Es wirkt zu irrwitzig, um real zu sein: Verteidigungsministerin Viola Amherd mobilisiert die Armee, um die Terrassen der Bergrestaurants am Titlis oder auf dem Fronalpstock zu räumen. Passiert wäre das nie, doch solche Szenarien zeigen, wie angespannt die Lage ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie in der Schweiz ist.
Die sechs Kantone Nid-, Obwalden, Uri und Schwyz sowie Glarus und Tessin rebellierten offen gegen den Bundesrat. Dieser hatte am Mittwoch entschieden, dass die Restaurants ihre Aussenbereiche frühestens am 22. März öffnen dürfen. In den Skigebieten der besagten Kantone waren sie teilweise seit Wochen in Betrieb und sollten es bleiben.
Vertreter der Kantonsregierungen und der Bergbahnen verwiesen auf funktionierende Schutzkonzepte. Allerdings wurden diese kreativ ausgelegt. So wäre eigentlich nur ein Take-Away-Betrieb erlaubt, aber in einzelnen Restaurants wurde das Essen offenbar am Tisch serviert. Man könnte dies als typisch eidgenössische Schlaumeierei weglächeln.
Dafür aber war das Verhalten dieser «Terrassen-Rebellen» zu fragwürdig. Oder vielmehr inakzeptabel. Ein derart flagranter Verstoss gegen Bundesrecht rüttelt am Fundament der Rechtsstaatlichkeit. Eine Willensnation wie die Schweiz basiert darauf, dass alle Beteiligten sich an die rechtliche und verfassungsmässige Ordnung halten.
Die Öffnung des Ski-Terrassen war deshalb keine Lappalie. Sie offenbarte eine grosse Schwachstelle des demokratischen Rechtsstaats. Gegenüber dem Individuum kann er die Gesetze mit Justiz und Polizei durchsetzen, aber wenn die staatlichen Organe sich selber nicht daran halten, ist der Weg in die Anarchie nicht mehr ganz so steil.
Das haben die sechs renitenten Kantone eingesehen. Sie werden ihre Terrassen «aus staatspolitischen Gründen» spätestens am Montag schliessen, wenn auch widerwillig. Gespräche mit dem Bundesrat hätten «nicht die gewünschte Wirkung gezeigt», monierte die Nidwaldner Kantonsregierung am Freitag.
Gemeint war ein Treffen mit Gesundheitsminister Alain Berset am Donnerstagabend. Man sei an einer guten Zusammenarbeit interessiert und wolle ihm die positiven Erfahrungen mit den Ski-Terrassen erläutern, sagte die Nidwaldner Gesundheitsdirektorin Michèle Blöchliger (SVP) vorab der Agentur Keystone/SDA.
Damit liegt sie nicht ganz falsch. Die Öffnung der Skigebiete hat sich nicht negativ auf die Corona-Fallzahlen ausgewirkt. Die Betreiber scheinen die Lehren aus dem Debakel mit der zweiten Welle gezogen und ihre Schutzkonzepte konsequent umgesetzt zu haben. Und es stimmt, unter freiem Himmel ist das Ansteckungsrisiko geringer als in Innenräumen.
Dies illustriert eine Schwachstelle bei den Corona-Massnahmen des Bundes. Sie sind teilweise inkonsequent und widersprüchlich. So beklagt sich der Zoo Zürich nicht zu Unrecht darüber, dass er seine Tierhäuser trotz Kapazitätsbeschränkung weiterhin den Besuchern vorenthalten muss, während die Museen ab Montag öffnen dürfen.
Besser wäre es, der Bund würde vermehrt mit Anreizen arbeiten. So könnte er den Kantonen im Terrassen-Knatsch entgegenkommen. Wenn sie die Zahl der Corona-Tests nach dem Vorbild von Graubünden massiv ausweiten, dürfen sie zur «Belohnung» die Aussenbereiche der Restaurants öffnen. Überall, nicht nur in den Skigebieten.
Es wäre angesicht der nach wie vor fragilen Lage mit den mutierten Virus-Varianten eine Gratwanderung. Gelingen kann sie nur, wenn die Gastronomen bei der Anwendung der Schutzkonzepte und der Erhebung der Kontaktdaten konsequenter sind als im letzten Larifari-Sommer.
«Nur gemeinsam besiegen wir dieses Virus», sagte Bundespräsident Guy Parmelin am Mittwoch. Die renitenten Kantone haben dies rechtzeitig realisiert. Corona-Skeptiker hatten sie in den sozialen Medien als neuen Sonderbund bejubelt. Es war kein sehr glücklicher Vergleich. Man weiss ja, wie es dem Original 1847 ergangen war.