Bundesratskandidat Ignazio Cassis hat diese Woche die Quotendebatte neu entfacht. Gegenüber «Le Matin Dimanche» sagte er:
Sagt der, der vermutlich Bundesrat wird, nur weil er Tessiner ist. Mamma mia! pic.twitter.com/93yM2KNxnt
— Christina (@CHiltbrunner) 2. August 2017
Ein Satz, der viral ging. In den sozialen Netzwerken ärgerten sich User über Cassis Aussage oder machten sich über sie lustig. Vor allem Frauen. An der Debatte beteiligt sich auch Maya Graf, Nationalrätin der Grünen und Co-Präsidentin des Bunds Schweizerischer Frauenorganisationen Alliance F.
Frau Graf, was sagen Sie zur Aussage von Ignazio Cassis?
MAYA GRAF: Bundesratkandidat Cassis schiesst damit ein prächtiges Eigentor
(lacht). Er spricht sich gegen die Quoten von Frauen aus, begründet seine Kandidatur aber selber mit dem Anspruch des Tessins auf einem Bundesratssitz.
Macht Sie die Aussage von Cassis
wütend?
Nein. Ich finde den Spruch so
entlarvend, dass ich ihn bereits wieder lustig finde. Er entlarvt,
dass Cassis gar nicht begriffen hat, worum es eigentlich geht. Um
das Einbinden von allen Bevölkerungsschichten, was in unserem
politischen System eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Sollte nicht einfach die fähigste Person gewählt werden, unabhängig von Geschlecht und Herkunft?
Generell kann man sagen, dass sowohl Frauen wie Männer
Wert darauf legen, dass sie kompetent sind. Mit dieser Voraussetzung
kann man den Spiess umdrehen und provokativ sagen: Bis jetzt hat es
offensichtlich gereicht, wenn man ein Mann war?
Tessiner wie Frauen waren in den
letzten 20 Jahren im Bundesrat untervertreten. Welche von diesen
beiden Gruppen hat mehr Anspruch auf den freiwerdenden Sitz von Noch-Bundesrat Didier Burkhalter?
Ganz klar – die Frauen. Wobei ich
damit den Anspruch des Tessins auf einen Bundesrat nicht verneine. Doch: Es gibt nachweislich mehr Frauen als Tessiner in der Bevölkerung. Am
besten wäre gewesen, wenn die FDP eine Tessinerin aufgestellt hätte,
zum Beispiel Laura Sadis.
Hat die FDP Tessin eine Chance vertan,
indem sie nicht ein Zweierticket mit einem Mann und einer Frau ins
Rennen schickte?
Sie wollte offensichtlich auf die Karte
Cassis setzen. Mit einer Tessinerin als Gegenkandidatin wollten sie seine Chancen Bundesrat zu werden nicht verringern. Das ist das
gute Recht der Kantonalpartei. Was ich aber fordere, ist, dass die
FDP mindestens eine Frau, wenn nicht zwei, ins Rennen schickt.
Werden Sie selber ohne Wenn und Aber für eine Frau
stimmen?
Zum jetzigen Zeitpunkt, ja. Unter
Vorbehalt der Anhörung der Kandidatinnen und Kandidaten in der Fraktion und auch
unter Vorbehalt, was wir als Fraktion entscheiden.
Doris Leuthard hat ihren Rücktritt innerhalb dieser Legislatur angekündigt. Was haben Sie sich gedacht?
Wir
laufen in die Gefahr, dass Simonetta Sommaruga bald die einzige Bundesrätin ist. Dies würde in keiner Art und Weise einer modernen
Demokratie im 21. Jahrhundert entsprechen, wenn über die Hälfte der
Bevölkerung in der Regierung massiv untervertreten ist. Diese Sorge
war mit ein Grund für die parlamentarische Initiative, die ich in
der Frühlingssession eingereicht habe.
Ihr Vorstoss fordert, dass in der
Bundesverfassung festgeschrieben wird, dass nicht nur die
Landessprachen und Landesgegenden, sondern auch die Geschlechter
angemessen im Bundesrat vertreten sind. Ist das wirklich nötig?
Seit Einführung des
Frauenstimmrechts 1971 haben es nur sieben Frauen in den
Bundesrat geschafft. Zudem wurde eine davon nicht wiedergewählt und
die andere musste gar zurücktreten. Wenn man die Vorgaben der Bundesverfassung
liest, dann ist es heute für alle selbstverständlich, dass die
Landessprachen und Landesregionen im Bundesrat vertreten sind. Bei den Geschlechtern ist dies nicht der Fall.
Woran liegt dies?
Wenn man die Analysen macht, wie in den Parteien die Männer- und Frauen-Vertretung ist, merkt man sehr schnell, dass vor allem links-grün die Frauen im Parlament stellt. Die bürgerlichen Parteien haben offensichtlich die Förderung von Politikerinnen vernachlässigt und somit fehlt die Ausgewogenheit bei ihrer Vertretung. Was aber nicht heisst, dass sie nicht bereits ausgewiesene Politikerinnen auf nationaler und kantonaler Ebene hätten, wie zum Beispiel die FDP.
Schon 1993 und 2003 gab es bereits sehr ähnliche Vorstösse, die versuchten der Anteil Frauen im Bundesrat zu erhöhen. Wie erklären Sie sich,
dass diese gescheitert sind?
Damals war man noch der Ansicht, es
komme von alleine. Übrigens: Auch ich vertrat diese Meinung.
Gesetzlich ist die Gleichstellung schon lange vollbracht, bei der
Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung hapert es aber leider überall, wie die Zusammensetzung des Bundesrats zeigt.
Der Frauenanteil liegt im Ständerat bei 15 Prozent, im Nationalrat bei 33. Ist dies mit ein Problem: Wählen Männer bewusst Männer in den Bundesrat?
Das glaube ich nicht. Sehen Sie – es
ist heute keine Frau-Mann-Frage mehr, sondern eine gesellschaftliche.
Denn jeder moderne Mann weiss heute, dass die Vielfalt um zukunftsfähige Lösungen zu finden entscheidend
ist und dass die beiden Geschlechter gemeinsam viel besser sind.