Ab Anfang 2028 sollen Kassensysteme im Schweizer Detailhandel (und weltweit) QR-Codes lesen können. Das strebt eine Initiative von GS1 an, der Organisation, die weltweit für die Vergabe von Produktcodes verantwortlich ist. In der Schweiz beteiligen sich zehn Firmen aktiv an der Initiative: Coop, Migros, Spar, Feldschlösschen, Volg, Bell, Emmi, Ospelt, Wander und Nestlé.
Entgegen den Mutmassungen einiger Medienberichte wird der Strichcode allerdings nicht abgelöst. Sogenannte EAN-Strichcodes wird es laut GS1 auch noch nach 2027 im Handel geben. Mit der Umrüstung der Kassensysteme sollen aber die Weichen für den kompletten Wechsel auf QR-Codes, respektive 2D-Codes, gestellt werden. Denn diese würden wegen des wachsenden Bedarfs an Produktinformationen immer wichtiger, sagt Jonas Batt von GS1.
Seit über 50 Jahren ist der bisherige Barcode ein fester Bestandteil von Produktverpackungen. Doch scannt man diesen, erhält man lediglich begrenzte Informationen wie die Produktnummer. Konsumenten können am Strichcode zwar einige Informationen ablesen, wie das Länderpräfix in den ersten beiden Ziffern. Darüber hinaus dient er jedoch hauptsächlich Kassensystemen und Geschäftsprozessen.
Wesentlich mehr Informationen als die eindimensionalen Barcodes können 2D- und QR-Codes speichern. Da sie sowohl horizontal als auch vertikal Infos speichern können, haben sie viel mehr Kapazität. So können Unternehmen sämtliche Daten zu einem Produkt – von der Mindesthaltbarkeit, zum genauen Produktionsort über den CO2-Fussabdruck bis hin zu ergänzenden Informationen wie Rezeptideen – an einem Ort speichern und zugänglich machen.
Eine Kaffeemaschine könnte künftig über einen QR-Code nicht nur technische Spezifikationen anzeigen, sondern auch Wartungsintervalle, Ersatzteile und Recyclingmöglichkeiten. «Man will durch die Regulierungen den Lebenszyklus der Produkte verlängern», so Batt.
Grundsätzlich können im Schweizer Einzelhandel zwei Arten von zweidimensionalen, QR-ähnlichen Codes zum Einsatz kommen. Einerseits der klassische QR-Code mit «GS1 Digital Link», den man mit einer Smartphonekamera scannen kann und so auf eine Webseite gelangt. Gleichzeitig können auch Unternehmen und Händler selbst den Code scannen und auf Informationen wie Verfallsdaten, Chargen- oder Seriennummern zugreifen.
Andererseits die sogenannte «GS1 DataMatrix», die schon heute oft auf Verpackungen zu sehen ist – etwa bei Coop. Sie kann rund halb so viele Informationen speichern wie ein QR-Code, aber deutlich mehr als die eindimensionalen Strichcodes. Der grosse Unterschied: Diese bieten für den Konsumenten keine Infos und sind nicht per Handykamera scanbar.
«Weltweit fordern Behörden immer mehr Daten zu Produkten», erklärt Jonas Batt von GS1 Switzerland. Laut dem Experten täten Unternehmen gut daran, sich frühzeitig um die Implementierung von QR-Codes zu kümmern, denn EU-Regulierungen wie etwa die sogenannte Ökodesign-Verordnung forderten auch von Schweizer Unternehmen zunehmend Rechenschaft über die Beschaffenheit ihrer Produkte, wenn sie diese in der EU vertreiben wollen. So werde etwa ein digitaler Produktpass für bestimmte Non- und Near-Food-Produkte, wie Reinigungs- und Drogerieartikel, zur Pflicht.
«Der EAN-Strichcode reicht dafür nicht aus», sagt Jonas Batt. Der QR-Code mit «GS1 Digital Link» hingegen ermögliche es, die dafür erforderlichen Daten an einem Ort zu speichern. Zudem könne man damit sowohl zu Konsumenten und Konsumentinnen als auch zu Behörden kommunizieren, die keine entsprechenden Scanner haben.
