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120 eingeschläferte Hunde: Experte übt Kritik im Fall Ramiswil

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War kein Platz für so viele Hunde in Tierheimen? Hunde in einem Tierheim in Winkel in Kloten.Bild: keystone
Interview

«Einschläfern kann nur die Ultima Ratio sein»: Experte übt Kritik im Fall Ramiswil

Ein Tierrechtsexperte kritisiert das Vorgehen der Behörden im solothurnischen Ramiswil und sagt, warum es bei Haustieren eher zu solch extremen Fällen kommen kann als bei Nutztieren.
11.11.2025, 05:5011.11.2025, 05:50
Sabine Kuster / ch media

Wie kann es so weit kommen, dass jemand seine Tiere vernachlässigt?
Gieri Bolliger: Die Gründe sind sehr verschieden: Manchmal haben die Tierhalter nicht die nötige Zeit oder nicht die nötigen Finanzen, manchmal interessieren sie die Bedürfnisse der Tiere schlicht zu wenig. Jede Besitzerin und jeder Besitzer steht in der Verantwortung, die tierschutzrechtlichen Pflichten zu erfüllen und die Tiere angemessen und artgerecht zu ernähren, zu bewegen und zu pflegen.

Wie kann eine Situation so ausser Kontrolle geraten wie in Ramiswil?
Manchmal sind die Leute auch überfordert. Gerade wenn es zu einer solchen Masse von Tieren kommt wie auf dem Hof in Ramiswil mit 120 Hunden, 42 Pferden und zwei Ziegen. Dieser Fall ist extrem und die Situation dort muss völlig aus dem Ruder gelaufen sein.

Gieri Bolliger
Gieri Bolliger ist Rechtsanwalt und Geschäftsleiter bei der Stiftung für das Tier im Recht. Er hat seine Doktorarbeit zum Europäischen Tierschutzrecht geschrieben und ist Autor mehrerer Bücher und Gutachten zum Tierrecht. Bolliger hat 2013 als erster nichtamerikanischer Jurist das Zusatzstudium «Master in Animal Law» in Portland, Oregon, abgeschlossen. Seit 2005 lehrt er Tierschutzrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Zürich.
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Bild: zvg

Das muss auch die Besitzerin realisiert haben. Warum hat sie nicht gehandelt?
Ohne die Einzelheiten des Falles zu kennen, ist das schwierig zu erklären. Offensichtlich ist jedoch, dass sie über lange Zeit ihre Verantwortung nicht wahrgenommen hat, sodass die Tiere schwerstens vernachlässigt wurden.

Offenbar hatte sie andere Teile ihres Lebens im Griff oder zumindest einen Beruf ausgeübt.
Das macht den Fall umso erstaunlicher und schwerer zu entschuldigen. Denn beim sogenannten Animal Hording, also dem unkontrollierten Horten von Tieren, haben die Betroffenen meist auch ihr sonstiges soziales oder berufliches Leben nicht mehr im Griff. Sie sind allgemein mit dem Leben überfordert und die Lage spitzt sich zu, wenn sich die Tiere dann vermehren. Solche Fälle kommen in der Schweiz ein paar Mal jährlich vor.

Hof Ramiswil
Der betroffene Hof im solothurnischen Ramiswil.ch media

Sind die Besitzerinnen und Besitzer in solchen Fällen im Nachhinein einsichtig?
Teilweise. Es kommt immer wieder vor, dass die Halterinnen und Halter nach einer Intervention der Behörden erleichtert sind, dass die Probleme ans Tageslicht kamen. Oft realisieren sie es, aber können es nicht kommunizieren. Andere sind jedoch renitent und reagieren sehr aggressiv.

Das Thema ist wohl mit viel Scham verbunden: Niemand will ein Tierquäler sein. Würde eine niederschwellige, anonyme Anlaufstelle Abhilfe schaffen?
Möglicherweise. In diesem Fall frage ich mich allerdings, ob es geholfen hätte. Auch der Tierschutz hätte der Frau geholfen, wenn sie sich gemeldet hätte.

Die Behörden wurden dafür kritisiert, nicht schneller eingegriffen zu haben.
Ja, 120 eingeschläferte Hunde, das wirft Fragen auf. Warum konnten die Pferde und die Ziegen platziert werden, aber kein einziger Hund? Es erscheint einfach nicht als plausibel, dass jeder einzelne so krank war, dass ein Weiterleben tierethisch nicht vertretbar gewesen wäre. Offenbar gab es noch keine toten Tiere. Ich frage mich, ob wirklich jeder Hund einzeln beurteilt wurde.

Wie sieht es denn in den Schweizer Tierheimen aus? Wäre da überhaupt Platz gewesen?
Klar ist der Platz knapp. Aber haben die Behörden wirklich alle Kontakte abgeklappert? Es gibt viele Auffangstationen und Pflegestellen. Bei uns melden sich jetzt Leute, die erschüttert sind und sagen: Wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich einen der Hunde aufnehmen können. Solche Hilfe funktioniert in Notfällen sehr gut. Das Einschläfern kann nur die Ultima Ratio sein.

Offenbar waren die Zustände schnell schlechter geworden.
Laut unseren Informationen hat das Veterinäramt auf diesem Hof schon im Mai eine Kontrolle durchgeführt. Ich frage mich, ob es in der Folge genug engmaschig nachkontrolliert hat, dass ein halbes Jahr später solche Zustände herrschen können.

Wie würde ein solcher Fall im Idealfall ablaufen?
Der Knackpunkt ist eben, dass es bei Haustieren keine regelmässigen Kontrollen gibt wie bei Nutztieren. Dort läuft es selten so aus dem Ruder: Der Veterinärdienst macht von Amtes wegen Kontrollen und gegebenenfalls Auflagen, der Tierhalter behebt die Mängel, die Haltung wird später erneut kontrolliert und stellt oftmals fest, dass das Problem behoben wurde – oder zumindest die gesetzlichen Vorgaben erfüllt wurden.

Bei Haustieren aber wird das Veterinäramt spät auf Probleme aufmerksam?
Ja, es muss zuerst ein Hinweis aus der Bevölkerung eingehen. Wenn dieser gut begründet ist, muss das Amt dem nachgehen. Im Fall mit den Hunden gab es diese Meldungen aber schon und trotzdem ist die Situation dort eskaliert. (aargauerzeitung.ch)

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112 Kommentare
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Meroë
11.11.2025 06:08registriert Januar 2019
Natürlich, finde ich das Einschläfern so vieler Tiere sehr heftig. Aber velleicht waren einige Hunde nicht totkrank, sondern einfach nicht vermittelbar, weil nicht sozialisiert und tief traumatisiert? Wieviele von diesen Personen, die jetzt sagen, sie hätten einen solchen Hund aufgenommen, wären tatsächlich mit dem Tier klar gekommen? 50 kg-Herdenschutzhunde sind keine Hunde, die man im Wohnzimmer hält und tagsüber mit ins Büro nimmt.
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Rodger
11.11.2025 06:50registriert November 2020
Mit zimlich wenig wissen zur Situation vor Ort ziemlich viele Aussagen gemacht.
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Chnebeler
11.11.2025 07:02registriert Dezember 2016
Das traurige an dem Fall ist, dass Tierschützer über Monate hinweg die Behörden auf den Fall aufmerksam gemacht haben und die Behörden einfach sehr langsam reagiert haben. Es ist einfach traurig, dass Tiere für viele nicht mehr zählen. Denn solche Höfe und Tierhalter gibt es leider noch viel mehr in der Schweiz.
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