Im Fall Ignaz Walker überschlagen sich die Ereignisse: Die «Rundschau» überführte die Urner Staatsanwaltschaft der Lüge. Walkers Verteidiger fand in seinem Plädoyer denn auch klare Worte dafür, was das Obergericht nun in der Sache zu tun hat – stösst beim Obergericht aber zunächst auf taube Ohren.
21.10.2015, 23:3328.10.2015, 09:15
Carmen Epp
Was bisher geschah:
- Der Erstfelder Cabaretbetreiber Ignaz Walker soll im November 2010 einen Killer beauftragt haben, seine damalige Ehefrau umzubringen.
- Mit der Waffe, mit der der Auftragskiller auf seine Ehefrau geschossen haben soll, soll Walker selber im Januar 2010 auch auf einen holländischen Gast, Johannes Peeters, geschossen haben.
- Das Urner Landgericht verurteilte Walker 2012 für die beiden Taten zu zehn Jahren Haft, ein Jahr später erhöhte das Obergericht die Strafe auf 15 Jahre.
- Das Bundesgericht hob das Urteil gegen Walker im Dezember 2014 auf.
- Recherchen der «Rundschau» hatten bereits Zweifel an der Schuld Walkers gesät. Diese wurden am ersten Prozesstag der Berufungsverhandlung bestätigt.
Wer den zweiten Prozesstag im Fall Ignaz Walker am Mittwoch, 21. Oktober, verfolgt hat, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Noch während der Ballistikexperte vom Forensischen Institut (FOR) in Zürich überraschend seine Aussagen von vor zwei Tagen vor Gericht ergänzen wollte, liess die «Rundschau» eine regelrechte Bombe platzen: Recherchen der SRF-Sendung haben nämlich ergeben, dass die Urner Staatsanwaltschaft offenbar seit zwei Jahren den Aufenthaltsort des Kronzeugen Johannes Peeters verheimlicht.
Gericht hat es nun schwarz auf weiss
Auf die Enthüllungen der «Rundschau» ging denn auch Walkers Verteidiger Linus Jaeggi in seinem Plädoyer ein, das er am Nachmittag dem Gericht vortrug. Die Staatsanwaltschaft Uri habe nicht nur unterlassen, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um den Aufenthalt von Peeters ausfindig zu machen, wie es das Bundesgericht in seinem Urteil vom Dezember 2014 ausdrücklich verlangte. «Sie hat vielmehr durch Verheimlichung, ja selbst durch Täuschung des Gerichts aktiv verhindert, dass Peeters erneut befragt werden konnte.» Damit sei der Fall Walker, der bis anhin als Justizaffäre bezeichnet wurde, vollends zum Justizskandal mutiert, der in die Geschichte eingehen würde.
Verteidiger Jaeggi (links) mit dem Angeklagten Walker.
Bild: KEYSTONE
Jaeggi legte dem Gericht die Beweise vor, welche die Enthüllungen der «Rundschau» bestätigen:
- Eine E-Mail von Folco Galli vom Bundesamt für Justiz vom 11. September 2015. In dieser bestätigt das Bundesamt der «Rundschau», dass die Urner Staatsanwaltschaft seit Februar 2013 den französischen Behörden Rechtshilfe leistete bei den Ermittlungen gegen Peeters wegen Drogenhandels in die Schweiz.
- Den so genannten Cour d’Appell von Douai vom 9. Dezember 2014. Darin wird ersichtlich, was Peeters alles vorgeworfen wird, und zwar unter anderem Transporte von Amphetaminen und Kokain von Holland in den Kanton Uri im Kilobereich.
- Das Strafurteil vom 7. Juli 2015, aus dem hervorgeht, dass Peeters zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Mehrfache Unterschlagung von Informationen
Muss sich am Montag zu den Vorwürfen äussern: Oberstaatsanwalt Thomas Imholz.
Bild: KEYSTONE
Damit ist erwiesen, dass die Urner Staatsanwaltschaft spätestens seit Februar 2013 sehr wohl hätte ausfindig machen können, wo sich Peeters aufhält, und dass er eben doch in den organisierten Drogenhandel verwickelt war, wie Jaeggi bereits vor Landgericht 2012 als Vermutung äusserte. Jaeggi fasste ausserdem zusammen, wann die Urner Staatsanwaltschaft dieses Wissen der Verteidigung und auch dem Gericht gegenüber unterschlagen hat.
- Im Juli 2013 hatte Jaeggi verlangt, Strafakten zu Peeters zu den Akten zu nehmen. Oberstaatsanwalt Bruno Ulmi hielt daraufhin fest, dass Peeters nichts mit Drogen zu tun habe. Vielmehr handle es sich bei den Mutmassungen von Jaeggi um haltlose, aktenwidrige Fantasiegeschichten. Das Rechtshilfegesuch aus Frankreich lag da bereits auf Ulmis Tisch.
- Am 14. Oktober 2015 antwortete die Urner Staatsanwaltschaft auf die Frage von Jaeggi, ob sie über Informationen zu Peeters Aufenthaltsort verfüge, erneut, sie könne «keinerlei Hinweise oder zweckdienliche Angaben» zu Peeters Aufenthaltsort machen. Unterschrieben ist die Antwort von Oberstaatsanwalt Thomas Imholz, seit Mai 2014 Nachfolger von Ulmi.
- Ebenfalls kürzlich verlangte ein Zürcher Anwalt in einem anderen Verfahren in Uri, die Akten Peeters herauszugeben. Auf Anfrage des Gerichts zu diesen Akten hält die Urner Staatsanwaltschaft fest, die Akten Peeters seien aufgrund von Ferienabwesenheiten momentan nicht auffindbar.
Obergericht will erstmal abwarten
«Ich glaube, jetzt sollte jeder merken, dass diese ganze Story über die angebliche Unauffindbarkeit von Peeters schlichtweg zum Himmel stinkt», sagte Jaeggi schliesslich. Das Obergericht könne zwar nichts dafür, dass es von der Staatsanwaltschaft hintergangen wurde. «Aber jetzt, wo Sie das wissen, muss es Konsequenzen haben.»
Als oberste richterliche Behörde im Kanton müsse das Obergericht nun unverzüglich handeln. «So etwas darf in einem Rechtsstaat nicht durchgehen», hielt Jaeggi fest. «Schon gar nicht, wenn es um die Frage geht, ob ein Mensch nun tatsächlich für 15 Jahren eingesperrt werden darf.»
Die Urner Oberrichter schienen von den Enthüllungen der «Rundschau» über die Lügen der Staatsanwaltschaft überrascht. Handeln will das Gericht aber erstmal nicht; man wolle im Sinne des rechtlichen Gehörs erst abwarten, was Oberstaatsanwalt Thomas Imholz zu den Vorwürfen sagt. Dieser wird am kommenden Montag, 26. Oktober, seinen Parteivortrag vor Obergericht halten. Und dabei auch erklären müssen, wieso er Peeters Aufenthaltsort dem Gericht bis zuletzt vorenthalten hat.
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