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Wie ein Diplomat 500 Millionen in die Schweiz geschmuggelt haben soll

Mafia-Geldwäsche: Wie ein Diplomat 500 Millionen in die Schweiz geschmuggelt haben soll

Ein italienischer Zeuge schildert einen gigantischen Fall von Mafia-Geldwäsche in der Schweiz. Es öffnen sich Abgründe.
04.10.2022, 05:54
Henry Habegger / ch media
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Der Ndrangheta-Clan der Piromalli und Molè aus der Ebene von Gioia Tauro in Kalabrien hatte «ein kleines Problem», wie sich der ehemalige Mafioso Cosimo Virgiglio an einem Prozess in Reggio Calabria ausdrückte. Nach der Einführung des Euro als Bargeld 2002 war die dortige Mafia auf massenhaft alten italienischen Lire sitzengeblieben.

Das «kleine Problem» war in Tat und Wahrheit ein etwas grösseres: Es ging um 500 Milliarden Lire, was etwa 500 Millionen Franken entsprach. «Es war den Clans nicht gelungen, die Lire zu wechseln», so Virgiglio.

Drogenhandel ist ein Kerngeschäft der Mafia, das riesige Gewinne generiert, die gewaschen werden müssen. Hier ein Bild aus dem Jahr 2015, als die italienischen Carabinieri eine grosse Menge an Kokain  ...
Drogenhandel ist ein Kerngeschäft der Mafia, das riesige Gewinne generiert, die gewaschen werden müssen. Hier ein Bild aus dem Jahr 2015, als die italienischen Carabinieri eine grosse Menge an Kokain sicherstellten.Bild: Laura Lezza / Getty Images

In dieser Situation, es dürfte etwa Jahr 2007 gewesen sein, übernahm eine einflussreiche, angeblich weltweit verbandelte Geheimvereinigung die Lösung des «Problems», das heisst das Umtauschen der 500 Milliarden schmutzigen Lire in saubere Euro: Das «System Ugolini», wie der reumütige Mafioso und ranghohe Freimaurer es nannte.

Kern dieses «Systems» war eine geheime Freimaurerloge namens «La Fenice» (Phoenix), die in den achtziger Jahren von Graf Giacomo Maria Ugolini gegründet worden war. Einem Mann, der offiziell als Botschafter des Zwergstaats San Marino unter anderem in Ägypten aktiv war, der aber in Tat und Wahrheit Schaltstelle zwischen Mafia, irregulären Freimaurer-Logen, Geheimdiensten, Politik und Vatikan gewesen sein soll. Jahrzehntelang sollen hier internationale Schiebereien und politische Manipulationen aller Art organisiert worden sein.

Milliarden per Diplomatenauto auf Banken in der Schweiz

So auch die Sache mit den Mafia-Lira. Sie wurden, gab der Zeuge zu Protokoll, in die Schweiz gebracht, auf hiesige Banken. Diesen Job übernahm R., einst Botschafter von Nicaragua am Heiligen Stuhl. Virgiglio sagt, er sei, wie auch der Botschafter selbst, dabei gewesen, als die Aktion besprochen und vorbereitet wurde. Das Geld wurde zunächst von Kalabrien nach Rom gebracht, dort übernahm es laut dem Zeugen der Botschafter zum Transport in die Schweiz.

«Der Botschafter benutzte ein Diplomatenfahrzeug, einen Audi A4, um das Geld in die Schweiz zu bringen», sagte der Zeuge Virgiglio in der Befragung durch den Staatsanwalt Giuseppe Lombardo, die 2019 im Rahmen des erstinstanzlichen Prozesses «'Ndrangheta stragista» stattfand. Der Prozess dreht sich um eine Allianz, um eine Verschwörung von kalabrischer 'Ndrangheta und sizilianischer Cosa Nostra - unter dem Boss Toto Riina - zu Beginn der neunziger Jahre.

Mit Attentaten und Anschlägen unter anderem auf Justiz und Ordnungskräfte sollte der Staat destabilisiert werden unter anderem mit dem Ziel, «befreundete» und unter anderem via Investitionen verbundene Kräfte an die Macht zu bringen. Das gelang tatsächlich, Anfang 1994 wurde Silvio Berlusconi mit seiner Bewegung «Forza Italia» Ministerpräsident.

2017 im Alter von 87 Jahren im Gefängnis gestorben: Cosa-Nostra-Boss Salvatore Toto Riina, der zahllose Morde und Attentate in Auftrag gab.
2017 im Alter von 87 Jahren im Gefängnis gestorben: Cosa-Nostra-Boss Salvatore Toto Riina, der zahllose Morde und Attentate in Auftrag gab.Bild: Ansa/EPA

Virgiglio selbst war 2009 bei einer grossen Anti-Mafia-Operation gegen den Molè-Clan verhaftet worden, und er arbeitete sofort mit der Justiz zusammen, um Strafmilderung zu erhalten. Er wurde ein als glaubwürdig geltender, wichtiger Zeuge, denn er war gut platziert gewesen. Er war nicht nur Mitglied der geheimen Ugolini-Loge, sondern auch Grossmeister einer regulären Loge in Kalabrien.

