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20 Mal am Tag wird in Zürich wegen häuslicher Gewalt die Polizei gerufen

20 Mal am Tag wird im Kanton Zürich wegen häuslicher Gewalt die Polizei gerufen

Das Thema häusliche Gewalt ist bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich omnipräsent. Ein Einblick in ihren Arbeitsalltag.
28.04.2023, 18:13
Anna Böhler
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Häusliche Gewalt passiert meist hinter verschlossenen Türen, im Schutz der eigenen vier Wände. Und sie trägt viele Gesichter: nicht nur Schläge, sondern auch Beschimpfungen, Bedrohungen und das Zwingen zu Sex gehören dazu. Im Jahr 2022 mussten die Polizeikräfte im Kanton durchschnittlich 20 Mal pro Tag ausrücken aufgrund familiärer Streitereien. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 6 Prozent mehr Delikte gegen Frauen im häuslichen Bereich.

Die federführende Staatsanwältin in dieser Angelegenheit ist Claudia Wiederkehr. Sie informiert an der Pressekonferenz am Donnerstag darüber, mit welchen Realitäten und Herausforderungen sie und ihre Kolleginnen am Gericht konfrontiert sind.

Die ersten 24 Stunden

Während der ersten 24 Stunden nach der Straftat, liegt der Ball bei der Polizei. Zuerst gehe es einmal darum, Opfer und Täter zu trennen. «Das ist eine sehr hektische Phase», sagt Claudia Wiederkehr. Man müsse Koffer packen, Haustiere unterbringen lassen, und allenfalls schauen, wo die Kinder hingehen können. Dann spreche die Polizei mit beiden Personen, manchmal braucht es dafür noch Dolmetscher oder Anwälte.

Die Polizei, sowie auch alle Staatsanwältinnen und Assistenz-Staatsanwälte müssen obligatorisch eine Weiterbildung zum Thema häusliche Gewalt besuchen. Dort würden sie lernen, so Wiederkehr, wie sie so einen Fall bearbeiten und, wie sie sich in das Opfer hineinversetzen können, also wie die Dynamiken solcher von Missbrauch geprägten Beziehungen funktionieren. Das Ziel ist es, das Opfer im Strafprozess nicht weiter zu traumatisieren.

Die Opfer vor dem «eigenen Willen» schützen

Im Juli 2020 wurde das Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen erlassen. Unter anderem wurde damit die elektronische Überwachung des Täters möglich. Noch wichtiger für die Arbeit der Staatsanwälte ist jedoch, dass sie sich gestützt auf dieses Gesetz über den Willen eines Opfers hinwegsetzen können, falls dies nötig ist. Denn: In zwei Dritteln aller Strafverfahren im Kontext der häuslichen Gewalt will das Opfer das Verfahren dann doch beenden. Dies können sie mittels einer Desinteressenserklärung tun.

Wenn dies geschieht, wird das Opfer zu einem Gespräch mit der Staatsanwaltschaft eingeladen. Dort wird abgeklärt, ob dies auch wirklich der freie Wille des Opfers ist. Oftmals übt die Familie des Täters in solchen Situationen Druck auf das Opfer aus und bewegt es so dazu, das Verfahren einstellen zu lassen. Hinzu kommt, dass die meisten Opfer einfach wollen, dass die Gewalt aufhört und nicht, dass der Täter ins Gefängnis muss. Die Staatsanwaltschaft muss herausfinden, ob die Situation des Opfers durch eine vorläufige Einstellung des Verfahrens nicht verschlechtert wird. Sollte dies nicht der Fall sein und die Staatsanwaltschaft kommt zum Schluss, dem Opfer sei mit einem Strafverfahren mehr geholfen, wird dieses fortgesetzt.

Verhalten im Lernprogramm reflektieren

Mit dem Lernprogramm «Partnerschaft ohne Gewalt» hat der Justizvollzug seit 2001 ein Instrument, um gewalttätige Partner zu einem Verhaltenswechsel zu bewegen. Das Programm basiert auf einem kognitiv-verhaltenstherapeutischem Ansatz: In 16 Gruppensitzungen sollen sich die Täter mit ihrem eigenen Verhalten auseinandersetzen. Infolge des neuen Bundesgesetzes werden seit 2020 deutlich mehr Personen von der Staatsanwaltschaft zur Teilnahme am Programm verpflichtet. Und dies scheint Wirkung zu zeigen, denn: Die Rückfallzahlen im Bereich der Partnergewalt haben sich um über 50 Prozent reduziert.

Die Staatsanwältin Claudia Wiederkehr sagt, das Lernprogramm sei eine «schnelle und niederschwellige Intervention» in Fällen von häuslicher Gewalt. Das Ziel dieser Massnahme sei es, Rückfälle zu verhindern.

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48 Kommentare
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denkpause
28.04.2023 19:04registriert April 2021
… ach ja und Therapiesitzungen für den mehrmals polizeikundig gewalttätigen Ex wurden auch keine anberaumt, obwohl genau eine solche Massnahme meine Intention der Anzeige war, dass er sich Gedanken über sich machen muss und hoffentlich nicht die Kinder darunter leiden müssen.
Nun Kinder sind schlau, meine Tochter sagte mir einfach, was sie nicht bei ihrem Vater ansprechen dürfte, sich nicht verhalten dürfe, dass er nicht austickt.
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denkpause
28.04.2023 18:56registriert April 2021
Tönt schön … in der Praxis sieht es dann so aus:
- Ich wurde vom Staatsanwalt mit meinem Täter konfrontiert, obwohl ich klar um eine getrennte Befragung bat und dies mir auch zugesichert wurde.
- Die Opferberatungsstelle legte mir nahe, das Verfahren einzustellen, da es eh nichts brächte.
- Die Polizei protokollierte die Aussage der Zeugin, direkt nach dem Geschehen nicht.
- Die Richterin fand, dass mein kontrolliertes Verhalten nicht der Situation entsprochen hätte (ich hatte ca. alle zwei Wochen die drohende Faust meines Ex vor dem Gesicht und konditionierte mich darauf, dass ich bei 1/1
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MasterJ
28.04.2023 19:14registriert Mai 2021
Langsam aber sicher bin ich der Meinung dass es einfach Obligatorisch sein sollte dass jeder der EINMAL Gewalttätig in Erscheinung getreten ist in solche Sitzungen einberufen werden müssten. Und wenn es in der "Partnerschaft" passiert müssen Opfer und Täterin/Täter beidermassen zuerst getrennt mit einem Psychologen reden. Das Opfer weil es klar gemacht werden soll dass sowas nicht normal ist und das Opfer nicht schuldig ist für den Gewaltausbruch der Partnerin/Partner. Leider würde das die Steuern erhöhen und das will Schweizer/Schweizerin nicht
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