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Interview

Viola Amherd: «Der Preis eines Atomschlags wäre für Russland sehr hoch»

Bundesraetin Viola Amherd spricht waehrend der Fragestunde, waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 26. September 2022, im Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Viola Amherd nimmt Stellung zum Kampfjet-Kauf und zur Möglichkeit eines Atomschlags in der Ukraine.Bild: keystone
Interview

Bundesrätin Amherd: «Der Preis eines Atomschlags wäre für Russland sehr hoch»

Im Interview erklärt Verteidigungsministerin Viola Amherd, warum sie die Initiative gegen den F35 nicht abwarten wollte. Und sie schildert im Detail, wie der Bund im Falle eines Atomschlags in der Ukraine die Schweizer Bevölkerung zu schützen gedenkt.
02.11.2022, 06:4402.11.2022, 07:03
Stefan Bühler / ch media
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Es ist ein kurzer Flug. Nur 35 Minuten dauert der Transfer mit dem Bundesratsjet vom Flughafen Belpmoos auf die norditalienische Militärbasis Cameri in der Nähe von Mailand. An Bord ist die Spitze des Verteidigungsdepartements, darunter Rüstungschef Martin Sonderegger und die Chefin persönlich, Verteidigungsministerin Viola Amherd. Auf Einladung des Departements begleitet CH Media die Delegation. Für Amherd ist es der erste Besuch in Cameri, wo voraussichtlich 24 der 36 neuen Kampfjets vom Typ F35 produziert werden sollen. Mitte September hat der Bund die Kaufverträge für die teuerste Beschaffung in der Geschichte der Armee unterzeichnet: 6.035 Milliarden Franken kosten die Kampfflieger laut offiziellen Angaben.

Hätten Sie das Werk in Cameri nicht vor dem Kaufentscheid besuchen müssen, um sich ein unabhängiges Bild zu verschaffen?
Viola Amherd: Nein, das wäre nicht gut angekommen. Man hätte mir allenfalls vorgeworfen, dass ich mich umgarnen lasse.

Sie hätten ja alle Hersteller vor dem Kaufentscheid besuchen können.
Das ist nicht üblich. Jetzt nach dem Entscheid geht es aber darum, die Kontakte mit dem italienischen Verteidigungsministerium und den Verantwortlichen für die Jet-Produktion in Cameri zu vertiefen. Wir haben zudem jetzt ein Interesse, Einblick in die technischen Details der Fertigung und den Aufbau des Flugzeugs zu erhalten. Denn der Unterhalt der Jets wird später in der Schweiz erfolgen.

Die USA haben kürzlich wegen Problemen mit den Schleudersitzen sämtliche F35 am Boden behalten. Ist das nicht beunruhigend?
Es war eine Serie von Schleudersitz-Patronen fehlerhaft. Dass alle Jets gegroundet wurden, war eine reine Vorsichtsmassnahme. Das beruhigt mich: Die Kontrollen funktionieren und Pannen werden von den USA offen kommuniziert.

Kritik äusserte aber auch die Eidgenössische Finanzkontrolle: Sie zweifelt, dass der vereinbarte Preis wirklich eingehalten wird.
Unser Vertrag mit der US-Regierung ist klar und beinhaltet Fixpreise. Die Teuerung ist darin enthalten, Währungsschwankungen hat der Bund abgesichert.

«Ich habe die Abstimmung nicht verhindert.»
Viola Amherd

Mit so vielen Argumenten wäre eine Volksabstimmung doch locker zu gewinnen gewesen. Warum haben Sie trotzdem die Abstimmung über die Initiative gegen den Kauf von US-Kampfjets verhindert?
Ich habe die Abstimmung nicht verhindert. Die Bevölkerung hat dem Kauf neuer Kampfflugzeuge vor zwei Jahren zugestimmt. Die vier Typen, darunter die amerikanischen, waren damals schon bekannt, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wussten, dass die Wahl auch auf ein amerikanisches Flugzeug fallen könnte.

Noch im Frühling haben Sie aber in der Armeebotschaft geschrieben, der Bund wolle eine Abstimmung über die Initiative abwarten, bevor man unterschreibe. Warum Ihr Meinungswechsel?
Die Armeebotschaft wurde schon im vergangenen Jahr geschrieben. Und als der Bundesrat sie verabschiedet hat, herrschte in der Ukraine noch kein Krieg. Wir wussten überdies noch nicht, dass Finnland, Deutschland und Kanada alle auch den F35 kaufen wollen. Wir hätten mit den USA Nachverhandlungen führen müssen, und es wäre unsicher gewesen, ob wir die Offerte überhaupt hätten verlängern können. Zudem hat das Initiativkomitee für seine Sammlung mehr Zeit benötigt, als es angekündigt hatte. Schliesslich hat das Parlament festgehalten, dass der Bundesrat unterschreiben soll, solange die Offerte gültig war.