Er hatte ein Logistikunternehmen aufgebaut und dadurch Zugang zum von der Mafia kontrollierten Hafen von Gioia Tauro, über den unter anderem der Drogenhandel läuft, Und er war Vertrauter unter anderem des 2008 ermordeten Mafia-Bosses Rocco Molè. Das war der Mann, der die Wasch-Aktion der 500 Milliarden Lire in Auftrag gegeben hatte.

Der Zeuge führte vor Gericht aus, dass Freimaurer-Logen in Italien häufig einen regulären und sauberen, aber zusätzlich einen «verdeckten» Teil hatten beziehungsweise haben, deren Mitglieder nur ganz wenigen Personen bekannt sind. Über diesen Teil liefen krumme Geschäfte, besorge man sich Einfluss und öffentliche Aufträge.

Italienische Ermittler haben herausgefunden, dass die Mafia die Freimaurer-Logen längst unterwandert hat und als diskreten Ort benutzt, um ihre kriminellen Geschäfte anzubahnen und ordnen. Umgekehrt bieten sich die Logen laut Zeuge Virgiglio der Mafia von sich aus an, über ihre Kanäle die Geldwäsche zu besorgen.

Bankenplatz Schweiz erste Wahl für die Mafia-Logen

Wieder zurück zum Fall der alten Lire. Gemäss dem Zeugen wurde die Schweiz einerseits wegen ihres renommierten und diskreten Bankensystems ausgewählt. Aber auch aus einem bestimmten anderen Grund: «Der Sohn von R. war damals Botschafter Nicaraguas in der Schweiz», gab Virgiglio an.

Geldwäsche
Bild: Shutterstock

Ein Sohn des als angeblichen Geldkuriers R. war in der Tat ab 2008 Botschafter Nicaraguas unter anderem bei der UNO und der WTO in Genf, zuvor war er Stellvertreter des Missionschefs. Von 2009 bis 2015 war er gleichzeitig auch als Botschafter Nicaraguas bei der Schweiz mit Sitz in Genf akkreditiert.

R. selbst, der die 500 Millionen angeblich in die Schweiz schaffte, ist durch Heirat italienischer Staatsbürger. Er ist Gründer einer Partei in Nicaragua, die als Kopie von Berlusconis «Forza Italia» gilt. Er soll laut Medienberichten auch Mitglied in der gleichen Loge in Andorra gewesen sein, der auch der 1982 in London ermordete Mafia- und Vatikan-Banker Roberto Calvi angehörte.

Zufall oder nicht: Mafia-Geldwäscher Calvi war im Besitz eines nicaraguanischen Passes; er hatte im zentralamerikanischen Staat eine Filiale seiner Bank eröffnet. Und auch Calvi, ebenfalls Mitglied der Geheimloge P2 von Gelli, hatte starke Bezüge zur Schweiz, insbesondere zu Genf.

Funkstille in Nicaragua auf Fragen zum Fall

Ein detaillierter Fragenkatalog von CH Media an Nicaragua zu den Vorwürfen der Mafia-Geldwäscherei an die Familie R., via die Vertretungen des zentralamerikanischen Staats in Genf und Wien eingereicht, blieb unbeantwortet und ohne Reaktion. So bleiben Fragen wie jene im Raum stehen, was der fragliche Botschafter sowie die Regierung Nicaraguas zu den Vorwürfen von Virgiglio sagen. Oder wie sie sich zu Berichten in Italien und in Nicaragua äussern, wonach der Botschafter bereits 1987 von Giovanni Falcone im Zusammenhang mit Geldwäscherei, damals für die sizilianische Cosa Nostra, genannt worden sei.

Das Schweizer Aussendepartement EDA wollte sich auf Anfrage nicht dazu äussern, ob Vertretern aus Nicaragua das Agréement, also die diplomatische Akkreditierung in der Schweiz, entzogen wurde. Das EDA äusserte sich auch nicht zur fraglichen Diplomaten-Familie.

Bundesanwaltschaft: «Können uns im Moment nicht äussern»

Etwas konkreter wird einzig die Schweizer Bundesanwaltschaft. Sie hält auf eine Reihe von Fragen zum Fall von angeblichen Mafia-Geldwäscherei eines Diplomaten schriftlich fest: «Mit Blick auf das in diesem Zusammenhang in Italien zurzeit laufende Verfahren können wir uns dazu im Moment nicht äussern; ausser dass die Bundesanwaltschaft im Bereich kriminelle Organisationen im Allgemeinen im sehr engen Austausch mit den zuständigen italienischen Behörden steht.»