Allerdings spiele beim digitalen Produktpass die Produktkategorie eine wichtige Rolle. Wolle ein Händler zum Beispiel lediglich einen Küchenschwamm ins Sortiment aufnehmen, auf dem es keine Regulierungen gebe, dann reiche der Strichcode weiterhin völlig aus. «Wenn aber eine Kategorie mit Regulierungen konfrontiert ist, oder die Detailhändler sagen, es wäre wichtig, dass sie mehr Daten haben zu diesem Produkt, dann ist ein QR-Code oder die Datenmatrix die Lösung.» Es sei vor allem der Detailhandel, der ab 2028 mit 2D-Codes konfrontiert werde.
Neben der besseren Nachverfolgbarkeit können 2D-Codes auch zur Nachhaltigkeit beitragen – etwa durch die Reduktion von Foodwaste. In der Schweiz geht laut dem Bundesamt für Umwelt ein Drittel aller verwertbaren Lebensmittel verloren oder wird verschwendet. Auch hier können zweidimensionale Codes Abhilfe schaffen. Ein Sprecher von Coop, die seit 2020 2D-Codes auf ausgewählten Produkten hat, sagte etwa vergangenes Jahr gegenüber dem Tages-Anzeiger: «Dadurch wissen wir, welches Mindesthaltbarkeitsdatum die verkauften Produkte aufweisen, können vorausschauender Waren bestellen und Food-Waste vermeiden».
Jonas Batt nennt zudem das Beispiel der australischen Supermarktkette Woolworths, die mit den 2D-Codes Foodwaste im Frischebereich um ganze 40 Prozent verringern konnte.
Hinzu kommt, dass die Technologie auch im Fall von Rückrufen Lebensmittelverschwendung verhindern kann. Denn während heute oft alle Artikel zurückgerufen und weggeworfen werden müssen, könnten zweidimensionale Codes eine genaue Liste der betroffenen Produkte liefern. Detailhändler erhielten Informationen zur Produktionsstätte und zum Zeitpunkt der Herstellung und könnten den Rückruf so eingrenzen.
Coop rüstete seine Kassensysteme bereits 2020 um und führt seitdem im Rahmen eines Pilotprojekts Produkte mit 2D-Barcodes im Sortiment. Im Projekt arbeitet Coop insbesondere mit Frischeprodukten wie Sandwiches, Fisch, Wurstwaren der Konzerntochter Bell und Milchprodukten von Emmi.
Ein Sprecher der Migros schreibt auf Anfrage, sie führten derzeit intern verschiedene Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsanalysen zum Thema 2D-Codes durch. Und weiter:
«International sind wir an einem sehr guten Punkt», sagt Jonas Batt. Es sei zwar in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten verständlich, dass Firmen in Branchen, die nicht von Regulierungen betroffen sind, zurückhaltender seien.
Für die Konsumentinnen und Konsumenten dürfte sich vorerst nicht allzu viel ändern, ausser, dass sie an den Kassen einen anderen Code scannen müssen.
Sollten sich QR-Codes (im Gegensatz zu Datenmatrizes) vermehrt durchsetzen, wird man lediglich zusätzliche Informationen erhalten.
Die Stiftung für Konsumentenschutz sieht jedoch nicht nur Chancen. Laut Josianne Walpen von der Stiftung für Konsumentenschutz habe es bereits Bemühungen gegeben, wichtige Informationen ausschliesslich per QR-Code auf Produkte zu drucken – namentlich bei Weinen.
Seit dem 8. Dezember 2023 verpflichtet eine neue EU-Verordnung alle Winzerinnen, die Nährwerte und Zutaten ihrer Produkte offenzulegen. Erstmals in der Lebensmittelbranche dürfen diese auch per QR-Code bereitgestellt werden – denn «die Weinetikette ist den Winzern heilig», so Jonas Batt.
Doch Walpen kritisiert: «Obligatorische Angaben wie Zutaten oder Nährwerte müssen zwingend auf dem Produkt ersichtlich sein und nicht erst über einen QR-Code erfragt werden müssen». Denn:
Über den QR-Code sollten deshalb aus Sicht des Konsumentenschutzes ausschliesslich ergänzende Informationen bereitgestellt werden – «etwa Informationen zur Entsorgung der Verpackung, zu verwendeten Labels, Erläuterungen zu Claims, Produktionsart, Tierhaltung etc.».
Bei QR-Codes ist das Papier oder die Unterlage, auf die sie aufgedruckt werden, der Datenträger. Der QR-Code ist, man mag es kaum glauben, nichts anderes als Code. Daten in codierter Form.