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Kita-Knatsch: Ständerat bremst – Linke wittert Wahlkampfmanöver

Der grosse Kita-Knatsch: Ständerat bremst – Linke wittert Wahlkampfmanöver

Der Nationalrat wollte Eltern Zuschüsse an die Kita-Tarife zahlen. Doch die ständerätliche Kommission hat andere Pläne – und verärgert damit Linke und Arbeitgeberverband gleichermassen.
24.08.2023, 07:3724.08.2023, 11:36
Maja Briner / ch media
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Zunächst lief alles nach Plan. «Meilenstein bei externer Kinderbetreuung in Griffweite», verkündete der Arbeitgeberverband, als der Nationalrat die Kita-Vorlage Anfang März annahm. Damit mehr Mütter erwerbstätig bleiben, soll der Bund 20 Prozent der Elternbeiträge für Kitas übernehmen. Jährlich über 700 Millionen Franken wollte der Nationalrat dafür lockermachen - gegen den Willen des Bundesrats. Das Vorhaben, aufgegleist von einer breiten Allianz, kam im Nationalrat mit recht komfortabler Mehrheit durch.

Maya Graf, GP-BL, spricht waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 15. Maerz 2023 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
«Eine grosse Enttäuschung»: Maya Graf (Grüne), Co-Präsidentin von Alliance F und Mitglied der Kommission.Bild: keystone

Doch nun grätscht der Ständerat jäh dazwischen. Seine Bildungskommission will ein anderes System vertieft prüfen, wie sie am Mittwoch mitteilte. Der Schritt kommt überraschend – Kritiker sprechen von einer «Spontanidee». Dem Vernehmen nach kam der Vorschlag von FDP-Ständerat Ruedi Noser.

Der Vorschlag: Eltern sollen ab einem bestimmten – noch nicht definierten – Beschäftigungsgrad eine Betreuungszulage erhalten, dies innerhalb des Systems der Familienzulagen. Und: Die Arbeitgebenden sollen zur Kasse gebeten werden.

Das schont die Bundesfinanzen. Die Mehrheit der Kommission sieht laut Kommissionspräsident Benedikt Würth (Mitte/SG) weitere Vorteile: Die Betreuungszulage könnte auf das bewährte System der Familienzulagen aufbauen, gleichzeitig würden keine kantonalen Aufgaben zum Bund verschoben. Zudem sei es gerechtfertigt, dass die Wirtschaft in die Finanzierung eingebunden werde, denn sie habe auch ein unmittelbares Interesse an einer höheren Erwerbsquote.

Die heutigen Familienzulagen werden über Lohnbeiträge der Arbeitgebenden finanziert. Bei den neu zu schaffenden Betreuungszulagen wäre laut Würth auch ein gemischtes Modell denkbar - dass also öffentliche Hand und Arbeitgeber sich beteiligen würden. Die Kommission hat unter anderem dazu Prüfungsaufträge erteilt. Das heisst auch: Es geht weniger rasch voran als gedacht.

Arbeitgeberverband steigt auf die Barrikaden

SP, Grüne und der Frauendachverband Alliance F kritisierten den Entscheid umgehend scharf. «Es ist eine grosse Enttäuschung, dass das Vorhaben auf die lange Bank geschoben wird», sagt Maya Graf (Grüne), Co-Präsidentin von Alliance F und Mitglied der Kommission. «Viele Eltern wären dringend darauf angewiesen.»

Alliance F moniert, es handle sich um einen teuren und ineffizienten Alternativvorschlag. Ein Kritikpunkt: Die Zulage soll an alle Eltern ab einem gewissen Beschäftigungsgrad gehen – egal, ob hohe Betreuungskosten anfallen oder nicht. Zweitens warnt der Verband, man belaste dadurch die Unternehmen. Das würde letztlich auf die Löhne drücken, warnt Co-Präsidentin Kathrin Bertschy (GLP).

Sie vermutet hinter dem Entscheid eine Verzögerungstaktik: «Gewisse Ständeräte wollen keine Lösung, wollen das aber nicht sagen. Deshalb verstecken sie sich hinter der Diskussion ums Modell.»

Der Arbeitgeberverband wiederum ist alles andere als erfreut darüber, dass die Kommission die Arbeitgebenden in die Pflicht nehmen will. Er nehme den Entscheid «erstaunt» zur Kenntnis, heisst es beim Verband. Bereits heute bezahlten die Arbeitgeber jährlich gegen fünf Milliarden Franken allein für die Kinderzulagen, gibt Chefökonom Simon Wey zu bedenken. Und kündigt an: «Der Schweizerische Arbeitgeberverband würde eine Vorlage mit den so ausgelösten Kostenfolgen entschieden bekämpfen.»

Keller-Sutter brachte die Idee schon im Juni auf

Doch die Mehrheit der Kommission hält es für richtig, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. «Die Wirtschaft verlangt an vorderster Front nach Massnahmen gegen den Fachkräftemangel», argumentiert FDP-Ständerat Matthias Michel. Gerade wegen des grossen Interesses der Arbeitgeber sei es legitim, dass sie auch mitfinanzierten. Interessant dabei: Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatte eine Beteiligung der Arbeitgeber bereits im Juni an einer Medienkonferenz als Möglichkeit erwähnt.

Die Kritik, es handle sich um eine Verzögerungstaktik, weisen Bürgerliche zurück, so etwa Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger. «Leider gibt es eine gewisse Verzögerung. Aber wichtiger ist mir, dass schlussendlich eine Lösung zustande kommt.» Der nationalrätliche Vorschlag hätte es momentan im Ständerat schwer gehabt, sagt die Luzernerin. «Daher braucht es diese Zusatzschlaufe. Dann können wir sehen, welches Modell besser und mehrheitsfähig ist.»

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