Ausgerechnet Sie als konservativer Christdemokrat machen den grössten Schritt in der Parteienlandschaft seit 40 Jahren. Sie wollen CVP und BDP zur Partei «Die Mitte» fusionieren. Weshalb?
Gerhard Pfister: Die Analyse der Wahlen 2019 führte das Parteipräsidium zur Erkenntnis: Auch wenn wir unsere Leute maximal mobilisieren, schaffen wir es gerade, stabil zu bleiben. Wir gewinnen nicht substanziell, wie wir das müssten. Die Zitrone ist ausgepresst.
Die CVP verharrt in ihrem Ghetto?
81 Prozent unserer Wähler und Wählerinnen haben Eltern oder Elternteile, die schon CVP wählten. Uns wählen jene Leute, die uns schon kennen – sei es über Familie, Herkunft oder Wohnort. Wir gewinnen seit 40 Jahren keine neuen Wähler dazu, leben von der Tradition. Deshalb wollen wir uns öffnen. Denn wir wissen auch: Vier von fünf Wählenden geben uns ihre Stimme nicht, obwohl sie unsere Politik gut finden. Eine bürgerliche Politik der Mitte, für die soziale Verantwortung kein leeres Versprechen ist.
Was können Sie auf dem neuen Weg erreichen?
Wir müssen Fortschritte machen in den grossen Kantonen Zürich, Bern, Waadt und Aargau. 94 von 200 Nationalratssitzen kommen aus diesen Kantonen. Wir haben davon nur drei. Das wollen wir verbessern. Die Analyse von Lukas Golder, Leiter von GfS Bern, zeigt: Fahren wir als CVP weiter wie bisher, liegt unser Wählerpotenzial bei elf Prozent. Mit der neuen Marke «Die Mitte» hingegen liegt es bei 20 Prozent.
Wie kann «Die Mitte» zulegen?
Ich bin vollends überzeugt: Wenn wir den Aufbruch wagen, werden wir die Wahlen 2023 gewinnen. Dann haben wir vier Jahre Zeit, den Wahlsieg auch in den Kantonen substanziell zu unterlegen. Nach den Wahlen 2027 können wir dann sagen: Eine starke Mitte braucht zwei Bundesräte.
Als Sie 2016 CVP-Präsident wurden, betonten Sie, das C dürfe nicht wegfallen. Was hat zu Ihrem Sinneswandel geführt?
Ich komme aus dem Kanton Zug. Dort wird das C von den Wählern verstanden. Es ist Ausdruck des Wertes der grössten Partei im Kanton. Ich unterscheide zwischen meiner persönlichen Befindlichkeit und der Situation der nationalen Partei. Ich bin Präsident der CVP Schweiz. Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich nicht über das C diskutiert habe. Die Wertedebatte stiess aber intern nicht auf sehr grosse Resonanz. Dazu kommt noch etwas anderes.
Klar ist aber: Das ist ein definitiver Schritt weg von der Kirche und vom Katholizismus?
Ja. Das zeigt sich idealtypisch in der Diskussion um die Konzernverantwortungsinitiative. Es gibt Leute, die das C behalten wollen und die Initiative bekämpfen. Es gibt aber auch Leute, die offen sind für einen neuen Namen und die Initiative befürworten. Das zeigt: Das C, das Christsein, ist in der Politik kein einheitlicher Massstab. Christsein ist individuell und persönlich. Die Verbindung, die mit dem C an uns herangetragen wird, ist deshalb nicht richtig.
Vorbild für Sie ist der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit seiner ÖVP?
Diese starke Personalisierung funktioniert in der Schweiz nicht, gerade bei der CVP nicht. Die Ausnahme bildet die SVP, die auf Christoph Blocher zugeschnitten ist. Aber sonst ja, durchaus.
Was imponiert Ihnen an Kurz?
Sebastian Kurz hat die Wählbarkeit der ÖVP erweitert. Österreich hatte eine sehr stark kartellisierte Politlandschaft. Die ÖVP war traditionell in den konservativen Bundesländern stark. Sie war eine Milieupartei wie die CVP auch.
Und wie sehen Sie den Vergleich mit der CDU/CSU?
In der CDU/CSU spielt das C keine Rolle. Der historische Auftrag der CDU war es, eine Alternative zu bieten zum Faschismus. Das C war nie konfessionell gebunden. Und wo doch, fand man mit der CSU eine andere Lösung.
