Seit bald 30 Jahren dürfen Fussball-Profis nach Ablauf ihres Vertrags ablösefrei den Verein wechseln. Der Grund dafür war das Bosman-Urteil, benannt nach Jean-Marc Bosman. Dieser hatte seinen Verein RFC Lüttich und den belgischen Fussballverband verklagt, weil die für ihn angesetzte Ablösesumme seines Arbeitgebers in seinen Augen zu hoch gewesen sei und er seine Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt sah. Das belgische Gericht 1990 und fünf Jahre später auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) gaben Bosman recht und veränderten das Transfergeschäft im Fussball nachhaltig.
Nun fällte der EuGH erneut ein möglicherweise weitreichendes Urteil. Am Freitag entschied dieser nämlich zugunsten von Ex-Profi Lassana Diarra, der wie damals Bosman seine Rechte einklagte – und vom selben Anwalt, nämlich Jean-Louis Dupont, vertreten wurde. Auf den ersten Blick wirkt Diarras Fall eigentlich wenig spektakulär, die Auswirkungen könnten dennoch riesig sein. Aber erst einmal von vorn.
Der Franzose, der zuvor unter anderem für Real Madrid und Chelsea gespielt hatte, unterschrieb 2013 einen Vierjahresvertrag bei Lokomotive Moskau, löste den Vertrag aber nach einem Jahr und einem Streit mit dem Trainer bereits wieder auf. Die Ursache ist nicht genau bekannt, angeblich wollte der Klub den Gehalt des Spielers kürzen. Es folgte ein Rechtsstreit, der vor dem Sportgerichtshof CAS endete. Dieser urteilte, dass die Vertragsauflösung ohne triftigen Grund passiert sei und Diarra deshalb 10,5 Millionen Euro an den russischen Verein zahlen musste, weil er den Vertrag nicht erfüllte.
Ein Wechsel Diarras zu Royal Charleroi scheiterte, weil auch der belgische Klub mit einer Strafe in Form von Bussen oder gar einer Transfersperre hätte rechnen müssen, sollte er den Spieler zu einer Vertragsauflösung angestiftet haben. Das Problem für Diarra und andere betroffene Spieler: «Die FIFA-Regeln unterstellen grundsätzlich, dass ein Spieler angestiftet wurde, wenn er seinen Vertrag auflöst», wie Frank Rybak, Rechtsberater einer Spielergewerkschaft, gegenüber der «Zeit» erklärt. Der neue Klub müsse also beweisen, dass dem nicht so war. Dies gestaltet sich aber schwierig.
Erst nach einem Jahr Arbeitslosigkeit unterschrieb er dann bei Marseille. Die Pause von einer Saison und den damit verbundenen finanziellen Verlust wollte Diarra aber nicht hinnehmen und verklagte deshalb die FIFA.
Der Gerichtshof der Europäischen Union urteilte am Freitagvormittag, dass die Regeln des Fussball-Weltverbands gegen europäisches Recht verstossen. «Die beanstandeten Regeln behindern die Arbeitnehmerfreizügigkeit», erklärte das Gericht in Luxemburg. So seien die Transferregeln, die Diarra betrafen, strenger als nötig und würden die Sportler und die Vereine «mit erheblichen rechtlichen, unvorhersehbaren und potenziell sehr grossen finanziellen sowie ausgeprägten sportlichen Risiken» belasten.
Der EuGH folgte damit der Empfehlung seines Generalanwalts Maciej Szpunar. Dieser argumentierte, dass die Bestimmungen «Vereine aus Furcht vor einem finanziellen Risiko davon abschreckten oder abhielten, den Spieler zu verpflichten».
Diese sind noch nicht absehbar. Es ist jedoch klar, dass die FIFA und die UEFA ihre Regeln in Bezug auf eine Vertragsauflösung seitens des Spieler ändern muss. Die FIFA berief sich bisher darauf, Vertragssicherheit herstellen zu wollen. Profis sollen nicht einfach aus laufenden Verträgen aussteigen dürfen. Dies sei auch legitim, wie zum Beispiel Sportökonom Oliver Budzinski ebenfalls gegenüber der deutschen Wochenzeitung erzählte. «Die aktuellen Regeln tun aber viel mehr als das. Man könnte sagen: Sie schiessen über das Ziel hinaus.»
Dies sah nun auch der Europäische Gerichtshof so. Im extremsten Fall könnte sich der Transfermarkt noch stärker wandeln als durch das Bosman-Urteil. Einige sprachen im Vorfeld der Urteilsverkündung deshalb bereits von einem möglichen «Bosman 2.0». Denn sollte das Kündigungsrecht der Spieler gestärkt werden und sie einseitig aus ihren Verträgen aussteigen können, würden die Transfersummen deutlich sinken. Schliesslich liegen die immensen Beträge unter anderem an den langfristigen Verträgen der Spieler.
Wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Vielmehr dürften FIFA und UEFA ihre Regeln leicht anpassen, um die Chancen auf künftige Klagen zu verkleinern, nicht aber eine Implosion des gesamten Transfermarkts zu provozieren.
andererseits werden Vertragstäubeler wie Aubamayang oder Dembele nun am längeren Hebel sitzen, was auch wiederum nicht so toll ist.