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Messerattacke von Morges VD: Zeuge schildert das Erlebte

Messerattacke von Morges VD: Zeuge schildert das Erlebte

13.12.2022, 12:2113.12.2022, 21:21
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Im Prozess gegen den mutmasslichen Täter des Tötungsdeliktes in Morges VD hat das Bundesstrafgericht die Familie des Opfers, Zeugen und einen Gutachter befragt. Dieser geht beim Angeklagten von einer Verminderung der Schuldfähigkeit in mittlerem Grade aus.

GERICHTSZEICHNUNG --- Der Angeklagte im Prozess um eine toedliche Messerattacke in Morges vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona am Montag, 12. Dezember 2022. Am 12. September 2020 verletzte der 29- ...
Der Angeklagte.Bild: keystone

Der 29-Jährige Angeklagte blieb während der Aussagen des Sachverständigen völlig in sich gekehrt, den Kopf auf den Knien und die Hände mit den Handschellen gefesselt. Der Psychiater geht davon aus, dass der Begutachtete an einer einfachen Schizophrenie leidet.

Bereits 2008 soll der damals 15-jährige Angeklagte charakteristische Störungen gezeigt haben, als er eine psychiatrische Abteilung aufsuchte. Der Konsum von Cannabis könnte laut Gutachter bei der Entwicklung der Krankheit eine Rolle gespielt haben.

Die mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gelte für alle Straftaten, die er über den Zeitraum von anderthalb Jahren begangen habe. «Der Betroffene wird von seiner Krankheit gesteuert, er empfindet Momente starker Angst. Er hat sich an die radikale Ideologie des Islamischen Staates geklammert, um diese Ängste zu kompensieren», sagte der Psychiater. Seine Überzeugungen müssten deshalb relativiert werden.

Rest von Steuerungsfähigkeit

In Phasen des Unwohlseins äussere sich dieses in aggressiven Ausbrüchen. Elemente, wie die Wahl des Opfers oder die Vorbereitung der Delikte zeigten, dass der Mann dennoch über einen gewissen freien Willen verfüge. Diese Tatsachen würden dafür sprechen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten nur mittelgradig eingeschränkt sei.

Nach Ansicht des Arztes sollte der Angeklagte eine institutionelle therapeutische Massnahme in einem geeigneten Zentrum wie «Curabilis» in Genf erhalten, wohin der Betroffene bereits verlegt worden war. Dieser sei sich seiner psychiatrischen Störung nicht bewusst und verlange nicht nach einer Behandlung.

Da eine geeignete Therapie das Risiko eines Rückfalls verringern würde, sprach sich der Arzt nicht für eine Verwahrung aus. Nur ein umfassendes Gutachten könnte die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung beurteilen. Die vom Angeklagten gezeigten Emotionen und seine Sensibilität könnten jedoch positiv bewertet werden. «Sie ist ein Türöffner für eine Behandlung», schloss der Gutachter.

Propaganda betrieben

Am späten Nachmittag erschienen auch zwei ehemalige Freunde des Angeklagten vor Gericht. Die beiden Muslime erzählten, wie dieser ihnen Bilder von Gewalt und die Propaganda der Terrormiliz islamischer Staat (IS) gezeigt hatte. Einer von ihnen sagte, «diese Bande von Verrückten» habe ihn erschreckt und er habe sich von ihnen distanziert.

Der andere Freund sah, wie sich der Angeklagte veränderte. Dieser habe angefangen, sich im Internet «seltsame Videos» von Gewalt anzusehen. Er habe eine härtere Haltung eingenommen und sich auf den Islamismus konzentriert.

Platz getauscht

Im Laufe des Vormittags hörte das Gericht einen der Zeugen des Mordes an. Der hagere und eingefallene Freund des Opfers wirkte auch zwei Jahre nach der Tat sehr betroffen. Er erzählte, wie er an jenem Abend seinen Platz am Tisch aufgab, damit sein Freund und dessen Freundin nebeneinander sitzen konnten. Dann sah er, wie sich jemand mit einer über den Kopf gezogenen Kapuze näherte und eine Bewegung machte.

Der Zeuge realisierte, dass die Person seinem Freund ein Messer in den Hals gerammt hatte. Die anderen Gäste am Tisch dachten, es sei ein Faustschlag gewesen. Selbst das Opfer glaubte nicht daran, bis es zusammenbrach. Der Freund verfolgte den Angreifer bis zur Ecke eines Gebäudes. Anschliessend kehrte er zum Kebab-Laden zurück. In dem Moment war ihm nicht klar, dass es sich um einen Terrorakt handelte.

Der heute 29-jährige Angeklagte hatte sich im Namen der islamistischen Bewegung zu seiner Tat bekannt. Er muss sich wegen Mordes und versuchten Mordes, vorsätzlicher Tötung, einfacher Körperverletzung, Verstosses gegen das Al-Kaida-/IS-Gesetz und weiterer Delikte verantworten.

Der Prozess wird morgen Mittwoch mit dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft und der weiteren Parteien fortgesetzt. (Fall SK.2022.35) (sda)

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