25 Personen haben sich am Dienstagabend an einem Feuerlauf-Anlass auf der Halbinsel Au teils schwere Verbrennungen zugezogen. 13 von ihnen mussten ins Spital. Die Rettungskräfte rückten mit einem Grossaufgebot zu der auf Gemeindegebiet von Wädenswil ZH liegenden Halbinsel aus.
Die Verletzten sind bei einem firmeninternen Anlass des Vermarkters Goldbach (TX Group) bei einem sogenannten Feuerlauf barfuss über glühende Kohlen gegangen. watson hat bei Feuerlauftrainer Otto Gerber nachgefragt, wie so etwas passieren konnte.
Herr Gerber, was ist da schiefgelaufen?
Otto Gerber: Das frage ich mich auch. Ich mache das seit 36 Jahren, weltweit am längsten. Doch so etwas habe ich noch nie erlebt.
Hätte man nicht spätestens nach den ersten paar Verletzten abbrechen müssen?
Doch, natürlich! Da muss jemand grob fahrlässig gehandelt haben. Vielleicht waren es Esoteriker, die wollen immer alles besser wissen. Oder einfach sehr unerfahrene Führer.
Gemäss der Kantonspolizei seien die Schmerzen der Verbrennungen nicht sofort eingetreten, sondern mit Verzögerung. Kann das sein?
Nein. Das merkt man augenblicklich. Wenn sich jemand verbrennt, dann schreit die Person unverzüglich. Und dann noch 24 weitere Personen laufen zu lassen, das ist verantwortungslos.
Was könnten denn die Ursachen gewesen sein?
Ich habe gehört, dass die Teilnehmer zu früh losgelaufen seien. Wenn dem so war, dann wäre das ein riesiger Fehler gewesen. Bei meinen Events läuft niemand, bevor ich nicht mindestens zweimal übers Feuer gegangen bin. Der Leader muss abschätzen, ob die 700 Grad begehbar sind. Das ist nicht immer gleich.
Verbrennen sich die Leute bei Ihnen nie?
In den 80er-Jahren kam es vereinzelt zu Verbrennungen. Ich glaube, es waren insgesamt vier. Daraus haben wir gelernt. Seit 1993 hat sich von den über 10'000 Personen, die wir übers Feuer geführt haben, keine einzige mehr verbrannt. Das darf einfach nicht passieren.
Wie schafft man es denn normalerweise, dass sich niemand verletzt?
Mit Vorbereitungsübungen. Ich versuche, die Leute davon abzubringen, alles immer erklären zu wollen. Am schlimmsten sind Polizisten, Lehrer und IT-Fachleute. Generell ist unser Hirn sehr linkslastig. In der Vorbereitung wird versucht, die rechte Gehirnhälfte zu aktivieren. Dann läuft man nicht mehr mit dem Verstand übers Feuer, sondern mit der Intuition. Ganz ohne Hypnose. Das Ziel ist nämlich nicht, dass jeder den Gang wagt, auch wenn es letztlich über 95 Prozent der Teilnehmenden machen. Das Ziel ist, dass man eine Entscheidung trifft.
Wann ist man bereit, um übers Feuer zu laufen?
Nach mindestens zwei bis drei Stunden Vorbereitungsübungen. Besser noch mehr.
Und was macht man da für Vorbereitungsübungen?
Begegnung und Bewegung. Wir machen unter anderem Konversationsübungen, bei denen sich zwei Personen gegenübersitzen und sich über ein Stichwort etwas erzählen müssen. Die eine Person hört dabei nur zu. Das kann unangenehm sein, man begegnet dabei oft seinem Schatten.
Gibt es noch andere Übungen?
Klar. Ganz viele. Wir machen etwa Blindenführungen, bei der eine Person von einer anderen herumgeführt wird. Oder blind rennen, das braucht sehr viel Überwindung. Wir machen Schwebeübungen, bei der eine Gruppe eine einzelne Person zu Musik langsam in die Luft hebt und wieder absenkt. Ich könnte noch stundenlang weitererzählen.
Was ist das Ziel dieser Übungen?
Die rechte Hirnhälfte zu aktivieren. Diese ist nicht rational, sondern intuitiv. Das sieht man bei unseren Kinderläufen: Die Kids wissen von selbst, ob sie gehen sollen oder nicht. Da kann ihnen niemand hereinreden. Ihre rechte Hirnhälfte ist noch viel aktiver als bei Erwachsenen.
Die rechte Hirnhälfte ist aktiviert, die Vorbereitung abgeschlossen. Was passiert dann?
Gegen Abend geht man gemeinsam zur Feuerstelle, schichtet die rund 1,5 Tonnen Holz und zündet sie an. Nach etwa eineinhalb Stunden gibt es eine schöne Glut, da dürfen alle noch etwas rechen. Danach herrscht Redeverbot. Die Leute dürfen ihre Angst nicht durch Schwatzen oder Witzeln verdrängen. Ich gehe zuerst übers Feuer, dann dürfen die anderen. So klappt das immer.
Müssen die Teilnehmenden vor dem Lauf trotzdem noch einen Haftungsausschluss unterschreiben?
Ich glaube, wir sind die Einzigen, die das nicht fordern. Die Statistik ist auf unserer Seite: keine Verletzungen bei den letzten 450 Veranstaltungen mit insgesamt über 10'000 Teilnehmenden. Wir beobachten die Leute bei der Vorbereitung genau und können sehr gut einschätzen, wer das Potenzial hat und wer nicht. Manchmal müssen wir Leute zurückhalten oder gar wegschicken, wenn sie den «Joggel» machen, das geht natürlich nicht.
Wieso macht man Feuerläufe überhaupt?
Aus fünf Gründen: Erstens, um sich auf den Moment zu konzentrieren. Das macht man ja heute nicht mehr sehr oft. Zweitens: Die Kraft, die in der Angst liegt, kann man positiv nutzen. Das sieht man bei vielen verschiedenen Kulturen, die das Feuerlaufen seit Jahrhunderten praktizieren.
Und weiter?
Man hört auf seine innere Stimme. Das kann man nicht lernen, das ist Intuition. Man muss es erfahren. Es ist wie beim Fahrradfahren: Man kann hundert Bücher übers Fahrradfahren lesen und wird es dann trotzdem nicht können, wenn man es zum ersten Mal versucht.
Bleiben noch zwei weitere Gründe.
Man lernt, seinem Schatten zu begegnen. Deswegen machen wir in der Vorbereitung einige Übungen, die vielleicht eher etwas unangenehm sind. Und der letzte Grund: Mit der richtigen Einstellung kann man auch seine Selbstheilungskräfte aktivieren.
Wie sind Sie zum Feuerlaufen gekommen?
Das war vor 36 Jahren. Ich habe einen Bericht eines Pfarrers gelesen, der einen der ersten Feuerläufe in Deutschland miterlebte. Ich konnte das Ganze nicht glauben und habe den Pfarrer angerufen. Wir haben über eine Stunde telefoniert und er hat mich dann schliesslich dazu überredet, am nächsten Tag bei einem Feuerlauf teilzunehmen. Zuerst wollte ich nur zuschauen, doch als ich die unversehrten Füsse der ersten Läuferin sah, hat es mich gepackt. So kam ich gemeinsam mit einem Kollegen dazu, mehr darüber zu erfahren und schliesslich selbst Kurse anzubieten. Ich war damals Kreditchef bei einer Grossbank und musste das alles geheim halten, sonst hätte man geglaubt, ich sei in einer Sekte. Heute ist das zum Glück anders.
Alleine wegen ein paar gspürschmi-fragen zur vorbereitung ?