Die Schweiz sagt deutlich Ja zu mehr Geld für die Grenzschutzagentur Frontex. Ist der heutige Tag für Sie ein freudiger?
Sanija Ameti: Nein, überhaupt nicht. Wir machen hier darum auch kein Fest, sondern stellen eine Installation aus, die auf Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen aufmerksam macht. Und an die vielen Flüchtenden, die dort sterben. Feiern werden wir erst, wenn es legale Fluchtwege gibt und das Botschaftsasyl wieder eingeführt wird. Der SP-Ständerat Daniel Jositsch hat dazu eine Volksinitiative angekündigt, die wir unterstützen wollen.
Ein politisch gewagter Vorstoss angesichts der vielen Menschen aus der Ukraine, die derzeit in die Schweiz fliehen, finden Sie nicht?
Gar nicht. Gerade der Ukrainekrieg zeigt doch, dass es möglich ist, eine grosse Anzahl Flüchtende in der Schweiz aufzunehmen. Wenn das für Ukrainerinnen möglich ist, warum dann nicht auch für Syrerinnen und andere? Ich bin selbst auch Geflüchtete. Und als solche ist diese Ungleichbehandlung etwas, das ich nicht nachvollziehbar finde.
Auch wenn Sie nicht feiern: Trotzdem haben Sie gerade einen Abstimmungskampf gewonnen.
Wir sind erleichtert über das klare Ja. Ein grosser Teil der Bevölkerung findet, dass wir gesamteuropäische Probleme nicht an der Urne lösen können. Ja oder Nein an der Urne in der Schweiz zu sagen, wird nichts an Frontex ändern. Diese besteht ohnehin weiter. Ein Nein hätte keinen einzigen Pushback verhindert. Mit einem Ja hingegen kann die Schweiz weiterhin europaweit mit den Staaten zusammenarbeiten, auf Missstände hinweisen, Frontex mitkontrollieren und Verbesserungsvorschläge machen.
Die Schweiz beteiligt sich bereits seit zehn Jahren an Frontex. Das Referendumskomitee argumentiert darum, es hätte längst die Möglichkeit gegeben, auf Missstände aufmerksam zu machen.
Ueli Maurer oder Karin Keller-Sutter interessieren sich nicht für dieses Thema. Es gab innenpolitisch bisher kaum Diskussionen über die Frontex. Und das Parlament hat nie geeint Druck gemacht. Das muss sich jetzt ändern. Dass es Probleme gibt, haben inzwischen auch die EU-Mitgliedstaaten erkannt. Nachdem diverse Skandale aufgedeckt wurden, musste der Frontex-Chef Fabrice Leggeri zurücktreten. Daraufhin hat das EU-Parlament die Haushaltsentlastung 2020 für die Grenzschutzagentur verweigert. Darum ist es wichtig, dass Ueli Maurer und Karin Keller-Sutter sich mit den EU-Staaten zusammensetzen und sie bei der Problemlösung unterstützen. Denn die Schweiz muss mitverantworten, was sie mitbetrifft.
Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten mit dem Schengen-Rauswurf ein Angstszenario erschaffen, das gar nicht zutrifft. Was sagen Sie dazu?
Die Mehrheit der Staatsrechtler sind sich einig, dass ein Nein zu den Frontex-Geldern automatisch den Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Abkommen bedeutet hätte. Man hätte dann darauf spekulieren können, ob sich die EU-Mitgliedstaaten trotzdem für den Verbleib der Schweiz im Schengenraum aussprächen.
Die EU hat doch kaum ein Interesse daran, die Schweiz aus dem Schengenraum zu kippen.
Natürlich nicht. Aber letztlich ist es einfach so, dass die EU die Durchsetzung von ihrem eigenen Recht höher gewichtet, als den Schweizer Sonderweg. Deshalb wird sie keine Ausnahmen für die Schweiz machen, weder bei Schengen, noch bei den Regeln des Binnenmarkts. Wenn die EU Ausnahmen für die Schweiz macht, die ja nicht mal ein Mitgliedstaat ist, dann wollen alle anderen EU-Staaten erst Recht Ausnahmen wollen. Und damit würde sich die EU faktisch selbst abschaffen.
Sie sagen, jetzt müsse man dafür sorgen, dass die Menschenrechtsverletzungen an der EU-Aussengrenze aufhören, dass die Frontex reformiert wird. Wie wollen Sie das schaffen?
Wir werden Druck auf den Bundesrat machen. Alle Parteien, die sich für eine liberale Flüchtlingspolitik einsetzen, müssen jetzt innenpolitisch wieder zusammenkommen. Wir haben eigentlich dasselbe Ziel: dafür zu sorgen, dass an den EU-Aussengrenzen die Menschenrechte eingehalten werden. Das Ziel muss sein, dass auch der Bundesrat diese Haltung im gesamteuropäischen Gremium vertritt.
Die Schweiz ist ein kleiner Player. Kann sie in gesamteuropäischen Anliegen überhaupt etwas ausrichten?
Am Schluss bleibt die europäische Aussengrenze ein europäisches Problem, das stimmt. Alle EU-Staaten müssen diese Reform vorantreiben. Was nicht heisst, dass die Schweiz kein Teil davon ist. Klar ist die Schweiz ein kleines Land. Doch als Schengenmitglied hat sie eine Stimme, wie jedes andere Land auch. Und die muss sie nutzen.
Weil das viele hier einfach nicht wollen. Die Ukrainer suchen primär vorübergehend Schutz und sind aus ähnlichen Kulturkreisen. Die Integration ist relativ einfach. Bei Syrern halt einfach nicht, siehe Deutschland und Schweden. Ich will keine Parallelgesellschaften.
Es mag moralisch nobel sein, allem und jedem Unterschlupf zu bieten. Allerdings wird nach dem ersten Mitgefühl der Bevölkerung ziemlich bald das politische Pendel umschlagen. Siehe dazu Deutschland 2015. Damit wird niemandem geholfen sein.