre Dinge glauben», sagte der
Philosophieprofessor Michael Lynch von der Universität Connecticut
der «New York Times».
Übersehen wird
häufig das eigentliche Problem: Die Leichtgläubigkeit vieler
Menschen, auch solcher, die intelligent sind und zu selbständigem
Denken erzogen wurden. Dies zeigen auch drei Beispiele aus
der Schweiz. Dabei fielen nicht etwa rechte «Dumpfbacken» auf die
falschen oder fragwürdigen Meldungen herein, sondern Leute aus dem
linken und linksliberalen Milieu.
Gewalt gegen Frauen
Ende November
tauchte im Netz unter dem Titel «Gewalt gegen Frauen» ein Text
auf, der die Männer dazu aufrief, sich verstärkt für die
Gleichberechtigung der Frauen zu engagieren. Verfasst wurde er
anscheinend von «Tages Anzeiger»-Reporter Constantin Seibt, einem
der bekanntesten Journalisten des Landes. Die Resonanz war gross,
der Artikel erzielte laut dem Online-Magazin Vice allein auf Facebook
mehr als 1300 Shares, Likes und Kommentare.
Viele waren
begeistert und gratulierten Seibt zu dem mutigen Text. Der aber war
in den Ferien und hatte keine Ahnung, wie er auf Twitter perplex
mitteilte. Tatsächlich handelte es sich um eine clevere Fälschung,
die nur an der URL «tagesnzeiger.ch» zu erkennen war. Selbst die
Links führten auf die echte Tagi-Website. Schliesslich enttarnten
sich die beiden Verfasser, es handelte sich um die Basler
Genderforscherin Franziska Schutzbach und den Netzaktivisten Dimitri
Rougy.
In einer Stellungnahme zeigte
sich Rougy überrascht, «dass der Fake nicht früher aufflog». Er
rechtfertigte die Fälschung, zeigte sich aber auch reuig gegenüber
jenen, die sich hintergangen fühlen. Es handle sich um eine Aktion «in einem juristischen Graubereich», räumte er ein. Tatsächlich
hätte eine Klage wohl gute Aussichten. Allerdings will
Tamedia die Angelegenheit laut persoenlich.com auf sich beruhen
lassen, und Constantin Seibt reagierte mit Humor.
Schiessbefehl gegen
Flüchtlinge?
Letztlich wurde
Seibt aber ein Opfer von Identitätsdiebstahl. Gleiches widerfuhr
auch dem Aargauer SVP-Nationalrat und Asyl-Hardliner Andreas Glarner
mit einem gefälschten Facebook-Posting, in dem der notorische
Provokateur scheinbar einen Schiessbefehl gegen Flüchtlinge
unterstützte. Der Screenshot des Eintrags wurde auf Facebook und
Twitter eifrig geteilt, auch von Journalisten, verbunden mit
Forderungen wie «Glarner muss weg!».
Die Reaktionen waren
auf den ersten Blick verständlich, schliesslich ist Andreas Glarner
einschlägig vorbelastet. Doch der echte Glarner war nach eigenen
Angaben seit zwei Wochen auf Facebook gesperrt. Recherchen der «Schweiz am Sonntag» ergaben, dass der Fake von der
Facebook-Seite einer gewissen Mia Pfister ausging. Der Name ist
erfunden, das Profilfoto wurde aus dem Netz geklaut. Die wahren
Urheber bleiben unbekannt.
Die Trump-Bombe
Sowohl bei Seibt wie
bei Glarner sind die leichtgläubigen Reaktionen zu einem gewissen
Grad nachvollziehbar. Man traut beiden zu, solche Dinge zu schreiben,
und die Fälschungen sind gut gemacht. Schwerwiegender ist der
aktuellste Fall, bei dem es sich genau genommen nicht um Fake News
handelt, sondern um einen Artikel aus dem «Magazin» vom letzten
Samstag.
Die beiden Verfasser
beschreiben darin die vermeintlich revolutionäre Methode eines
Psychologen, mit der das Verhalten der Menschen auf Facebook minutiös
analysiert werden könne. Eine Firma namens Cambridge Analytica habe
sie im US-Wahlkampf angewendet und damit Donald Trump «mit zum
Sieg» verholfen. Die Methode wird im Artikel als «Bombe» bezeichnet, und genauso schlug er ein. Bis heute wurde er rund eine
Million Mal (!) geteilt.
