Die einen jubelten, die anderen bekamen Schnappatmung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt die Schweiz wegen ungenügendem Engagement gegen den Klimawandel. Nun spricht Andreas Zünd, einer der Richter, der selbst Schweizer ist.
Beim Entscheid handle es sich um ein Leiturteil für alle Mitgliedstaaten des Europarats, sagte Zünd am Freitagmorgen zu Radio SRF. Der Anstoss für das Leiturteil sei mit den Klimaseniorinnen einfach aus der Schweiz gekommen.
Massgebend für den Entscheid sei das Pariser Klimaabkommen gewesen, sagte der Schweizer EGMR-Richter. Die Inhalte seien Teil des hiesigen Rechts, weil das Abkommen von der Schweiz ratifiziert wurde.
Wie genau die Schweiz die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten soll, schreibe das Gericht nicht vor. Zünd sagte mit Bezug auf das Urteil:
In den politischen Prozess greife der Gerichtshof nicht ein. Es liege nun in der Verantwortung der Schweiz, wie die Politik das Urteil umsetzen wolle. Nach dem Urteil sei es Aufgabe des Mitgliedstaates, «das begangene Unrecht wieder gutzumachen» und zu verhindern, dass sich das gleiche Unrecht in Zukunft wiederhole.
Rüge aus #Strassburg: Die #Schweiz mache zu wenig fürs Klima. #EGMR-Richter Andreas Zünd erklärt erstmals das Urteil.https://t.co/kiNWnPSdpH
— SRF News (@srfnews) April 12, 2024
Zünd reagierte damit auch auf die Kritik der SVP, Mitte und FDP, die nach dem Urteil aufkam, wonach Richter keine Klimapolitik betreiben sollen. Das Gericht verstehe die Schweizer Demokratie nicht, hiess es etwa von Seiten FDP. GLP, Grüne und SP sahen sich in ihren Forderungen bestätigt. Die SP deutete das Urteil als Ohrfeige für den Bundesrat.
Auf die Frage, weshalb das Klima ein einklagbares Menschenrecht sei, antwortete Zünd:
Zwei Artikel hätten einen Bezug zum Klimawandel zugelassen: das Recht auf Leben und das Recht auf Privatsphäre. Zu Letzterem gehöre auch das körperliche Wohlbefinden, sagte Zünd.
Die Menschheit bewege sich auf ein Momentum zu, wo ein Kippeffekt zu erwarten sei. Es zeichne sich ab, dass der Klimawandel Menschen in ihrem Wohlbefinden stark beeinträchtigen werde und bis zum Tod führen könne. «Der Klimawandel stellt eine neue Herausforderung dar, denn die Schäden treten nicht unmittelbar ein», sagte der Richter.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA
Mich hätte interessiert, wo das Gericht bei "Recht auf Leben" und "Recht auf Privatsphäre" die Grenzen zieht. Wenn das so weit gedehnt wird, könnte man dann nicht im Prinzip alles, was nicht direkt dem Gemeinwohl dient einklagen? Wo ziehen sie die Grenze? Ohne diese Erklärungen wirkt es weiterhin arg politisch auf mich...