Le Monde bringt sich in die Schweizer Debatte über die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in die Ukraine ein – die Zeitung widmet dem Thema sogar einen Leitartikel.
Der Titel des Leitartikels lautet: «Waffenlieferungen an die Ukraine: Die Schweiz kann sich nicht hinter ihrer Neutralität verschanzen.» Deutlicher kann man es nicht sagen.
«Le Monde» erinnerte an die jüngsten Anträge Deutschlands, Spaniens und Dänemarks, die Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine reexportieren wollten. Weiter schreibt die Zeitung, dass die Schweiz sich auf das Haager Abkommen von 1907 beziehe, das ihr nicht erlaube, Material weiterzugeben.
Warum hat «Le Monde» beschlossen, der Schweiz einen Leitartikel zu widmen? In der Regel berichtet die französische Presse nur dann über die Schweiz, wenn es um Banken geht.
Doch in Zeiten des Krieges in der Ukraine steht die helvetische Neutralität in Europa unter Beschuss.
Das Plädoyer des Vorstehers des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Ignazio Cassis, der vom 17. bis 19. Februar an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnahm, hat die französische Zeitung offensichtlich nicht überzeugt.
Serge Enderlin, Schweizer Korrespondent von «Le Monde», der für den Leitartikel um Hilfe gebeten wurde, sagt gegenüber watson: «Ich habe einige Erläuterungen zu den Schweizer Institutionen gegeben, insbesondere zur Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, der kleinen Kammer des Parlaments. Ich habe auch auf die russischen Vermögenswerte in der Schweiz aufmerksam gemacht.»
Weiter sagt der Journalist: «Was wir derzeit beobachten, ist die Angewohnheit der Schweiz, sich bei Gewitter zu verstecken. Es ist nicht die Schweizer Neutralität, die derzeit unverständlich ist, sondern der Diskurs der Schweiz über ihre Neutralität.»
«Der Leitartikel von ‹Le Monde› überrascht mich nicht», sagt der jurassische Ständerat Charles Juillard. Die deutsche Presse und deutsche Minister scheuten sich nicht, die Schweiz unter Druck zu setzen. «In Europa herrscht schlichtweg Unverständnis über die Zögerlichkeit der Schweiz in Bezug auf die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial in die Ukraine.»
Le Centre, die Partei von Charles Juillard, schlägt eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes («Lex Ukraine») vor, die sich derzeit noch im Entwurfsstadium befindet und die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen ausnahmsweise zugunsten dieses Landes und nur für den laufenden Krieg erlauben würde.
Ganz anders reagierte der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor: «‹Le Monde› ist nur eine Stimme der internationalen Lobby.» Der Walliser Nationalrat fährt fort: «Frankreich hat den amerikanischen Weg gewählt. Anstatt sich für den Frieden einzusetzen, heizt das Land durch Waffen- und Munitionslieferungen einen Krieg an, der nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient.»
Jean-Luc Addor vertritt – genauso wie Blocher – einen strikten Kurs der Schweizer Neutralität: «Die Schweiz, die im Zentrum Europas liegt, hat ein Interesse daran, mit allen verhandeln zu können, und muss sich auf keinen Fall von einer renommierten Zeitung beeindrucken lassen, die in diesem Fall nur der amerikanischen Propaganda dient.»
Diese Woche wird die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates über verschiedene Gesetzesvorlagen abstimmen, die die Wiederausfuhr von Schweizer Militärmaterial in die Ukraine ermöglichen sollen. Drei Vorlagen stehen zur Debatte: Eine wird von der Mitte unterstützt, eine von den Sozialdemokraten, eine vom Duo Burkart/Salzmann (FDP und SVP). Die SVP lehnt alle drei Vorlagen ab.
Sollten alle Vorlagen abschmettern, wird der Druck auf den Bundesrat wohl zunehmen.
Auch für mich ist die peinliche Blockadehaltung zu diesem Thema in der kommenden Frühlingsession mit der Allianz Grün + SVP abosolut unverständlich und nicht mehr nachvollziehbar