2022 ist die Zahl körperlich und psychisch misshandelter Kinder erneut gestiegen. Zwei Kleinkinder unter einem Jahr starben. Insgesamt zählten die 20 seit mehreren Jahren teilnehmenden Kinderkliniken 1889 Fälle, eine Zunahme um 14 Prozent.
Eine Zunahme ist seit Jahren stetig feststellbar, selten aber so markant wie 2022, wie die Fachgruppe Kinderschutz der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie am Dienstag mitteilte. Ob es sich um eine reale Steigerung handelt oder um eine Folge der gestiegenen Sensibilisierung, können die Kinderschutzgruppen der Spitäler nicht sagen.
Erfasst werden Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. Da es bei vielen der Opfer Mehrfach-Misshandlungen gibt, zählen die Gruppen jeweils die schwerste.
Weiterhin diagnostizierten die Kinderkliniken in 30 Prozent der Fälle Vernachlässigungen am häufigsten gefolgt von körperlichen Misshandlungen in 28 Prozent. Psychische Misshandlungen folgten mit 27 Prozent Anteil an dritter Stelle.
Sexuellen Missbrauch stellten die Mediziner bei 14 Prozent der behandelten Kinder fest und knapp 1 Prozent entfiel auf das Münchhausen Stellvertreter Syndrom. Die Verteilung der Misshandlungsformen blieb damit 2022 stabil.
Unter psychische Misshandlungen fällt auch das Miterleben häuslicher Gewalt. Dieses erst zum zweiten Mal erfasste Leid machte knapp die Hälfte psychischen Misshandlungen aus. Das bestätigt für die Kinderschutzgruppe die Problematik. Dieses Miterleben in ihrem Zuhause ist für die Kinder eine extreme Belastung.
Die Diagnose Misshandlung galt in 53 Prozent der Fälle als sicher, in 25 Prozent als wahrscheinlich und in 22 Prozent als unklar. 2021 lag der Prozentsatz sicherer Diagnosen höher. Je nach Misshandlungsform unterscheiden sich die Diagnosesicherheiten.
Unverändert waren Mädchen mit 56 Prozent häufiger Opfer von Misshandlungen als Knaben mit 44 Prozent. Beim sexuellen Missbrauch oder dem entsprechenden Verdacht steigt der Mädchenanteil auf knapp 84 Prozent. Ausser Schlägen und ähnlichem sind Mädchen allen Formen der Misshandlung stärker ausgesetzt als Knaben.
Besonders oft wurden auch 2022 sehr junge Kinder Opfer von Misshandlungen. Der Anteil der unter Sechsjährigen liegt bei 44,8 Prozent. Die unter Einjährigen bilden sogar einen Anteil von 18 Prozent.
Für zwei von ihnen endeten die Misshandlungen oder die Vernachlässigung tödlich, gleich viele wie im Vorjahr. 2021 waren insgesamt fünf Kinder an körperlichen Misshandlungen gestorben. Die Fachleute gehen gerade bei den Kleinsten weiterhin von einer hohen Dunkelziffer aus.
In drei Vierteln aller Fälle sind die Täter in der Familie zu suchen, in 14 Prozent Bekannte. Beim Rest handelt es sich um Fremdtäter oder Unbekannte. Beim sexuellen Missbrauch stammen zwei Fünftel der Täter aus dem familiären Umfeld oder dem Bekanntenkreis.
Im Unterschied zum Vorjahr stieg bei körperlichen Übergriffen der Anteil der Täter aus dem Bekanntenkreis von 18 auf 24 und jener der Fremdtäter von 4,5 auf 10 Prozent. Ob das ein Hinweis auf eine grössere gesellschaftliche Gewaltbereitschaft ist, lässt sich nicht sagen, wie die Fachgruppe schreibt.36 Prozent der Täter sind männlich, 23 Prozent weiblich. Beide Geschlechter sind in 32 Prozent der Fälle beteiligt. Der Rest ist unbekannt oder Angaben fehlen.
Aufgeteilt nach Diagnosen verüben Männer häufiger körperliche Gewalt, bei psychischer Misshandlung sind Frauen und Männer gleichermassen beteiligt. Vier Fünftel der Täterschaft ist über 18 Jahre alt. Minderjährig sind 11 Prozent. In ein Viertel der Fälle sexuellen Missbrauchs sind jugendliche Täter involviert. (saw/sda)