Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP wurde deutlich abgelehnt. Was war Ihre erste Reaktion?
Cédric Wermuth: Diese Niederlage tut weh. Wir akzeptieren das Abstimmungsresultat, das gehört zur Demokratie. Gleichzeitig gilt es zwei Punkte hervorzuheben.
Und die wären?
Es ist völlig klar, dass die immer höheren Krankenkassenprämien ein zentrales Thema bleiben werden. Das hat dieser Abstimmungskampf gezeigt. Wir von der SP werden weitere Vorschläge machen, wie man dieses Problem lösen kann. Eine Möglichkeit ist eine öffentliche Krankenkasse. Vom Parteitag haben wir den Auftrag erhalten, eine Volksinitiative zu lancieren. Dies wird der Verschwendung im Gesundheitswesen, den sinnlosen Kosten beim Kassenwechsel und den völlig überrissenen Löhnen von Krankenkassen-CEOs entgegenwirken.
Und der zweite Punkt?
In den vergangenen Monaten konnten wir bezüglich Kaufkraft Fortschritte machen. Die 13. AHV-Rente wurde angenommen, bei der Prämien-Entlastungs-Initiative kommt nun der Gegenvorschlag zur Anwendung. Da versuchen wir, das Beste daraus zu machen.
Wie glücklich sind Sie mit dem indirekten Gegenvorschlag?
Wir haben uns natürlich mehr erhofft. Der Gegenvorschlag ist aber ein Fortschritt. Die Versicherten werden mit 360 Millionen Franken pro Jahr direkt entlastet, die Kantone müssen eigene Sozialziele festlegen. Acht Kantone haben die Prämien-Entlastungs-Initiative angenommen. In diesen Kantonen können wir vor Ort Druck machen, damit die Sozialziele so formuliert werden, dass sie den Menschen wirklich etwas bringen.
Sie sprechen es an, die Prämien werden weiter steigen. Das war der Vorwurf der Gegenseite an ihre Vorlage: dass sie nur Symptombekämpfung betreibe und die steigenden Gesundheitskosten nicht eindämmen werde.
Bislang sind die Versuche, das Wachstum der Gesundheitskosten einzudämmen, an den Lobbys gescheitert. An der Pharmalobby zum Beispiel und an all denen, die zu viel verdienen und verschwenden im Gesundheitswesen. Lösen sich die bürgerlichen Parteien endlich von diesen Lobbys, können wir bei der Bekämpfung der Gesundheitskosten vorwärtskommen.
Was waren bei der Prämien-Entlastungs-Initiative die Hauptgründe, weshalb das Stimmvolk sie ablehnte?
Das Modell des 10-Prozent-Prämiendeckels hat die Menschen nicht überzeugt, es gab zu viele Fragen. Nun müssen wir die explodierenden Krankenkassen-Prämien über andere Wege angehen. Die SP wird dieses Thema weiterverfolgen, wir kämpfen weiterhin für die Kaufkraft der Bevölkerung.
Hat Ihnen die Annahme der 13. AHV-Rente im März das Leben schwer gemacht, weil die Gegner bei der Prämien-Entlastungs-Initiative nun erneut mit der Finanzierung argumentieren konnten?
Das glaube ich nicht. Die Bevölkerung ist sich absolut bewusst, dass Geld vorhanden ist. In anderen Bereichen laufen Debatten, wo die Politik noch viel mehr Geld ausgeben möchte. Es ist uns nicht gelungen, aufzuzeigen, dass dieses Modell für eine Mehrheit gut gewesen wäre. Da müssen wir beim nächsten Mal besser werden und klarer kommunizieren.
Sind die steigenden Prämien nicht einfach das Resultat von steigendem Wohlstand?
Das Hauptproblem des Schweizer Gesundheitssystems ist die unsoziale Finanzierung der Gesundheitskosten. Es gibt vergleichbare Länder mit ähnlichen Entwicklungen, die haben aber keine Kopfprämie. Dass die Migros-Kassiererin und UBS-CEO Sergio Ermotti die gleiche Prämie bezahlen müssen führt zu einer übermässigen Belastung von tiefen und mittleren Einkommen. Zudem gibt in unserem Gesundheitssystem ein hohes Mass an Verschwendung und Profit mit unserer Gesundheit. Das versuchen wir noch stärker als bisher anzugehen, zum Beispiel mit unserem Einsatz für eine öffentlichen Krankenkasse.
Aus linken Kreisen tönt es manchmal so, als wären an den ausufernden Gesundheitskosten vor allem die bürgerlichen Parteien schuld. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben im Parlament mehrfach signalisiert, wo wir bereit wären, auf die Dämpfung der Gesundheitskosten einzuwirken. Wir sind jedoch bisher immer gescheitert, sei es bei den Medikamentenpreisen, bei den Deckelung der Top-Löhne, etc. Im Abstimmungskampf haben wir von bürgerlicher Seite Zusagen erhalten, diese versuchen wir im Parlament einzufordern.
Schweizer Politikerinnen und Politiker machen mit Mandaten im Gesundheitsbereich zum Teil gutes Geld. Müsste man den Hebel nicht dort ansetzen?
Doch, natürlich. Auch in diesem Abstimmungskampf hatten wir Beispiele, etwa im Kanton Luzern, die zeigten, dass Lobbyinteressen dominieren. Wir versuchten in der aktuellen Session erneut, die Transparenz in diesem Bereich zu erhöhen. Die Wählenden müssen wissen, wie viel Geld fliesst und wer für welche Interessen bezahlt wird. Da ist das Schweizer Parlament leider nach wie vor eine Dunkelkammer.
Was sagen Sie besorgten Familien des unteren Mittelstandes nach dem heutigen Abstimmungssonntag?
Mit dem indirekten Gegenvorschlag sind nun die Kantone in der Verantwortung. Sie müssen handeln. Wir werden versuchen, Druck zu machen, um dem Trend der steigenden Gesundheitskosten entgegenzuwirken. Aber ich bin überzeugt, dass die Leute mit unserer Initiative besser gestellt wären. In diesem Sinne haben wir heute eine Chance verpasst.