In Italien läuft derzeit der Appellationsprozess zu 'Ndrangheta stragista. In erster Instanz waren die zwei angeklagten Bosse von Cosa Nostra und 'Ndrangheta, Giuseppe Graviano und Rocco Santo Filippone, letztes Jahr zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Graviano hatte dabei über Kontakte der Mafia namentlich zum ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi ausgesagt. Von Filippone, der als sehr einflussreicher, dem Piromalli-Clan nahestehender Boss gilt, sind ausgeprägte Verbindungen in die Schweiz bekannt, unter anderem nach Basel (CH Media berichtete).

Staatsanwalt Lombardo deckt derzeit mit Hilfe von Insidern wie Virgiglio immer mehr Verbindungen zwischen der Mafia und Akteuren aus Wirtschaft, Politik und staatlichen Institutionen auf. «Das wahre Ziel der fortgeschrittenen mafiösen Systeme ist nicht die Bereicherung per se, sondern eine reale Machtstellung, um den Demokratiegehalt eines Landes zu beeinflussen», sagte er im letzten Juni an einer Veranstaltung in Kalabrien.

Laut den Erkenntnissen gibt es innerhalb der 'Ndrangheta eine Bereich, den die Mafiosi selbst als «geheim», «unsichtbar» oder «freimaurerisch» bezeichnen. Über diesen geheimen Zirkel übe die Mafia ihren Einfluss auf den Staat aus.

In diesem Licht ist auch das von Virgiglio beschriebene «System» des 2006 verstorbenen Ugolini zu sehen. Es soll ein geheimes Netzwerk von einflussreichen Personen aus verschiedenen Teilen der Welt sein, das auch als Nachfolgeorganisation der Geheimloge P2 von Licio Gelli gilt, nachdem diese verboten wurde. Unter den Persönlichkeiten befinden sich international bekannte Reeder, Energiebarone, Baulöwen, Botschafter, Kardinäle, Prälaten, Geheimdienstleute. Leute mit teilweise sehr deutlichem Bezug zur Schweiz, insbesondere nach Genf oder nach Lugano.

Eine der wenigen Fotos, die von Ugolini bekannt ist, zeigt ihn, wie er im Jahr 1994 in Kairo eine Art Parade abnimmt. Vor ihm stehen vier Herren stramm. Es sind der damalige Uno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, der damalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak und laut Medienberichten der ägyptische Generalstabchef sowie ein hoher Funktionär der ägyptischen Regierung.

Diplomaten-Geldwäsche angeblich auch in Liechtenstein

Es gibt auch andere Hinweise darauf, dass Mafia-Geld systematisch via Diplomaten aus zweifelhaften Staaten gewaschen wird. Im Rahmen der italienisch-schweizerischen Ermittlungen unter dem Namen «Imponimento» gegen den Kalabrier-Clan der Anello-Fruci notierte sich ein V-Mann im Aargau Aussagen eines Finanzfachmanns namens Gianni. Der Italiener gab an, er könne Geld in grossem Stil Geld waschen, das in Diplomatenfahrzeugen nach Liechtenstein geschmuggelt und dort auf einer regierungsnahen Bank deponiert werde. 15 Prozent würden als Gebühren verrechnet, so der Geldwäscher.

Auch das unter Diktaturen leidende Nicaragua ist einschlägig bekannt und berüchtigt. So ernannte es 1981 einen Honorarkonsul, ein Genfer Bankier, der bereits Diplomat beim Malteser Orden war, und vor dem der Schweizer Botschafter in Guatemala ausdrücklich warnte, wie Akten im Schweizer Bundesarchiv zeigen. Einige Jahren später machte der Genfer Schlagzeilen, weil in Tresoren seiner Bank Narcodollars auftauchten.

Zu all dem passt: Maurizio Gelli, einer der Söhne des verstorbenen Chefs der Geheimloge P2, ist derzeit Botschafter Nicaraguas in Kanada.

Es gilt für alle Erwähnten die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)

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Mafiosi-Treffen in Frauenfeld gefilmt
Video: srf
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17 Kommentare
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Schneider Alex
04.10.2022 07:06registriert Februar 2014
Die Besteuerung sämtlicher Geldflüsse mit einem Mikrosteuersatz würde das Steuersystem verbessern. Damit würden alle wirtschaftlichen Tätigkeiten steuerlich erfasst. Die Nichtbesteuerung der Zahlungsströme ist ein Steilpass für die Mafia.
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N. Y. P.
04.10.2022 08:10registriert August 2018
In FL fahren massenweise schwarze Limousinen in die Garagen der fürstlichen Banken.

In den Garagen hat es eingerichtete Schalter, wo das Geld gleich in Empfang genommen wird.

Die Bank, bzw. wem die Bank gehört, zwackt für Umtriebe 15% ab.

Unsere Banken mischeln munter mit im Liechtenstein.
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