Im kommenden März wird es bereits vier Jahre her sein, seit der Bundesrat unser Land in einen Lockdown versetzt hat. Danach folgten diverse weitere Massnahmen, bis die Schweiz Anfang April 2022 von der besonderen wieder in die normale Lage überging.
Eine der Folgen der zahlreichen Hygiene-Massnahmen: Nicht nur Ansteckungen mit dem Coronavirus, auch alle anderen Infektionen gingen stark zurück. Doch diese Zeit ist vorbei. Wie eine im Fachjournal «The Lancet Microbe» veröffentlichte Studie zeigt, treten sogenannte Mykoplasmen – ein «atypisches» Bakterium – derzeit wieder verstärkt auf.
Dr. Patrick Meyer Sauteur ist Infektiologe am Kinderspital Zürich und Leiter der Studie. Er hat uns die wichtigsten Fragen beantwortet.
Was sind Mykoplasmen?
Patrick Meyer Sauteur: Mykoplasmen sind – bei Kindern schon lange bekannt – eine der häufigsten bakteriellen Ursachen für Lungenentzündungen. In den allermeisten Fällen ist eine Hospitalisierung jedoch nicht nötig, wir als Spital bekommen diese Erkrankungen dann auch gar nicht mit, das regeln die Hausärzte hervorragend. Das ist auch bei der jetzigen Zunahme der Fall. Viele Patientinnen und Patienten können ambulant behandelt werden.
Sind auch Erwachsene betroffen?
Mykoplasmen sind bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen, doch auch sie können betroffen sein. Aktuell verzeichnen wir bei unserer Erfassung auch viele Infektionen bei Erwachsenen.
Durch welche Symptome äussert sich eine Infektion mit Mykoplasmen?
Es handelt sich bei Mykoplasmen generell nicht um eine Infektion, bei der ein Kind innert wenigen Tagen schwer krank wird und direkt hospitalisiert werden muss. Die Symptome äussern sich über Tage, man fühlt sich ein bisschen angeschlagen, hat Husten, eventuell auch Fieber. In vielen Fällen erholen sich Betroffene von selbst wieder. Es kann jedoch auch sein, dass eine erkrankte Person ins Spital muss. Es handelt sich aber nicht um einen fulminanten (plötzlich, schnell, schwerwiegend, Anm. d. Red.) Krankheitsverlauf.
Inwiefern haben die Corona-Massnahmen dazu geführt, dass dieser Erreger eine längere Zeit nicht mehr auftrat?
Es sind fast alle Erreger durch die Corona-Massnahmen verschwunden. Einzelne davon kamen dann früher zurück, beispielsweise das RS-Virus oder im vergangenen Winter die Häufung von Gruppe-A-Streptokokken, die Scharlach oder Angina verursachen können. Die Mykoplasmen sind bezogen auf ihr Wachstum sehr anspruchsvoll und vermehren sich viel langsamer, eine Übertragung braucht intensiveren Kontakt als bei anderen Erregern, einmal husten reicht da kaum. Wahrscheinlich sind die Mykoplasmen deswegen erst jetzt zurückgekommen.
Wieso spielen die Corona-Massnahmen eine solch relevante Rolle? Die waren in der Schweiz ja viel weniger stark ausgeprägt als zum Beispiel in China?
Es hat aber dennoch gereicht, all diese Erreger zu verdrängen. Den stärksten Einfluss hatte vermutlich das Tragen von Atemschutzmasken, das wurde auch in der Schweiz relativ lange konsequent durchgeführt. Hinzu kommen weitere Hygiene-Massnahmen wie Händewaschen, Abstandhalten etc.
Gibt es noch weitere Erreger, die aktuell vermehrt auftreten? Oder weshalb liegt der Fokus nun so stark auf den Mykoplasmen?
Dass im Moment die Mykoplasmen im Fokus sind, liegt ausschliesslich am Zeitpunkt. Erkrankungen wie Lungenentzündungen treten im Moment vermehrt auf. Wir beobachten, dass seit Ende Sommer / Anfang Herbst Mykoplasmen-Infektionen spürbar zunehmen. Im vergangenen Jahr war das bereits bei Gruppe-A-Streptokokken der Fall und dort gab es verglichen mit den Mykoplasmen weit schwerere Verläufe, die lebensgefährlich sein können. Schwere Verläufe bei den Mykoplasmen sind hingegen äusserst selten.
Kann es sein, dass in drei Monaten niemand mehr ein Wort über Mykoplasmen verliert?
Vielleicht die Medien, für uns Mediziner in den Spitälern und Praxen sind sie immer ein Thema. Es ist eine häufige und relevante Infektionskrankheit bei Kindern und Erwachsenen. Im nächsten Sommer starten wir zum Beispiel eine Studie, bei der wir analysieren, ob es bei milden Verläufen solcher Infektionen überhaupt Antibiotika braucht.
Wie sieht die geografische Verteilung der Fälle aus?
In Asien gab es schon immer mehr Infektionen, die durch Mykoplasmen verursacht werden. Wir verstehen aber nicht, weshalb dies so ist. Was die aktuelle Häufung in China betrifft: Da handelt es sich oft um einzelne Berichte von Agenturen, von Ärzten, die von Mykoplasmen-Lungenerkrankungen berichten. In unserer Überwachung ist China leider nicht dabei. Deswegen kann ich selber zu China nichts sagen, das wäre Spekulation.
Braucht es nun wieder einen erhöhten Schutz vor Ansteckungen, wie wir dies von Corona kennen?
Wie sonst im Winter sind generelle Hygiene-Massnahmen wie regelmässiges Händewaschen, Abstandhalten und bei Unwohlsein lieber einmal mehr zu Hause zu bleiben notwendig. Mehr braucht es aber nicht. Mykoplasmen sind mit der COVID-Pandemie, was die Ansteckung und Dynamik betrifft, nicht zu vergleichen. Wie es weitergeht, weiss niemand. Es besteht aber kein Grund zur Panik.