Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) rügt die Schweiz in einem mit Spannung erwarteten Urteil. Sie hätte vor der Einziehung der Gelder des Ex-Finanzchefs des irakischen Geheimdienstes prüfen müssen, ob sein Name zu Recht auf der Sanktionsliste des UNO-Sicherheitsrats aufgeführt ist.
Damit hat die Schweiz laut dem heutigen Urteil gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstossen. Dieses ist im Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschrieben. Der Entscheid des EGMR bedeutet faktisch, dass Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats unter bestimmten Umständen vor Gericht angefochten werden können.
2006 hatte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) gestützt auf eine solche Resolution Guthaben von früheren Mitgliedern des Regimes von Diktator Saddam Hussein eingezogen. Nicht nur die auf den Ex-Finanzchef Khalaf al-Dulimi lautenden Gelder wurden konfisziert, sondern auch die seiner Firma. Es handelte sich um 200 Millionen Dollar.
Der Betroffene wehrte sich vergeblich dagegen. Das Bundesgericht kam im Februar 2008 zum Schluss, dass ihm in diesem Fall die Hände gebunden seien. Die Schweiz sei nicht befugt, die Gültigkeit von Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrates zu prüfen. Die Liste des Sanktions-Komitees sei verbindlich. Die Schweiz könne das Listing-Verfahren nicht überprüfen.
Die Grosse Kammer schreibt jedoch in ihrem Urteil, dass die UNO-Resolution den Schweizer Gerichten eine Überprüfung nicht verbiete. Damit werde die Respektierung der Menschenrechte sichergestellt.
Gerade die Auflistung von Personen auf einer Sanktionsliste könne schwerwiegende Eingriffe in die Rechte der Betroffenen haben. Deshalb seien die Schweizer Behörden geradezu verpflichtet gewesen, die Rechtmässigkeit zu überprüfen.
Das Bundesgericht habe sich jedoch nur auf die Prüfung der Personendaten und der Eigentumsverhältnisse der betroffenen Gelder beschränkt. Dem Betroffenen hätte gemäss Grosser Kammer die Möglichkeit gegeben werden müssen zu beweisen, dass die Aufführung seines Namens auf der Sanktionsliste willkürlich ist.
Die Kammer des EGMR hatte 2013 in erster Instanz mit vier zu drei Richtern ebenfalls so entschieden: Auch sie hielt fest, dass die Schweiz das Recht des Betroffenen auf eine wirksame gerichtliche Prüfung verletzt und damit gegen Artikel 6 der EMRK verstossen habe.
Laut EGMR bleiben die EMRK-Mitgliedstaaten grundsätzlich auch für Handlungen ihrer Behörden und Gerichte verantwortlich, mit denen diese internationale Verpflichtungen ausführen. Gegen die im konkreten Fall angewendeten UNO-Beschlüsse bestehe auf internationaler Ebene keine wirksame Anfechtungsmöglichkeit.
Es sei deshalb unumgänglich, dass die in Anwendung des UNO-Sanktionenregimes getroffenen Massnahmen von den zuständigen nationalen Gerichten überprüft werden könnten. Eine solche Möglichkeit habe im konkreten Fall nicht bestanden. (pbl/sda)