Während die Schweiz – oder zumindest Teile der hiesigen Politik – sich weiter nicht dazu durchringen können, die Ukraine mit der Lieferung von Kriegsmaterial zu unterstützen, sorgt nun ein anderer, erfolgreicher Waffendeal für Aufsehen.
Ende September des vergangenen Jahres verkündete die Schweizer Regierung, dass rund 6000 Schuss Munition für Kampfjets an den Wüstenstaat Katar geliefert werden dürfen. Der «SonntagsBlick» forderte im Anschluss an den Deal, gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip, die Herausgabe der internen Dokumente des Bundes an.
Diese offenbaren Interessantes: So gab es vor der Bewilligung ein monatelanges Hin und Her zwischen den zwei Bundesratsdepartementen EDA (Amt für auswärtige Angelegenheiten) und WBF (Wirtschaftsdepartement). Demzufolge wehrte sich das EDA, das FDP-Bundesrat Ignazio Cassis untersteht, mit Nachdruck gegen die Bewilligung der Munitionslieferung. Katar steht seit geraumer Zeit in der Kritik, weil das Land bei den Menschenrechten schlecht abschneidet.
Im Zuge der Fussball-WM im vergangenen Dezember wurden vor allem die Diskriminierung von asiatischen Arbeitsmigranten sowie die bedenkliche Situation bezüglich LGBTQ+-Rechten im Land thematisiert. Doch auch bezüglich Meinungsfreiheit oder Frauenrechten hat das Wüstenemirat nach westlichen Massstäben Nachholbedarf.
Laut «SonntagsBlick» brachte das EDA zudem auch Bedenken betreffend die regionale Stabilität in der Golfregion an. Dort gibt es mit dem Wettkampf des Iran, des Irak und der verschiedenen Emirate um die Vormachtstellung in der Region, dem bewaffneten Konflikt zwischen Saudi-Arabien und jemenitischen Rebellen sowie der langjährigen Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina massives Konfliktpotenzial.
Bemerkenswert aufgrund der aktuellen Diskussionen um die Ukraine ist zudem der Verweis auf das Neutralitätsprinzip – die Lieferung von Kampfjetmunition sei nicht mit der Schweizer Neutralitätspolitik vereinbar. «Eine Ausfuhr von offensivem Kriegsmaterial an ein Land, das in den letzten Jahren direkt in regionale Konflikte verwickelt war und weiterhin bewaffnete Gruppierungen unterstützt, (...) könnte die Glaubwürdigkeit der Schweiz als neutrale, humanitäre Akteurin aufs Spiel setzen», heisst es in den EDA-Dokumenten laut «SonntagsBlick».
In den Diskussionen um Lieferungen der Schweiz an die Ukraine sowie der Freigabe von Lieferungen anderer Staaten an das von Russland angegriffene Land wird rund um die Neutralität ähnlich argumentiert – beispielsweise von Exponenten der SVP.
Paradox ist deshalb, dass das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin die Lage im Fall Katar komplett anders beurteilte. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bekundete dem Bericht zufolge, dass es den Begründungen des EDA «nicht folgen könne». Bei den skizzierten Problemen in puncto regionaler Stabilität handle es sich um «hypothetische Risiken».
Katar befindet sich im Vergleich zur Ukraine zwar nicht offiziell in einem Krieg, doch die genannten Punkte stellen für Teile des Parlaments einen Verstoss gegen das Kriegsmaterialgesetz dar. So ist es beispielsweise gemäss diesem nicht erlaubt, Waffen in ein Land zu liefern, das die Menschenrechte systematisch verletzt. Genau das wurde dem Golfstaat Katar allerdings in einer EDA-Analyse aus dem Jahr 2019 bescheinigt.
Ob bei der Einschätzung eine Rolle gespielt hat, dass Katar der beste Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial weltweit im Jahr 2022 war, ist nicht bestätigt.
Weil sich die EDA-Experten und Bundesrat Cassis von den Argumenten des Wirtschaftsdepartements nicht überzeugen liessen, musste der Gesamtbundesrat über die Bewilligung der Lieferung entscheiden. Dort behielt Parmelin offensichtlich die Oberhand – am 23. September winkte die Schweizer Regierung den Deal durch. (con)