Dass die Situation für die sudanesische Zivilbevölkerung grauenvoll ist, ist leider bekannt. Der Krieg, der seit mehr als einem Jahr zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Kämpfern der Rapid Support Forces (RSF) herrscht, hat das Land ins Chaos gestürzt. Es herrscht eine massive Hungersnot, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört, es fehlt an sauberem Trinkwasser und Medikamenten.
Ganz besonders unter dem Krieg leiden Frauen und Mädchen. Sie werden vergewaltigt, versklavt, zwangsverheiratet. Sind nirgends im Land mehr sicher, nicht einmal in ihrem eigenen Zuhause. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem neusten Bericht.
Für den Bericht sprach Human Rights Watch mit Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen, Psychologen, Anwältinnen und Gesundheitsinstitutionen in der Hauptstadt Khartum, Bahri und Omdurman. Sie haben direkt mit Überlebenden von sexueller Gewalt zu tun.
Diese Befragten gaben an: Zwischen April 2023 – als der Krieg ausbrach – und Februar 2024 haben sie insgesamt 262 Überlebende von sexueller Gewalt medizinisch versorgt und psychologisch betreut. Die Opfer hätten schwere körperliche Verletzungen erlitten. Darunter vaginale Blutungen, blaue Flecken und andere körperliche Traumata. Human Rights Watch schreibt:
Zwar berichten die Befragten auch von Buben und Männern, die Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen geworden sind. Die grosse Mehrheit der Fälle ist jedoch weiblich.
Die älteste Überlebende, die Human Rights Watch gemeldet wurde, war 60 Jahre alt. Das jüngste Opfer war ein 9-jähriges Mädchen, das von mehreren Männern vergewaltigt worden war.
Viele der Überlebenden sind von mehreren Männern vergewaltigt worden. Teilweise von bis zu fünf RSF-Kämpfern. Sie sollen den Frauen und Mädchen auf den Strassen auflauern oder in ihr Zuhause eindringen, um sie anschliessend in ein von der RFS kontrolliertes Gebäude zu verschleppen. Dort werden die Frauen und Mädchen gefoltert, als Sexsklavinnen gehalten oder zwangsverheiratet.
Im verzweifelten Versuch, sich zu schützen, würden die Mädchen den RSF-Kämpfern sagen, sie seien verheiratet oder keine Jungfrauen mehr.
Eine besonders perfide Geschichte erzählt ein Gesundheitshelfer in Khartum:
Sie hätten ihr Zuhause nicht verlassen können. Die RSF-Kämpfer hätten sie unter Hausarrest gestellt. «Die Frauen und Mädchen wurden tagelang wiederholt vergewaltigt. Eine der Töchter war schwanger, als sie uns erreichen konnten.»
Dass die Mutter und ihre vier Töchter vor den Augen ihrer Familienangehörigen sexuell missbraucht worden waren und daraus auch noch eine Schwangerschaft hervorging, könnte für sie schwerwiegende soziale Folgen haben.
Sudan wurde bis 2019 jahrzehntelang vom islamistischen Diktator Umar Al-Baschir geführt. Im Land herrscht ein grosses Stigma gegenüber Frauen und Mädchen, die ihre «Jungfräulichkeit verloren» haben.
Ein Psychiater erzählte Human Rights Watch von einer Überlebenden, die vergewaltigt worden war und herausgefunden hatte, dass sie im dritten Monat schwanger war. Sie sei sichtlich traumatisiert gewesen, habe am ganzen Körper gezittert. Aus Angst, wie ihre Familie auf die Schwangerschaft reagieren würde. Sie habe ihm gesagt:
Viele Überlebende bemühen sich deshalb um einen Schwangerschaftsabbruch. In den meisten Fällen vergeblich.
Gemäss sudanesischem Strafverfahrensgesetz von 1991 dürfen Vergewaltigungsopfer zwar abtreiben. Aber: Nur, wenn sie davor bei der Polizei eine Anzeige wegen Vergewaltigung eingereicht haben. Das ist in Khartum unmöglich. Im Krieg ist das Polizei- und Justizsystem völlig zusammengebrochen.
Hinzu kommt: Beide Kriegsparteien haben die medizinische Infrastruktur im Land vorsätzlich beschädigt, manche Gesundheitseinrichtungen komplett zerstört. Daneben erschweren sie der Bevölkerung bewusst den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und greifen regelmässig medizinisches Personal oder Helferinnen und Helfer an.
