Schweiz
Medien

Darum wird die Schweiz gerade heftig von «Le Monde» kritisiert

Kriegsmaterial-Debakel: Französische Zeitung «Le Monde» übt scharfe Kritik an der Schweiz

Am Wochenende hat die renommierte französische Zeitung «Le Monde» in einem Leitartikel die Schweiz und ihre Neutralität kritisiert. So reagiert die Politik auf die Kritik aus Frankreich.
21.02.2023, 09:2522.02.2023, 16:01
Antoine Menusier
Mehr «Schweiz»

Le Monde bringt sich in die Schweizer Debatte über die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in die Ukraine ein – die Zeitung widmet dem Thema sogar einen Leitartikel.

Der Titel des Leitartikels lautet: «Waffenlieferungen an die Ukraine: Die Schweiz kann sich nicht hinter ihrer Neutralität verschanzen.» Deutlicher kann man es nicht sagen.

«Le Monde» erinnerte an die jüngsten Anträge Deutschlands, Spaniens und Dänemarks, die Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine reexportieren wollten. Weiter schreibt die Zeitung, dass die Schweiz sich auf das Haager Abkommen von 1907 beziehe, das ihr nicht erlaube, Material weiterzugeben.

«Berns Position, die es anderen europäischen Ländern verweigert, in der Schweiz hergestellte Ausrüstung und Munition in die Ukraine zu liefern, ist nicht länger haltbar.»
Ausschnitt aus der französischen Zeitung «Le Monde»

Warum hat «Le Monde» beschlossen, der Schweiz einen Leitartikel zu widmen? In der Regel berichtet die französische Presse nur dann über die Schweiz, wenn es um Banken geht.
Doch in Zeiten des Krieges in der Ukraine steht die helvetische Neutralität in Europa unter Beschuss.

Das Plädoyer des Vorstehers des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Ignazio Cassis, der vom 17. bis 19. Februar an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnahm, hat die französische Zeitung offensichtlich nicht überzeugt.

Änderung des Kriegsmaterialgesetzes

Serge Enderlin, Schweizer Korrespondent von «Le Monde», der für den Leitartikel um Hilfe gebeten wurde, sagt gegenüber watson: «Ich habe einige Erläuterungen zu den Schweizer Institutionen gegeben, insbesondere zur Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, der kleinen Kammer des Parlaments. Ich habe auch auf die russischen Vermögenswerte in der Schweiz aufmerksam gemacht.»

Weiter sagt der Journalist: «Was wir derzeit beobachten, ist die Angewohnheit der Schweiz, sich bei Gewitter zu verstecken. Es ist nicht die Schweizer Neutralität, die derzeit unverständlich ist, sondern der Diskurs der Schweiz über ihre Neutralität.»

«Der Leitartikel von ‹Le Monde› ist kein Zeichen von Feindseligkeit, sondern eine Art, sich an der Debatte zu beteiligen.»
Serge Enderlin

«Der Leitartikel von ‹Le Monde› überrascht mich nicht», sagt der jurassische Ständerat Charles Juillard. Die deutsche Presse und deutsche Minister scheuten sich nicht, die Schweiz unter Druck zu setzen. «In Europa herrscht schlichtweg Unverständnis über die Zögerlichkeit der Schweiz in Bezug auf die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in die Ukraine.»

Le Centre, die Partei von Charles Juillard, schlägt eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes («Lex Ukraine») vor, die sich derzeit noch im Entwurfsstadium befindet und die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen ausnahmsweise zugunsten dieses Landes und nur für den laufenden Krieg erlauben würde.

35mm Fliegerabwehrkanone Schweizer Armee
Spanien wollte zwei Fliegerabwehrkanonen an die Ukraine weitergeben, doch die Schweiz sagte Nein.Bild: VBS

Reaktion der SVP

Ganz anders reagierte der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor: «‹Le Monde› ist nur eine Stimme der internationalen Lobby.» Der Walliser Nationalrat fährt fort: «Frankreich hat den amerikanischen Weg gewählt. Anstatt sich für den Frieden einzusetzen, heizt das Land durch Waffen- und Munitionslieferungen einen Krieg an, der nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient.»

Jean-Luc Addor vertritt – genauso wie Blocher – einen strikten Kurs der Schweizer Neutralität: «Die Schweiz, die im Zentrum Europas liegt, hat ein Interesse daran, mit allen verhandeln zu können, und muss sich auf keinen Fall von einer renommierten Zeitung beeindrucken lassen, die in diesem Fall nur der amerikanischen Propaganda dient.»

Gesetzesvorlagen

Diese Woche wird die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates über verschiedene Gesetzesvorlagen abstimmen, die die Wiederausfuhr von Schweizer Militärmaterial in die Ukraine ermöglichen sollen. Drei Vorlagen stehen zur Debatte: Eine wird von der Mitte unterstützt, eine von den Sozialdemokraten, eine vom Duo Burkart/Salzmann (FDP und SVP). Die SVP lehnt alle drei Vorlagen ab.

Sollten alle Vorlagen abschmettern, wird der Druck auf den Bundesrat wohl zunehmen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
164 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hierundjetzt
21.02.2023 10:45registriert Mai 2015
Verstehe ich voll und ganz.

Auch für mich ist die peinliche Blockadehaltung zu diesem Thema in der kommenden Frühlingsession mit der Allianz Grün + SVP abosolut unverständlich und nicht mehr nachvollziehbar
17244
Melden
Zum Kommentar
avatar
Dominik Egloff
21.02.2023 10:20registriert November 2015
Europa und die westlichen Werte waren der SVP immer ein Dorn im Auge, so verwundert es nicht, dass Herr Addor eins zu eins die russische Propaganda nachplappert. Viel schlimmer trifft mich jedoch die Tatsache, dass die Grünen und Teile der SP sich gleichermassen identifiziert mit Putins anliegen einer vom Westen ungestörten Vernichtung der Ukraine. Ich habe mein Leben lang grün und SP gewählt weil sie sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten. Das soziale Gerechtigkeit fast nur noch im Kombipaket mit einer blutigen Putinkomlizenschaft zu haben ist, macht mich fassungslos, wütend und traurig.
15936
Melden
Zum Kommentar
avatar
Aldous Huxley
21.02.2023 09:47registriert Oktober 2022
Noch immer hat die SVP nicht begriffen das es nicht darum geht den Interessen der USA zu dienen sondern das Putin ohne Gegenwehr nicht aufhört seinen Wahn von russischen Reich von Wladiwostok bis Lissabon umzusetzen. Nachdem jetzt auch noch die Putinsche Vision für Belarus auf dem Tisch liegt sollten auch die Betonköpfe der SVP sowie die diversen Friedensträumer in Europa erkennen können was da wirklich abgeht. Frieden möchten wir alle, nur nicht zu Putins Preis.
16547
Melden
Zum Kommentar
164
Die Schweiz stösst weniger CO₂ aus – auch, weil die Winter wärmer sind

41,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente hat die Schweiz im Jahr 2022 ausgestossen. Das sind 3,5 Millionen Tonnen weniger Treibhausgas-Emissionen als 2021. Vor allem der Ausstoss an Treibhausgasen von Gebäuden ging zurück, weil wegen des warmen Winters weniger geheizt werden musste und zunehmend auf Wärmepumpen umgestiegen wird.

Zur Story