Die Frau war schon in der 11. Schwangerschaftswoche, als sie ihr Kind verlor. Entsprechend schwer war die Fehlgeburt. Die Plazenta ist dann schon voll aufgebaut, das Ungeborene rund vier Zentimeter gross. Die Frau hatte grosse Schmerzen und verlor viel Blut. Viermal wurde sie mit dem Ultraschall untersucht, fünf Arzttermine waren es insgesamt. Kostenpunkt: über tausend Franken. Die sie selbst bezahlen musste, da ihre Franchise hoch angesetzt ist.
Mit der Rechnung erfuhr sie: Komplikationen in der Schwangerschaft werden erst ab der 13. Woche bezahlt. Also just ab dann, wenn Fehlgeburten selten werden («Schweiz am Wochenende» vom 1. Dezember).
Doch Komplikationen bis zur 12. Woche in einer Schwangerschaft gelten als Krankheit. Die betroffenen Frauen müssen also nicht nur den Verlust des Kindes verarbeiten, sie werden von den Krankenkassen auch noch finanziell benachteiligt.
Wie konnte das so kommen? Festgehalten ist die Regelung im geänderten Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KGV), das seit dem 1. März 2014 gilt. Damals passierte etwas Wichtiges für die Frauen: Es wurde neu festgehalten, dass Komplikationen in der Schwangerschaft, wie Schwangerschaftsdiabetes, zusätzliche Untersuchungen bei Zwillingen oder Ähnliches von den Versicherern vollständig übernommen werden, ohne dass sich die Frauen mit einem Selbstbehalt beteiligen müssen oder erst die Franchise ausgeschöpft sein muss. Bis dahin hatten die Versicherer lediglich die wenigen normalen Kontroll-Untersuche in einer Schwangerschaft vollständig übernommen.
«Dass Schwangerschafts-Komplikationen seither voll bezahlt werden, ist sehr wichtig», sagt Daniel Surbek, Gynäkologe an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Bern. Er vermutet, dass der Beginn erst ab der 13. Schwangerschaftswoche Teil der Verhandlungen gewesen ist, um das neue Gesetz überhaupt durchzubringen. «Das benachteiligt aber Frauen mit einer Fehlgeburt», sagt Surbek. Andere meinen, mit dieser Regelung sollte verhindert werden, dass legale Abtreibungen im ersten Trimenion voll von den Kassen übernommen werden müssen.
Auf alle Fälle hat sich das Parlament bewusst für diese Benachteiligung von Frauen mit Fehlgeburten entschieden, wie ein Blick in die Debatte zeigt. Im Ständerat wurde argumentiert, dass eine nachträgliche Befreiung von der Kostenbeteiligung auf Behandlungen während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen zu unverhältnismässigem Verwaltungsaufwand führen würde. Daniel Surbek spricht von einer «leeren Begründung». Das Argument sei nicht stichhaltig. Es gehe einzig darum, dass die Krankenkassen weniger Kosten übernehmen müssen.
Der angeführte «unverhältnismässige Verwaltungsaufwand» erstaunt insofern, weil ein Schwangerschaftstest meist bereits nach zwei Wochen anzeigen kann, ob eine Frau schwanger ist oder nicht. Es wäre also auch möglich gewesen, den Beginn der vollständigen Kostenbeteiligung zumindest auf die 8. Schwangerschaftswoche zu legen. Die meisten Frauenärztinnen und Frauenärzte bieten ihre Schwangeren zu diesem Zeitpunkt zur ersten Kontrolle auf. Diese erste Untersuchung sowie damit verbundene Laboranalysen sind denn auch schon von der Kostenbeteiligung befreit.
Eigentlich. Selbst bei dieser geregelten Routineuntersuchung vor der 13. Woche müssen die Gynäkologinnen und Gynäkologen die Krankenkassen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass sie alle Kosten übernehmen müssen. Johanna Weber, Ärztin in Buchs, sagt: «Erst kürzlich musste ich mit dem Informationsschreiben des Bundesamtes für Gesundheit zu Leistungen bei Mutterschaft und Kostenbeteiligungen eine Kasse überzeugen, dass von mir angeordnete Laboranalysen auch vor der 13. Schwangerschaftswoche voll bezahlt werden müssen.»
Die grüne Nationalrätin Irène Kälin (AG) hat kein Verständnis für die aktuelle Regelung. Sie macht mit einer Interpellation Druck auf den Bundesrat. Sie schreibt darin: «Schwanger ist man ab der ersten Woche, auch wenn Schwangerschaften in der Regel erst nach rund einem Monat erkannt werden.» Mit der heutigen Regelung würden Frauen, die in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen wegen Komplikationen Behandlungen benötigen, gegenüber Frauen, bei denen die Schwangerschaft problemlos verläuft, benachteiligt.
Da fast jede fünfte Schwangerschaft in einem Frühabort ende, scheine die aktuelle Regelung insbesondere gegenüber von einer frühen Fehlgeburt betroffenen Frauen als ungenügend. Sie will vom Bundesrat unter anderem wissen, wie es zu rechtfertigen sei, dass Schwangere vor der 13. Schwangerschaftswoche bei medizinischen Behandlungen als «krank» und nicht als «schwanger» gelten. (aargauerzeitung.ch)