Die Reaktionen im
deutschen Sprachraum waren teilweise hysterisch, verbunden mit
Aufforderungen wie «unbedingt lesen!». Endlich hatte jemand das
Geheimnis von Donald Trumps Erfolg enthüllt! Eine
mysteriöse Firma, in deren Vorstand erst noch Trumps rechtsradikaler
Oberfinsterling Steve Bannon sitzt, soll es geschafft haben, die
Wähler so zu manipulieren, dass sie den Republikaner ins Weisse Haus
beförderten. Was für ein Scoop!
Wer den Text mit
einem halbwegs kühlen Kopf las, hatte rasch ein ungutes Gefühl.
Keine einzige unabhängige Stimme kam zu Wort, die die Wirksamkeit
der Methode kritisch beurteilt hätte. Die Gegenreaktionen liessen
nicht auf sich warten, und sie waren heftig. Zahlreiche Fachleute,
darunter der bekannte Netzaktivist Sascha Lobo, zerpflückten die
vermeintliche Wunderwaffe nach Strich und Faden. Der Medien-Monitor
hat die wichtigsten Artikel aufgelistet.
Nicht besser wird
der Text durch die marktschreierische Art, mit den ihn das «Magazin» verkauft hat. «Die unheimliche Macht der Firma Cambridge Analytica» heisst es auf der Frontseite, auch wird der Name Le Pen genannt. Es
handelt sich jedoch nicht um Präsidentschaftskandidatin Marine Le
Pen, sondern um ihre Nichte Marion Maréchal Le Pen. «Am Ende
bleibt ein mieses Gefühl: So viel Zuspitzung traut sich nicht einmal
der Boulevard», schreibt die «Wochenzeitung».
Die Verfasser müssen
sich fragen, ob sie sich vom cleveren CEO von Cambridge Analytica
instrumentalisieren liessen. Und sie müssen sich den Vorwurf
gefallen lassen, dass ihre «sensationelle» Enthüllung ein Stück
Thesenjournalismus ist, in dem die Maxime gilt: Warum sich eine geile
Story von Fakten verderben lassen?

Facebook analysiert die Daten der Nutzer und lässt ihnen personalisierte Werbung zukommen.Bild: Dado Ruvic/REUTERS
Big Data ist ein
wichtiges Thema. Es ist alles andere als ein Geheimnis, dass sie
unzähligen Spuren, die wir im Internet hinterlassen, von
zahlreichen, nicht immer wohlmeinenden Playern ausgewertet werden.
Darunter nicht zuletzt die Online-Giganten, die uns auf diesem Weg
massgeschneiderte Werbung zukommen lassen. Natürlich werden solche
Methoden auch in der Politik genutzt. Das Thema aber hätte eine
fundiertere Betrachtung verdient, insbesondere durch die «klassischen» Medien, die ohnehin ein Problem mit ihrer
Glaubwürdigkeit haben.
Am Ende aber hängt
es an uns allen, ob wir bereit sind, jeden Brocken zu schlucken, der
uns appetitlich erscheint, obwohl er innerlich vielleicht faul und
verrottet ist. Vielleicht sollte man in den Schulen weniger
Medienkompetenz lehren, wie da und dort gefordert, sondern die
Fähigkeit zum kritischen Denken. Das ist schwierig genug. Und in der
heutigen Zeit vielleicht hoffnungslos.
Fake bleibt Fake: Diese manipulierten Bilder machen im Netz immer wieder die Runde
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Nach der Razzia bei Ex-Präsident Donald Trump wurden auch bei Nachfolger Joe Biden klassifizierte Unterlagen entdeckt. Die beiden Fälle lassen sich aber nur bedingt vergleichen.
Rehoboth Beach ist ein Badeort an der Atlantikküste im US-Bundesstaat Delaware. Joe Biden besitzt dort ein Wochenendhaus, in das er sich auch nach seiner Wahl zum Präsidenten gerne zurückzieht. Extravagant ist es nicht, schon gar nicht im Vergleich mit Donald Trumps bombastischer Residenz Mar-a-Lago im Nobelort Palm Beach (Florida).