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Am Mittwoch konnte man Roger Köppel neben Ebola, Impotenz, Maul- und Klauenseuche, zwanghaftem Onanieren, Blitzeinschlag oder einem Autounfall auch noch Querschnittlähmung, Schizophrenie und Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium an den Hals wünschen. Die letzten drei Verwünschungen sind seit heute Donnerstag nicht mehr möglich. Direkt oder indirekt Betroffene haben sich beschwert. Der Titel der Aktion: «Schweiz Entköppeln». Die Menschen dahinter: Das Berliner Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) unter der Leitung von Philipp Ruch.
Fast sieht man sich genötigt, Roger Köppel vor diesem Quatsch in Schutz zu nehmen. Nicht nur, weil das ZPS dazu auffordert, ihn online zu verfluchen (über eine halbe Million Flüche wabern gegen Küsnacht), sondern auch, weil es am Freitagabend einen Marsch nach Küsnacht vor Köppels Haus geben soll. Alle Teilnehmer werden dazu aufgefordert «stinkende Fische» mitzubringen, vorher soll Köppel im Theater Neumarkt der Geist von Julius Streicher ausgetrieben werden, des Eigentümers und Herausgebers des Nazi-Hetzblattes «Der Stürmer» (1923–1945) also.
Aber muss man das ernst nehmen? Ist dieser Philipp Ruch ein Genie, das uns allen die Augen öffnet? Ist er nicht. Ruch ist ein Kunst-Kopist. Einer, der bei Christoph Schlingensief klaut und bei Milo Rau. Schon der Name «Zentrum für politische Schönheit» (seit 2008) ähnelt Milo Raus «International Institute of Political Murder» (seit 2007). Milo Rau gibt in seinen theatralen Installationen von politischen Schlüsselprozessen den echten Protagonisten eine Bühne (etwa auch der Weltwoche 2013 in den «Zürcher Prozessen»). Ruch inszeniert Empörung.
Im Herbst 2015 verlangte Ruch in einem Inserat im Strassenmagazin «Surprise» «Tötet Roger Köppel», ein Zitat von Schlingensiefs Kunstaktion «Tötet Helmut Kohl» von 1997. Ruchs Marsch nach Küsnacht kopiert Schlingensiefs Marsch vor die Villa von Christoph Blocher 2001. Doch Schlingensiefs (enorm zahme) Demo war damals kein Einzelevent, sondern teil seiner Recherche für «Hamlet» am Schauspielhaus.
Dieser «Hamlet» – mit echten deutschen Neonazis – wurde damals zum grossen, sowohl historisch als auch zeitpolitisch interessanten und äusserst unterhaltsamen Spektakel. Und zum Publikumsliebling. Denn Schlingensief war schlau und charmant und schaffte es immer, die Städte, die er zuerst provozierte, im Laufe seiner Prozesse um den Finger zu wickeln. Und, ganz wichtig: Am Ende war er immer ein höflicher Mann. Und wenn er mal geschmacklos wurde, dann vor allem gegen sich selbst.
Was @politicalbeauty im @TheaterNeumarkt veranstaltet, ist nicht #Schlingensief, sondern @realDonaldTrump.
— reeto von gunten (@reetovongunten) 17. März 2016
Wartet auf das Prädikat "Entartete Kunst" für die zugegebenermassen dämliche Neumarkt-Aktion .... #Entkoeppelung
— reda el arbi (@redder66) 17. März 2016
Von Schlingsief hat Ruch auch den Katholizismus in «Schweiz Entköppeln» geklaut, den Exorzismus im Theater, gefolgt von der «strengkatholischen Prozession». Schlingesief liebte den Katholizismus, für seinen Zürcher Abend «Attabambi-Pornoland» (2004) drehte er Szenen in Einsiedeln, immer wollte er Jesus sein, sein letzter Zürcher Auftritt vor seinem Krebstod war eine Prozession vom Theater Neumarkt ins Schauspielhaus. Künstlerisch gesehen ist «Schweiz Entköppeln» also ungefähr so aufregend wie altes Brot von vorletzter Woche.
Kulturpolitisch gesehen ist es natürlich der Aufreger schlechthin. Für die Rechten – und damit auch für die Linken. Denn hier findet der absehbare Wille zum Vorurteil, dass linke Kunst ideologisch verbohrt, hirnverbrutzelt, primitiv, pervers und gewaltverherrlichend sei, Nahrung bis zum Überdruss. Jetzt schreien die Rechten wieder, dass Subventionen gestrichen gehören, und leider geht der Gegenseite dank einer dummen Aktion gerade der Atem für gute Argumente aus. Besten Dank dafür.