An einem Ort gab es Sirocco-Tee und dazu frisch gebackene Kekse. Am anderen Ort gab es Konservendosen zum Mitnehmen.
Für zwei verschiedene Storys habe ich diese Extreme erlebt: Ich interviewte Millionäre in ihren Zürichsee-Villen, da ihnen die Enteignung für einen durchgehenden Uferweg droht.
Und ich sprach mit Armutsgefährdeten und Mittellosen, die in Zürich in der Warteschlange für die Gratis-Essens- und Kleiderausgabe warteten.
Ich glaube, sie würden sich gut verstehen, die Millionärin und die Verarmte. Obwohl die eine auf tausenden Quadratmetern lebt und die andere auf der Strasse.
Die Unterschiede zwischen ihnen fallen jedem auf. Während die eine ihre eigene Haushälterin hat, ist die andere auf Gratis-Essensausgaben angewiesen. Die eine lebt, die andere überlebt. Doch trotz ihrer Verschiedenheiten haben sie auch Gemeinsamkeiten.
Würden sie miteinander reden, würden sie erfahren, dass sie beide Tiere lieben. Die eine füttert die Vögel in ihrem Garten. Die andere beobachtet nachts die Marder im Stadtpark.
Sie würden erfahren, dass sie beide die Natur lieben. Das Gefühl der Morgensonne auf ihrer Haut. Die frische Brise, die ihnen durch die Haare windet. Oder der langersehnte Regen nach einem Hitzetag.
Sie würden realisieren, dass sie eigentlich für dasselbe leben: die Sicherheit, sein zu dürfen, wie sie wollen. Nur bedeutet Sicherheit für die Millionärin, dass sie so weitermachen kann, wie sie es sich gewohnt ist und für die Verarmte bedeutet Sicherheit, dass sich alles ändert. Damit sich für die Mittellose alles ändert, müsste ein Wunder geschehen. Damit für die Millionärin alles gleich bleibt, muss gar nichts passieren. Wer hat wohl die besseren Chancen?
Die eine hat den Sechser im Lotto gezogen, die andere sucht nach der Nadel im Heuhaufen. Fair ist das vielleicht nicht, doch es ist das Leben. Es ist die Realität, die wir uns aufgebaut haben.
Es bleibt an uns allen zu entscheiden, wie wir das in Zukunft machen wollen. Doch um Lösungen zu finden, müssen wir miteinander reden und uns nicht nur gegenseitig die Schuld zuschieben. Es geht nicht um Arm gegen Reich, sondern um Mensch mit Mensch. Es ist an der Zeit, endlich etwas zu unternehmen – denn ich will nicht irgendwann über 4000 Mittellose berichten müssen, die in Zürich für kostenloses Essen oder Kleidung anstehen.
In der Schweiz ist genug Geld da, damit für alle ein Mindestmass an würdigem Leben möglich ist.
Und den Superreichen bliebe immernoch mehr als genug, um damit weiterhin ihrer Dekadenz zu fröhnen.
Umverteilung muss nicht bedeuten dass alle gleich viel haben - nur dass niemand weniger hat als ein würdiges Minimum.
Aber keine Regierung ist dem Aufruf gefolgt.