Über 100'000 Bürgerinnen und Bürger haben die initiative unterzeichnet. Ist es nicht eine Missachtung der direkten Demokratie, das Volksbegehren einfach zu übergehen?
Im Gegenteil. Wir haben einen Volksentscheid. Zudem haben Initiativen keine Vorwirkung, sonst könnte man ja mit Unterschriftensammlungen jedes Geschäft blockieren.

Angekommen in Cameri, begrüsst der Generalsekretär des italienischen Verteidigungsministeriums, Viersternegeneral Luciano Portolano, die Schweizer Bundesrätin. Er trägt eine reich geschmückte Uniform. Auf der Landebahn ist der rote Teppich ausgerollt, ein Trompeter bläst ein Ständchen, die Ehrengarde steht stramm. Nach einem Steh-Apéro im «Tiger House», dem mit Kampfjetfotos und Tigerköpfen dekorierten Club-Raum italienischer Piloten, steht eine erste kurze Sitzung an. Amherd signalisiert das Interesse des Bundes, dass Schweizer Techniker in die Produktion der Jets in Cameri integriert werden, damit sie Erfahrungen für den späteren Unterhalt der Maschinen sammeln können. General Portolano zeigt Verständnis – verweist aber darauf, dass auch die Amerikaner, Lockheed-Martin, damit einverstanden sein müssten.

Mit dem Kauf des F35 gliedert sich die Schweizer Luftwaffe voll in das Luftabwehrsystem der Nato ein. Wo bleibt da die Neutralität?
Wir integrieren uns nirgends. Wir haben eine Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, profitieren gegenseitig von den Erfahrungen mit dem neuen Flieger und dem technischen Know-how. Integration hiesse, dass wir uns verpflichten, im Ernstfall für andere Länder Kampfeinsätze zu fliegen. Das kommt nicht in Frage.

Allerdings ist auch die Schweizer Rüstungsindustrie eng mit der Nato verbandelt. Das zeigt der Fall der im Inland produzierten Munition der Gepard-Panzer, die Deutschland an die Ukraine liefern will, was aber wegen der Neutralität nicht möglich ist.
Das hat mit unserer Zusammenarbeit mit der Nato nichts zu tun. Es betrifft Kriegsmaterialexporte, für die das Wirtschaftsdepartement zuständig ist.

Nach dem ersten Gespräch Amherds mit General Portolano steht die Besichtigung der Produktionshallen auf dem Programm. Für den Rüstungskonzern «Leonardo» übernimmt ein Direktor mit prominentem Namen die Führung: Marco Zoff, Sohn des legendären Torhüters Dino Zoff. Vater und Sohn ist anscheinend eine Vorliebe für die Luftabwehr gemeinsam. Das Programm wird offensichtlich nicht zum ersten Mal abgespult: In der Halle, wo die Flügel der F35 zusammengebaut werden, erfolgen die Erklärungen routiniert. An der Wand hängt ein Banner mit den Wappen aller Käufer-Staaten, von Australien bis Norwegen, und zahlreichen Unterschriften. Auch Amherd und der Schweizer Rüstungschef dürfen ein Autogramm hinterlassen. Wo der Journalist aus Geheimhaltungsgründen nicht dabei sein darf, kümmern sich zwei Kommunikationsexperten und ein schneidiger Admiral um seine Betreuung. Ihre Botschaft: Der Bund hätte kein besseres Flugzeug kaufen können. Und auf die Frage, was ein Flieger wie der F35 in einem Krieg wie in der Ukraine ausrichten könnte, sagt der Admiral sinngemäss: Die Russen hätten wohl gar nicht angegriffen.

Frau Amherd, Sie haben zuvor gesagt, der Ukraine-Krieg habe die Ausgangslage bei der Beschaffung des Kampfjets geändert. Wie hängt das zusammen?
Einen direkten Zusammenhang zwischen dem Kauf der F35 und dem Ukraine-Krieg gibt es nicht. Aber man sieht, dass deswegen alle europäischen Staaten ihre Armeebudgets erhöhen und viele solche Flugzeuge kaufen. Wir haben unterzeichnet, damit wir unser vertraglich vereinbartes Produktionsfenster nicht verlieren.

