Im Dezember 2017 fällte das Bundesstrafgericht in Bellinzona unter dem Vorsitz von Giuseppe Muschietti ein bemerkenswertes Mafia-Urteil. Der Italiener Franco Longo (heute 67) erhielt fünfeinhalb Jahre Gefängnis, unter anderem wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation und schwerer Geldwäsche. Der Tessiner Treuhänder und Ex-Stadtrat von Chiasso, Oliver Camponovo (46), kassierte drei Jahre wegen Geldwäsche, Urkundenfälschung und Verstössen gegen das Ausländergesetz: Täuschung der Behörden bei der Erwirkung von Aufenthaltsbewilligungen. Eine dritte Beschuldigte wurde im März 2018 zu zwei Jahren verurteilt. Diverse Vermögenswerte, unter anderem ein Bürogebäude in Chiasso, wurden konfisziert.
Aber jetzt, rund vier Jahre später, ist das Urteil immer noch nicht rechtskräftig, das Verfahren noch nicht abgeschlossen: Rekurse sind immer noch vor Bundesgericht in Lausanne hängig. Der Fall ist exemplarisch für die Mühen der Schweizer Justiz mit Verfahren gegen die Mafia. Kommen sie überhaupt in Gang – in der Regel überliess die Bundesanwaltschaft die Verfahren zuletzt den Italienern –, ziehen sie sich häufig in die Länge.
Es geht um den ’Ndrangheta-Clan der Martino in Mailand. Das ist ein Ableger der Familien Libri-DeStefano–Tegano aus Reggio Calabria, der im Kokain-Geschäft riesige Gewinne macht. Drei Brüder, angeführt vom Boss Giulio Martino, brachten die dreckigen Millionen zwecks Wäsche in die Schweiz, nach Chiasso.
Sie flossen, wie die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft zeigte, etwa auf Nummernkonti bei der Bank KBL (Switzerland) Ltd., von da aus nach Dubai oder auf die Bahamas. Oder in Immobilien und auch mal in Lebensversicherungen bei der Basler Leben. Das lief bis im Dezember 2014, als italienische Ermittler 59 Clan-Mitglieder inklusive Longo verhafteten, der als «Bankier der ’Ndrangheta» gilt. Die Martino-Brüder wurden in Italien schon 2015 zu bis zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Die Schweiz war deutlich langsamer. Die Bundesanwaltschaft ging zunächst nur gegen Longo vor, nicht gegen den in Zug wohnhaften Schweizer Camponovo, seinen Helfer aus dem Tessin. Und die Bundesanwaltschaft wollte den Prozess erst noch im diskreten abgekürzten Verfahren abschliessen. Aber das in anderer Sache oft kritisierte Bundesstrafgericht, diesmal in Tessiner Besetzung, akzeptierte diesen eigenartigen Schongang nicht. So kam es im Dezember 2017 zum Prozess in Bellinzona – mit Camponovo als Mitangeklagtem.
Ihm wurde von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen, dass er den Mafiosi mit seinem guten Ruf und seinen Kontakten die Türen im Tessin geöffnet hatte. Nicht nur brachten die Gangster Millionen von schmutzigem Geld. Longo und ein Martino-Bruder kamen auch selbst ins Tessin, wo sie dank getürkter Unterlagen Aufenthaltsbewilligungen erhielten.
So kauften sie das Bürogebäude an der Via Motta in Chiasso. Es wurde 2013 laut Bundesanwaltschaft zum Preis von 3.3 Millionen erworben. Mit Eigenmitteln von 1.8 Millionen und einer Hypothek bei der UBS. 40 Prozent des Gebäudes gehörten Longo, 50 Prozent Domenico Martino und 10 Prozent dem Treuhänder Camponovo.
Treuhänder Camponovo, dessen Bruder als Stabschef bei Lega-Staatsrat Norman Gobbi arbeitete, bezeichnete sich von Anfang an als unschuldig. In der Dok-Sendung «Falò» des Tessiner Fernsehens erzählte Camponovo 2018 «seine Wahrheit». Er habe nicht wissen können, woher die Gelder kamen, und überhaupt: Er habe bloss getan, was viele andere Treuhänder auch taten. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Ein Justiz-Insider bezeichnet es als «beschämend», dass das Bundesgericht fast vier Jahre brauche – in einem Fall, wo der verurteilte Treuhänder drei Jahre erhalten habe.
Peter Josi, Sprecher des Bundesgerichts, sagt, dass die Beschwerden in der Sache Ende August 2018 beim Bundesgericht eingegangen seien. Grund für die lange Dauer: «Es handelt sich um umfangreiche Verfahren, deren Bearbeitung derzeit im Gange ist und die voraussichtlich demnächst abgeschlossen sein dürften. Im Übrigen weisen wir auf die hohe Belastung der Strafrechtlichen Abteilung hin, wie dies auch in den Geschäftsberichten des Bundesgerichts der letzten zwei Jahre vermerkt wurde.»
Fest steht aber: Das Richterkollegium in Bellinzona, das im Mafia-Verfahren Druck machte, bestand aus drei italienischsprechenden Richterinnen und Richtern. Die Tessinerinnen und Tessiner, das zeigt sich auch in der Bundespolitik, nehmen die Mafia derzeit weit ernster als vor allem die Deutschschweizer, aber auch die Romands. Dabei sind `Ndrangheta und Konsorten längst ein landesweites Problem. (saw/aargauerzeitung.ch)
Es gibt einfach einen kleinen Unterschied zwischen machen und wollen, da hat die Schweiz noch Luft nach oben.
Von unserer unsäglichen Bundesanwaltschaft fang ich gar nicht erst an...