Sie sind derzeit in der Schweiz. Weshalb?
Sheldon Yett: Ich bin hier, um mich mit einigen unserer Partner zu treffen und sie daran zu erinnern, dass die Menschen im Sudan immens unter dem Krieg leiden und dringend Hilfe brauchen.
Diese Erinnerung braucht es offenbar.
Ja. Sudan ist eine vergessene Krise. Obwohl es die grösste humanitäre Krise der Welt ist. Wenn man Medienberichte konsumiert, bekommt man nichts davon mit, was die Menschen durchmachen. An einem guten Tag steht auf Seite 56 etwas zum Sudan. Es scheint eine Hierarchie der Krisen zu geben. Die Menschen schauen nur nach Gaza und zur Ukraine. Dabei sollte das Leid der Sudanesinnen und Sudanesen niemandem egal sein. Nur schon angesichts ihres Ausmasses.
Von welchem Ausmass sprechen wir aktuell?
12 Millionen Menschen sind bereits durch den Krieg vertrieben worden. Tausende befinden sich auf der Flucht. Wir verzeichnen entsetzliche Fälle von Gewalt gegen Zivilistinnen und Zivilisten. Insbesondere sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder. Aber selbst Männer werden Opfer sexualisierter Gewalt. Niemand ist sicher.
Die Kriegsparteien sollen gemäss Berichten gezielt wichtige Infrastruktur zerstören, beispielsweise Spitäler. Welche Folgen davon beobachten Sie?
Es herrscht eine Hungersnot, die sich auszuweiten droht. Wir sehen Ausbrüche von Cholera, Malaria, Masern. Es gibt sogar Fälle von Kinderlähmung. 80 Prozent der Kinder können nicht in die Schule gehen und gehen deshalb Gefahr, als Kindersoldaten rekrutiert zu werden. Die Menschen brauchen dringend Nahrung, sauberes Trinkwasser, Impfungen, medizinische Versorgung, psychologische Betreuung.
Und bekommen sie diese Hilfe?
Wir geben unser Bestes, damit sie diese bekommen. Wir sind stolz zu sagen, dass wir im letzten Jahr 2,7 Millionen Müttern und Kindern psychologische Betreuung und Bildung ermöglichen konnten. 9,8 Millionen Familien und Kinder im Sudan haben durch uns sauberes Trinkwasser erhalten. Dennoch ist es eine traurige Tatsache, dass wir Millionen von Kindern nicht erreichen. Die Kriegsfronten verändern sich ständig. Die Bevölkerung befindet sich durchgehend auf der Flucht. Alle im Land sind vom Krieg betroffen. Und das bei einer Bevölkerungszahl, die viermal so gross ist wie jene der Schweiz.
Am Montag wurde auch einer Ihrer Hilfskonvois attackiert. Fünf Menschen starben. Wissen wir, von wem der Angriff ausgegangen ist? Von den sudanesischen Streitkräften SAF oder den paramilitärischen Kämpfern der Rapid Support Forces RSF?
Nein, das wissen wir nicht. Es handelte sich um einen Konvoi, der Nahrungsmittel, Gesundheits- und Wasservorräte sowie sanitäre Anlagen für die Bevölkerung in Al Fasher in Nord-Darfur transportierte. Der Angriff ist eine klare Verletzung des humanitären Völkerrechts.
Der Angriff am Montag war nicht der erste seiner Art. Viele Hilfsorganisationen haben sich aus dem Sudan zurückziehen müssen, weil die Kriegsparteien sie gezielt angriffen. Sie operieren nun aus den Nachbarländern aus. Wird sich UNICEF nicht irgendwann auch zurückziehen müssen?
Nein. Wir waren vor Ausbruch dieses Krieges im Sudan und wir werden auch weiterhin dort bleiben und den Menschen mit allem, was in unserer Macht steht, helfen. Auch wenn es immer schwieriger wird, dass unsere Hilfe die Menschen erreicht. Aber: Wir erreichen die Menschen. Wir können Kindern Impfungen verabreichen, wir können Familien mit sauberem Wasser versorgen, wir können Mütter in Sicherheit bringen. Und darauf kommt es an.
Sie selbst sind in Port Sudan stationiert. Sind sie dort sicher?
Ich vertraue darauf, dass die Regierung Sudans sich um unsere Sicherheit bemüht.
Mit der Regierung meinen Sie die sudanesischen Streitkräfte SAF?
Ja. Sie sind die Flaggenträger unter den Vereinten Nationen. Um den Kindern zu helfen, müssen wir mit allen Kriegsparteien in Kontakt stehen.
Vergangenen August hat in der Schweiz eine Friedenskonferenz für den Sudan stattgefunden. Diese hat offensichtlich keine Früchte getragen?
Die Friedenskonferenz hat die Menschen an die dringlichen humanitären Bedürfnisse der sudanesischen Bevölkerung erinnert. Und nun versuche ich dasselbe in der Schweiz erneut.
Sie sind US-Amerikaner. Seit diesem Jahr herrscht in Ihrem Heimatland US-Präsident Donald Trump, der unter anderem die staatlichen Gelder für die Entwicklungshilfe streichen liess. Hat dieser Entscheid direkte Folgen auf die humanitäre Lage im Sudan?
Natürlich. Die USA stellen den wichtigsten und grössten humanitären Partner von UNICEF dar. Aber es ist wichtig zu sagen, dass nicht nur die USA ihre Hilfe gekürzt hat. Auch europäische Länder, auf die wir in der Vergangenheit zählen konnten. Wir haben in diesem Jahr nur etwa ein Viertel des Bedarfs an humanitärer Hilfe erhalten, die wir für die Kinder im Sudan benötigen. Bis jetzt.
Welche anderen europäischen Länder haben ihre Hilfe gekürzt?
Viele. Die nordischen Länder, Deutschland, die Niederlande. Und auch in der Schweiz diskutiert man über Kürzungen. Natürlich müssen wir sicherstellen, dass wir so effizient wie möglich arbeiten. Aber wir alle haben in der Verantwortung, die humanitäre Hilfe für den Sudan fortzusetzen. Nehmen wir diese Verantwortung nicht wahr, werden wir es schon bald mit einer viel grösseren Krise zu tun haben, die weit über die Grenzen Sudans hinausgeht.
Ist das nicht bereits der Fall?
Ja, ein Stück weit schon. Jeden Tag wandern tausende Flüchtlinge über die Grenzen Sudans. In Tschad, im Südsudan, in anderen Nachbarländern steigen die Bevölkerungszahlen, weitet sich die humanitäre Krise aus. Wenn wir nichts unternehmen, wird die humanitäre Krise Sudans bald eine riesige Region auf dem afrikanischen Kontinent betreffen. Das bringt Leid und Instabilität über Millionen von Menschen.
Im Kontrast dagegen steht z.B. Vietnam, welches in den 70ern noch einen erbitterten Krieg gegen die USA erleiden musste, deutlich besser da.
Vielleicht wird man in Europa einfach langsam Müde, immer das Selbe zu probieren und ein anderes Resultat zu erwarten.
Wenn man aufhören würde zu spenden….
Was würde dann wohl passieren?
Denn es gibt da eine Geschichte…
…Ein Senator im alten Rom wollte all seinen Sklaven mit einem weisses Band an den Händen markieren. Sein Berater aber sagte ihm… Nein, dass dürfen sie nicht machen. Denn wenn sie wüssten wie viele sie sind, würden sie sich erheben und ihn stürzten…
Fazit, solange diese unempathischen Machthaber wissen dass von anderswo Hilfe kommt, werden sie sich weiterhin ihre gierigen Taschen vollstopfen….