In den Bergen werden die Pisten gerade massiv beschneit – das sorgt für mehr Unfälle
Zuoberst auf den Gipfeln der Dents du Midi im Kanton Wallis liegt er: Der einzige Ort in der Schweiz, wo es Mitte Woche etwas mehr Schnee hatte als im langjährigen Durchschnitt zu dieser Jahreszeit. Jetzt ist auch dieser Überschuss geschmolzen. Die Schweizer Karte ist orange bis tief rot: Schneemangel selbst hoch oben.
Glücklich schätzen kann sich ein Skigebiet, wenn bereits ab 1200 Metern nordseitig eine (dünne) durchgehende Schneedecke liegt, wie in Engelberg. Im Glarnerland oder im Berner Oberland muss man dazu hoch auf 2000 Meter. Im Engadin sieht es noch ärger aus.
Auch Klimatologe Christoph Marty vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos bezeichnet die Schneelage als aussergewöhnlich, wenn auch nicht einzigartig für diese Jahreszeit. Sogar im ansonsten schneesicheren Andermatt am Alpenhauptkamm, das sowohl bei Tiefdrucklagen im Süden wie auch im Norden Schnee abbekommt, liegt massiv unterdurchschnittlich wenig Pulver.
Neuschnee ist nicht in Sicht
Warum? «Es ist eine typische Kombination aus einem natürlichen Extrem, wie sie schon immer vorkamen, und der Klimaerwärmung», sagt Marty. Das heisst: Niederschlagsarme Frühwinter gab es schon immer, doch wenn es jetzt doch mal Niederschlag gibt, fällt der wegen der warmen Temperaturen als Regen und nicht als Schnee.
Und Schnee ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Diese Woche regnete es gemäss Meteo Schweiz bis 1600-2000 Meter hoch hinauf. Auf 2000 Metern war es ein Grad warm. Nach Weihnachten könnte es etwas kälter werden, doch Niederschlag wird nicht vorhergesagt.
Im Skigebiet von Laax sind deshalb nur 15 von 30 Seilbahnen und Skiliften geöffnet. In Scuol GR sind nur 7 von 26 Pisten offen, und bis auf eine müssen diese alle beschneit werden. Andernorts sieht es nicht viel besser aus. Also her mit den Kanonen und Lanzen: Den vielen Gästen, die zu den Festtagen anreisen werden, muss ein Pistenerlebnis geboten werden. Die grossen Skigebiete haben dafür im November vorgesorgt, als es einige Tage sehr kalt war und sie grossflächig beschneien konnten. Nun sind daher mancherorts sogar die Talabfahrten offen.
Der Schneesport ist heutzutage durch die vielen Beschneiungsanlagen vielerorts abgekoppelt von der Schneehöhe: Gefahren werden kann immer, die Bahnen sind in Betrieb, egal wie aper die Wiesen daneben sind.
Kunstschnee erhöht das Verletzungsrisiko
Doch Pisten, die fast zu 100 Prozent aus Kunstschnee bestehen, sind ein Risiko: Nicht nur für die Umwelt, weil das Beschneien viel Wasser braucht und die Vegetation darunter weniger Sauerstoff bekommt – Kunstschnee führt zu mehr und schwereren Skiunfällen. Genaue Unfallzahlen aus der Schweiz gibt es nicht, seitens der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU heisst es, die Anzahl Unfälle in Wintern mit Schneemangel sei nicht sichtlich höher. Dies liegt aber daran, dass bei guten Schneeverhältnissen deutlich mehr Schneesportler unterwegs sind, die Saison dann länger dauert und daher insgesamt mehr Unfälle passieren.
Gemäss einem wissenschaftlichen Artikel von 2008 der Universität Savoie Mont Blanc liegt das Unfallrisiko auf Kunstschnee um 20 bis 40 Prozent höher als auf Naturschnee.
Das liegt zum einen an der Dichte von Kunstschnee: Er ist laut dem SLF um 33 Prozent dichter als Naturschnee und gemäss der Universität Savoie Mont Blanc ungefähr 50-mal härter. Das erhöht die Verletzungsgefahr der Schneesportlerinnen und Schneesportler. Auch das Gelände ist bei Schneemangel uneben, die Mulden nicht gefüllt. Kann nicht genügend beschneit werden, schauen auch Steine raus.
Hinzu kommt, dass Kunstschnee wegen der Dichte bei Tag eher schmilzt und nachts schneller gefriert, was die Pisten rutschiger macht. Es kommt aber nicht morgens, sondern nachmittags zu besonders vielen Unfällen, dann wenn der Kunstschnee schwer wird.
Fällt dann mal echter Schnee, wird es zuerst nicht besser: Die unterschiedliche Gleitfähigkeit der beiden Schneearten und die Ansammlungen von lockerem Schnee führen auf der Piste zu noch mehr Unfällen.
Weniger Platz auf Kunstschneepisten
Die Schweizer Unfallversicherung Suva ergänzt: «Reine Kunstschneepisten sind auch herausfordernder, da die Pistenbreite oft begrenzter ist. Umso wichtiger ist eine volle Konzentration beim Fahren.» Die Experten raten dazu, wenn viele Menschen auf einer schmalen Piste unterwegs sind, am Pistenrand zu warten, bis die Piste wieder frei ist.
Doch der Kunstschnee kann dann doch nicht für alle Unfälle herhalten. Suva-Mediensprecherin Regina Pinna-Marfurt sagt: «Die grösste Unfallgefahr ist und bleibt der Mensch, denn 9 von 10 Schneesportunfällen sind selbstverursacht.» Die Gefährlichkeit hänge stark vom eigenen Verhalten ab. Umso wichtiger sei es bei den aktuellen Schneeverhältnissen, auf die Tagesform zu achten und nicht zu schwierige Pisten zu wählen. Die Suva hat dazu eine spielerische Präventions-App entwickelt, mit der ein gesunder Umgang mit der körperlichen Ermüdung bewusst gemacht werden kann.
Möglicherweise werden sich auch jene auf den Pisten tummeln, die sonst lieber im freien Gelände auf Skitour gehen. Denn Christoph Marty sagt: «Hinauf kommt man mit Tourenskis auch auf wenig Schnee, aber die Abfahrt ist jetzt kein Spass. Der Schnee ist hart und wegen der hervorschauenden Steine nimmt man besser alte Skis.» Einzig im westlichen Wallis sehe es bezüglich Schneemenge etwas besser aus. (aargauerzeitung.ch)
