Im April 2023 ist im Sudan ein Krieg zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Kämpfern der Rapid Support Forces (RSF) ausgebrochen. Sie leiten im Nachbarland Südsudan bei der Organisation African Development Aid (ADA) Hilfsprogramme für geflüchtete Sudanesinnen und Sudanesen. Was erzählen sie von ihrer Flucht? Von ihren Erlebnissen in Sudan?
Dan Langoya: Bei uns kommen überwiegend Betagte, Frauen und Kinder an. Sie sind nicht nur gesundheitlich geschwächt, weil in Sudan eine Hungersnot herrscht und Krankheiten grassieren. Viele sind auch schwerstens traumatisiert. Ganz besonders die Mädchen und Frauen. Sie erzählen von schlimmer Gewalt, einschliesslich sexueller Gewalt, die sie erlebt haben. Sie brauchen dringend psychologische Beratung und soziale Unterstützung.
Und erhalten sie diese?
In Zusammenarbeit mit Caritas Schweiz versuchen wir, die Sicherheit der Frauen und Kinder zu gewährleisten, sie in der Traumabewältigung zu unterstützen, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Aber man muss sich vor Augen führen: Seit Kriegsbeginn sind mehr als 750'000 Personen aus Sudan zu uns in den Südsudan geflüchtet. Die UNO spricht von insgesamt acht Millionen Sudanesinnen und Sudanesen, die ihre Heimat seit Kriegsausbruch verlassen mussten. Es ist eine traurige Tatsache, dass die humanitären Mittel nicht einmal für die Hälfte der Geflüchteten, Rückkehrer und sonstigen Drittstaatsangehörigen ausreichen. Das hat zu einigen negativen Bewältigungsstrategien geführt.
Was meinen Sie mit «negative Bewältigungsstrategien»?
Uns ist berichtet worden, dass Geflüchtete Suizid begehen. Weil ihr Leid als Geflüchtete weitergeht. In den Nachbarländern, auch hier im Südsudan, gibt es weder ausreichend Essen, sauberes Trinkwasser, Medikamente und medizinische Versorgung noch genügend Zelte, ja nicht einmal Planen, unter denen sie Schutz vor der brennenden Sonne oder Regen finden können. Es herrscht Regenzeit, manche Menschen müssen bei Starkregen unter freiem Himmel auf dem Boden schlafen, stecken sich so mit Krankheiten an und sterben im schlimmsten Fall aufgrund der prekären Umstände. In dieser Verzweiflung kommt es zu Kinderarbeit. Buben gehen Schuhe putzen. Frauen und Mädchen prostituieren sich, um nicht zu verhungern und laufen so wiederum Gefahr, missbraucht und misshandelt zu werden.
Und wie steht es um die humanitäre Hilfe in Sudan selbst?
Dort können wir leider nicht operieren. Wir haben kein Mandat. Aber wir wissen: Selbst Hilfsorganisationen, die ein Mandat haben, mussten sich seit Kriegsausbruch aus dem Land zurückziehen. Es war zu gefährlich. Teilweise griffen die Kriegsparteien gezielt Mitarbeitende von Hilfsorganisationen an. Den Menschen im Sudan selbst zu helfen, ist inzwischen trotz internationaler Unterstützung nur noch sehr schwer möglich.
Sie sagten vorhin, es kommen vor allem Betagte, Frauen und Kinder bei Ihnen an. Was ist mit den jungen Männern?
Jene, die es bis zu uns in die Flüchtlingscamps schaffen, erzählen, dass im Sudan bewaffnete Soldaten Ausschau halten nach Jugendlichen und Männern im kampffähigen Alter, die sich auf der Flucht befinden. Die Soldaten spüren die Männer auf und verschleppen sie. Was danach mit ihnen passiert, wissen wir leider nicht. Die Geflüchteten glauben, dass die Jugendlichen und Männer gezwungen werden, im Krieg zu kämpfen.
Sind es Kämpfer von den SAF oder von den RSF, die Männer verschleppen?