«Die Gefahr eines nuklearen Ereignisses in der Ukraine besteht.»
Viola Amherd

Welche direkten Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg denn sonst auf die Sicherheitslage der Schweiz?
Das Risiko, dass wir in diesem Zusammenhang mit konventionellen Waffen angegriffen werden, ist zurzeit nicht gegeben.

Und das Risiko eines Atomkriegs?
Die Gefahr eines nuklearen Ereignisses in der Ukraine besteht, sei es ein Unfall oder ein gezielter Einsatz. Doch unsere Spezialisten erachten die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis zurzeit als nicht hoch.

Wie kommen sie darauf?
Sie analysieren den bisherigen Verlauf des Kriegs. Ein Kriterium ist auch, wie hoch der Preis für Russland selbst ist – der wäre sehr hoch.

Doch auch Ihre Spezialisten sehen nicht in den Kopf von Wladimir Putin. Wie ist die Schweiz auf einen Nuklearkrieg vorbereitet?
Der Nachrichtendienst des Bundes und der Armee befassen sich 24 Stunden, sieben Tage pro Woche mit dem Krieg in der Ukraine. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz aktualisiert laufend das Gesamtlagebild. Darin ist das Szenario eines Kernwaffenereignisses stets einbezogen. Mit der Nationalen Alarmzentrale verfügen wir über die Infrastruktur, um zu sehen, welche Folgen ein solches Ereignis in der Ukraine für die Schweiz hätte, und die Bevölkerung zu warnen. Wir verfügen über Berechnungen, was es je nach Wetterlage für uns heisst, wenn in der Ukraine eine Kernwaffe gezündet wird. Das sind Szenarien, die man vorbereiten kann. Aufgrund der Distanz zwischen der Schweiz und der Ukraine wären allerdings kaum gesundheitliche Auswirkungen für die Schweizer Bevölkerung zu erwarten.

Was würde als Erstes gemacht?
Man könnte grob – aber nicht auf die Stunde genau – sagen, wann eine nukleare Wolke hier in der Schweiz ankäme. Je nach den vorherrschenden Wetterverhältnissen und der Schwere der radioaktiven Belastung – also etwa bei einem gravierenden Unfall in einem ukrainischen AKW – müssten in der Schweiz allenfalls gewisse Massnahmen wie Ernte- oder Weideverbote erlassen werden. Für die Alarmierung würden ähnliche Mechanismen zum Tragen kommen wie bei einem KKW-Unfall in der Schweiz. Wichtig ist die korrekte Information der Bevölkerung, darauf sind wir vorbereitet. Die Kantone und die Gemeinden würden dann den Einwohnerinnen und Einwohner Schutzräume zuteilen.

Das Interview mit CH Media führt Amherd im Anschluss an den Rundgang in einem Sitzungszimmer auf der Militärbasis. In der Ferne sind die Schweizer Alpen zu sehen. Amherd zeigt sich zufrieden mit der Visite: Noch einmal sei ihr plausibel versichert worden, dass sich am Preis der Flieger gar nichts mehr ändern könne. Expertin für Kampfjets sei sie zwar nicht geworden, aber gelernt habe sie viel. «Die F35 sind nicht einfach Kampfjets, das sind fliegende Computer.»

Sie sind nicht nur Verteidigungs-, sondern auch Sportministerin. Bald beginnt die Fussball-WM in Katar, im Advent. Freuen Sie sich?
Es ist ungewohnt. Normalerweise fahre ich in der Adventszeit Ski. Aber ich freue mich auf die Spiele der Schweizer Mannschaft. Es ist eine sehr gute Equipe, die etwas erreichen kann.

Katar ist wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik, es ist kein demokratisches Land, beim Bau der Stadien sind Hunderte, wenn nicht weit über tausend Arbeiter gestorben. Müsste man nicht aus Protest die WM boykottieren und auch als Regierung fernbleiben?
Der Bund setzt sich bei allen Gelegenheiten für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Es ist besser, auch über schwierige Themen zu reden als fernzubleiben.

Werden Sie doch noch nach Katar reisen, wenn die Schweizer Nati weiterkommt?
Es ist nicht vorgesehen.

Auch nicht, wenn die Schweiz den Final erreicht?
Ich habe für mich entscheiden, dass ich nicht gehe. Mir ist es sympathischer, der Mannschaft von hier aus die Daumen zu drücken. (aargauerzeitung.ch)

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19 Kommentare
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Spi
02.11.2022 09:43registriert März 2015
Die Frau ist für die Armee schlicht ein Glücksfall. Danke für die offene und gute Kommunikation!
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