Weshalb wählten Sie den Begriff «Die Mitte»?
Mit dem Namen «Die Mitte» erheben wir einen klaren Anspruch. Wir sind nicht irgendeine Mitte-Partei, sondern «Die Mitte». Unser Ziel ist es, die Stellung als führende Kraft der Mitte auszubauen. Französisch heisst der neue Name «Le Centre», italienisch «Alleanza del Centro».
«Die Mitte» tritt mit ganz neuem Logo auf. Wer entwickelte es?
Die Agentur Wirz. Das Präsidium hat verschiedene Agenturen eingeladen und sich für Wirz entschieden. Wir haben es uns nicht einfach gemacht und vertiefte Abklärungen getroffen. Wir analysierten das bisherige, orange Logo im Kontext mit den anderen Parteilogos, fragten uns auch, ob wir eine neue Farbe nehmen sollten.
Welche Farbe stand noch zur Diskussion?
Zum Beispiel Türkis. Das ist die Farbe der ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Wir entschieden uns aber, Orange als Grundfarbe zu behalten, ergänzt mit Dunkelblau als Sekundärfarbe.
Weshalb blieben Sie bei Orange?
Es ist eine einzigartige und gut eingeführte Farbe in der Schweizer Parteienlandschaft. Wir haben uns für eine orange Klammer entschieden. Sie zeigt unsere Aufgabe auf: Wir halten die Schweiz zusammen. Dazu kommen in Dunkelblau der Name «Die Mitte» und die Begriffe «Freiheit, Solidarität, Verantwortung».
Wie gefällt Ihnen das Logo?
Es ist gelungen, sieht leicht, einfach und schlicht aus, vermittelt einen ruhigen, konstruktiven, sachlichen Auftritt.
Das ist das nationale Logo. Wie sieht es für die Kantone aus?
Die Kantone sind grundsätzlich autonom in ihrem Entscheid. Sie sollen sich bis 2025 entscheiden, ob sie den neuen Namen übernehmen wollen oder nicht. Grundsätzlich könnten sie auch nach 2025 noch mit dem Namen CVP operieren. In unserer föderalen Partei ist diese kantonale Autonomie wichtig.
Das C wird nur halb abgeschafft?
Es ist ein Vorschlag für eine Namensänderung der nationalen Partei.
Wie geht es jetzt weiter?
Erstmals in der Geschichte der CVP machen wir eine Urabstimmung. Sie kommt daher wie eine Volksabstimmung, mit Abstimmungsbüchlein. Darin gibt es eine Botschaft, wir zeigen die visuelle Umsetzung, Kritiker erhalten die Möglichkeit, ihren Standpunkt einzubringen. Die Abstimmung wird notariell von externer Stelle betreut.
Droht die CVP mit dem neuen Namen nicht, ihre herausragende Stellung im Ständerat zu verlieren?
Nein. Wann hat man als Partei berechtige Chancen, einen Ständeratssitz zu bestellen? Wenn man zu den drei oder vier stärksten Parteien im jeweiligen Kanton gehört oder einen herausragenden Kopf besitzt. Deshalb sehe ich keine Gefahr, diese Stellung zu verlieren. Viel gefährlicher wäre es für unsere Stellung im Ständerat, wenn wir auf nationaler Ebene unter zehn Prozent fallen und unseren einzigen Bundesratssitz verlieren würden.
Wird sich «Die Mitte» inhaltlich neu definieren?
Wir werden unsere Positionierung als bürgerliche und soziale Partei nicht ändern müssen. Unsere Aufgabe ist es, Freiheit, Solidarität und Verantwortung zu verbinden. Dort haben wir Erfolge erzielt. Wir sind inzwischen in allen sozialen Fragen die kompetenteste bürgerliche Partei. Dort werden wir unseren Kompetenzvorsprung ausbauen. Die Analyse von GfS zeigt: Wir müssen an der Politik nichts ändern. Wir müssen die Wahrnehmung ändern.
Wer sich sozial nennt, der soll sich auch wirklich für die Schwächsten engagieren.
Es reicht einfach nicht sein Outfit zu ändern.
Ich denke auch, dass die Mitte-Partei in Zukunft dank des Namenswechsels gewisse Fragen anders beantworten kann.