Auch das wissen wir nicht. Die einzigen Quellen, die wir haben, sind die Geflüchteten, die bei uns ankommen. Sie sprechen immer nur von «bewaffneten, uniformierten Soldaten». Sie wissen nicht, ob es sich um SAF- oder RSF-Kämpfer handelt. Sie unterscheiden auch nicht zwischen den beiden Kriegsparteien. Die Zivilbevölkerung will weder die SAF noch die RSF an der Macht. Sie will diesen Krieg nicht. Sie will Demokratie und Frieden.
Genau deshalb findet am Mittwoch in Genf eine Friedenskonferenz für Sudan statt. Die Schweiz hat auf Anfrage von den USA zugesagt, als Vermittlerin zwischen den SAF und RSF zu fungieren. Ziel ist, dass ein Waffenstillstand zwischen den beiden Kriegsparteien ausgehandelt werden kann. Glauben Sie, dass das gelingen wird?
Ich hoffe es sehr. Ich glaube, beide Seiten haben ein Interesse an einem Waffenstillstand.
Weshalb glauben Sie das? Noch ist immer noch nicht bekannt, ob beide Konfliktparteien an der Friedenskonferenz in Genf teilnehmen werden.
Beide Seiten sind müde. Der Krieg bewegt sich nicht von der Stelle. Beide verlieren ebenso schnell an Gebieten, wie sie wieder hinzugewinnen. Sie haben mit dem Krieg begonnen, weil sie glaubten, dass sie auf dem diplomatischen Weg nicht erreichen können, was sie wollen. Nun sollten sie zum Schluss kommen, dass sie auch mit dem Krieg nicht erreichen, was sie möchten und dass sie sich deshalb wieder an den Verhandlungstisch setzen müssen. Ob das für einen langfristigen Frieden reicht, glaube ich aber dennoch nicht.
Weshalb nicht?
Weil dieser Konflikt viel komplexer ist, als viele wissen. Sudan ist reich an Bodenschätzen: Erdöl, Erdgas, Uran, Gold, Silizium, Eisen, Chrom, Mangan. Noch dazu befindet sich das Land an einer strategisch wichtigen Lage. In diesem Krieg geht es nicht nur darum, wer die Macht über Sudan und seine Bevölkerung haben wird. Und es sind daher auch nicht nur die SAF und RSF involviert.
Von welchen anderen Ländern sprechen Sie? Den USA, Russland, Ägypten, Saudi-Arabien?
Als Teil einer Hilfsorganisation will ich keine Namen nennen. Aber sie sind bekannt. Es gehören viele weitere Parteien an den Verhandlungstisch in Genf.
Gemäss der US-Amerikanischen Botschaft in der Schweiz ist Saudi-Arabien Mitveranstalterin der Friedenskonferenz. Ausserdem sollen die Afrikanische Union (AU), Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie ein UNO-Beobachter daran teilnehmen. Ist die Schweiz in diesem Spannungsfeld die richtige Vermittlerin?
Ja, auf jeden Fall. Die Schweiz geniesst in Afrika einen guten Ruf als neutrale Vermittlerin. Sie hat die besten Voraussetzungen, um beide Kriegsparteien an einen Tisch zu bekommen. Es ist aber extrem wichtig, dass sich die Schweiz im Voraus mit folgenden Fragen befasst: Woher bekommen die SAF und RSF ihre Unterstützung, ihre Waffen? Und wer sind die anderen Parteien, die in diesem Konflikt eine Rolle spielen? Die Schweiz muss all diese Fragen beantworten können und die Friedenskonferenz entsprechend aufsetzen, damit das Treffen auch tatsächlich zu realistischen Lösungen führen kann.
Was, wenn es nicht gelingen wird, einen Waffenstillstand auszuhandeln?
Dann geht das schreckliche Leid der Zivilbevölkerung weiter. Aber damit nicht genug. Wir sprechen inzwischen schon von einer «verlorenen Generation», die der Krieg verursacht. Über 50 Prozent der sudanesischen Bevölkerung sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Der Krieg hat einen Grossteil der Infrastruktur ihres Landes zerstört, sie leiden unter Traumas, können nicht zur Schule oder Universität gehen, keinen Beruf erlernen. Es wird viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis sich das Land von diesem Krieg erholt hat. Und mit jedem Tag, an dem der Krieg weitergeht, verlängert sich die Leidenszeit der Menschen. Die anhaltenden Kämpfe der SAF und der RSF zerstören die Zukunft des Sudan.