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 70 Prozent der medizinischen Infrastruktur im Land zerstört. In Khartum sind indes nur noch 16 Prozent aller medizinischen Einrichtungen funktionsfähig. Diese sind massiv überlastet und können nur noch absolute Notfälle versorgen. Die Konsequenz:
Die traurige Realität der Frauen und Mädchen in Sudan ist also: Sie können den Verletzungen, die ihnen die Vergewaltiger zufügen, erliegen, sie können von ihrem Umfeld wegen einer daraus resultierenden Schwangerschaft umgebracht werden oder aufgrund von Geburtskomplikationen sterben.
Und was ist mit jenen, die überleben? Ein Psychologe berichtete Human Rights Watch:
Human Rights Watch sind drei Fälle bekannt, in denen Überlebende von sexueller Gewalt später Suizid begangen haben.
Auch hier wird die Dunkelziffer weit höher liegen. Einem Grossteil der Opfer ist es nicht möglich, medizinische und psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Nicht nur, weil diese Hilfe in Sudan Mangelware ist. Auch, weil Mitarbeitende von Gesundheitseinrichtungen von beiden Kriegsparteien angegriffen werden. Und dies teilweise ausdrücklich, weil sie Überlebenden von sexueller Gewalt helfen wollen. In mehreren Fällen berichteten freiwillige Helferinnen, dass sie selbst von RSF-Kämpfern vergewaltigt wurden, als sie versuchten, Überlebenden von sexueller Gewalt zu helfen.
In den meisten Fällen, die Human Rights Watch berichtet wurden, kamen die Täter aus den Reihen der RSF. Nur in wenigen Fällen gehörten sie den SAF an, was allerdings daran liegt, dass zum Befragungszeitraum ein Grossteil des städtischen Gebiets in Khartum, Bahri und Omdurman unter RSF-Kontrolle war. Dort besetzen und plündern sie Häuser, Wohnungen, Geschäfte und kontrollieren essentielle Infrastrukturen. Darunter Spitäler.
Im Januar 2024 hat die SAF Teile der Städte von der RSF zurückerobert. Die massive und verbreitete sexuelle Gewalt in jenen Stadtteilen nahm dadurch allerdings nicht ab. Viele Überlebende haben gemäss Bericht noch mehr Angst, ein SAF-Mitglied zu beschuldigen.
Human Rights Watch macht klar: Sowohl die RSF und SAF begehen Kriegsverbrechen.
«Trotz der nachweislich weit verbreiteten sexuellen Gewalt in Khartum und andernorts gab es bisher kaum nennenswerte regionale oder internationale Reaktionen», schreibt Human Rights Watch in ihrem Bericht. Die Vereinten Nationen (UNO) und Afrikanische Union (AU) hätten zwar Instrumente geschaffen, mit denen sie konfliktbedingte sexuelle Gewalt thematisieren, überwachen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollten. Auf den Sudan hätten sie diese Instrumente bisher allerdings nicht angewendet.
«Angesichts der Unnachgiebigkeit der Kriegsparteien und ihrer anhaltenden rechtswidrigen Kriegstaktiken reichen Überwachung und Berichterstattung jedoch nicht aus», schreibt Human Rights Watch weiter. Man müsse die vielen Frauen, Männer und Kinder, die in unmittelbarer Gefahr sind, missbraucht zu werden, schützen. Die Organisation fordert von der UNO und AU eine Zivilschutzmission im Sudan.
Viel Hoffnung liegt auch auf der Friedenskonferenz, die am 14. August in der Schweiz stattfindet. Die USA und Saudi-Arabien wollen dann mit den beiden Kriegsparteien einen Waffenstillstand aushandeln.
Ob die RSF und SAF teilnehmen werden, hat das Aussendepartement (EDA) unter Bundesrat Ignazio Cassis bisher nicht öffentlich kommentiert. Wo die Konferenz genau stattfinden wird, ist bisher ebenfalls nicht bekannt.
Und wenn man denkt, dass der Südsudan noch viel fürchterlicher dran kam...
...das sind kaum vorstellbare Dimensionen.
Als ich in deren Nachbarland mit ein paar südsudanesischen Kindern sprach, begannen sie wegen dem erlebten Elend zu weinen, was ich sonst nicht mal bei Somalis erlebe.
Somit eine schwierige, fast unmögliche Aufgabe!