Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines Waadtländer Gymnasiasten gutgeheissen, der die Maturitätsprüfung im Juni 2021 wegen eines fehlenden halben Punktes nicht bestand. Ein technischer Defekt an einem Gerät hatte die mündliche Prüfung im Fach Physik beeinträchtigt. Die Sache wird an die Waadtländer Justiz zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.
In der mündlichen Physikprüfung sollte der Schüler die Flugbahnen von auf Luftkissen gleitenden Pucks untersuchen und seine Ergebnisse den Prüfern präsentieren. Die beiden bereitgestellten Pucks funktionierten jedoch nicht.
Nachdem der Schüler am 25. Juni 2021 über sein Nichtbestehen benachrichtigt worden war, bat er seinen Physiklehrer umgehend, seine Note um einen halben Punkt zu erhöhen, um diesem Vorfall Rechnung zu tragen.
Der Lehrer lehnte dies mit der Begründung ab, dass der experimentelle Teil der Prüfung keinen Einfluss auf die Gesamtbewertung gehabt habe. Dieser Standpunkt wurde von der Schulleitung, dann von der Vorsteherin des Bildungsdepartements und schliesslich vom Kantonsgericht bestätigt.
In einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil hat das Bundesgericht die Beschwerde des Schülers gutgeheissen, der sich auf eine Verletzung des Grundsatzes des Gleichbehandlungsgebots berief. Die Vorinstanz hatte diese Rüge mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Beschwerdeführer nicht anders behandelt worden sei als seine Mitschüler, die mit denselben Problemen konfrontiert gewesen seien.
Für das Bundesgericht ist diese Argumentation nicht vertretbar. Die Situation des Beschwerdeführers müsse mit der regulären Situation jener Schüler verglichen werden, die für das Experiment über funktionstüchtiges Material verfügten, es erfolgreich durchführen und sich bei der mündlichen Präsentation auf die Ergebnisse stützen konnten.
Die Richter betonen, dass der Vorfall zwangsläufig die Vorbereitung des Gymnasiasten gestört habe und er sich daher in einer anderen Situation als seine Kollegen befunden habe. Indem der Lehrer dies nicht berücksichtigt habe, habe er ihn anders behandelt, weil das Experiment Teil der Prüfung war.
Darüber hinaus bezweifelt das Gericht, dass es möglich sei, das nicht funktionierende Experiment zu ignorieren, da es die Grundlage für die mündliche Präsentation bildete. Schliesslich stellen die Richter fest, dass der Vorfall den Schüler Zeit gekostet und dessen Maturitätsprüfung zwangsläufig gestört habe.
Der Fall geht nun zurück ans Kantonsgericht. Dieses muss den Vorfall in seinem neuen Urteil mitberücksichtigen und ebenso die aktuelle Situation des Schülers. Dieser habe wahrscheinlich sein Schuljahr unterdessen neu begonnen. Falls dies nicht der Fall sei oder er erneut durchgefallen sei, müsse ihm erlaubt werden, die mündliche Prüfung in Physik zu wiederholen. Seine Note würde die im Juni 2021 erhaltene Note ersetzen.
(Urteil 2D_9/2022 vom 10.8.2022)
(sda)
Das Anliegen klingt für mich Nachvollziehbar. Ob es schlau ist, die Matura zu versuchen wenn man nur knapp besteht, ist einzig die Entscheidung des Absolventen.
Der Artikel ist nur lesenswert weil es eine Kuriosität ist, dass so ein Fall vors Bundesgericht muss.
Vielleicht ist der Schüler nicht die hellste Birne, jedoch müssen die Prüfungen fair sein, auch im interesse der "helleren" Leuchten :-)