Schweiz
Krankenkasse

CSS, Helsana, KPT und Co. gründen eigenen Branchenverband

Neuer Branchenverband wegen Tarifstreit für Krankenkassen gegründet

20.06.2024, 14:2020.06.2024, 16:07
Mehr «Schweiz»

Die grössten Krankenversicherer der Schweiz haben einen neuen Branchenverband gegründet. Den Ausschlag für den Neuanfang habe der Streit um den ambulanten Tarif gegeben, sagte KPT-Chef Thomas Harnischberg. Der neue Verband soll nun die Branche einen.

THEMENBILD ZU DEN KRANKENKASSENPRAEMIEN --- [Symbolic Image] Different Swiss health insurance cards, photographed in Zurich, Switzerland, on September 9, 2019. (KEYSTONE/Christian Beutler)..[Symbolbil ...
Die grössten Krankenversicherer der Schweiz haben sich zu einem neuen Verband zusammengeschlossen.Bild: keystone

Der neue Verband werde Anfang 2025 seine Arbeit aufnehmen und das bestehende Duopol zweier Dachverbände beenden, hiess es am Donnerstag in einer Mitteilung des neuen Verbandes. Er solle die Interessenvertretung der Krankenversicherungsbranche stärken. Der Name des Verbandes stehe noch nicht fest und werde zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt, hiess es auf Anfrage.

Streit um ambulanten Tarif

Den Ausschlag für den Neuanfang habe der Streit um den ambulanten Tarif gegeben. «Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte», sagte KPT-CEO Thomas Harnischberg in einem am Donnerstag online veröffentlichen Interview mit der «NZZ». Das sei das gesundheitspolitisch wichtigste Geschäft seit langem.

IMAGE DISTRIBUTED FOR KPT FOR EDITORIAL USE ONLY - Thomas Harnischberg, CEO // Weiterer Text ueber ots und http://presseportal.ch/de/pm/100003789/100906086 (obs/KPT via KEYSTONE)
Thomas Harnischberg.Bild: keystone

Der Wunsch nach einem einheitlichen Auftritt sei in der gesamten Branche vorhanden. «Dass es die Verbände hier nicht schafften, eine gemeinsame Position zu finden, hat weder die Bevölkerung noch die Politik verstanden», sagte er. Und die Branche erst recht nicht.

In der Vergangenheit habe es auch schon Fusionsbestrebungen gegeben, sagte Harnischberg im Interview. Doch letztlich seien alle Versuche gescheitert. Für weitere Fusionsanläufe fehle die Zeit, und mit den gegenwärtigen Strukturen seien Verbesserungen nicht möglich. «Es braucht einen Neuanfang.» Die KPT trat bereits Ende 2023 aus dem Krankenversicherer-Verband Curafutura aus.

Im März dieses Jahres hatte bereits der Chef des drittgrössten Krankenversicherers der Schweiz, der Groupe Mutuel, in den Medien einen Austritt aus dem Krankenkassenverband Santésuisse erwogen.

Wer den neuen Verband führen wird, ist noch offen. Für ihn stehe nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre aber fest, dass die Person an der Verbandsspitze extrem wichtig sei. Es brauche jemanden, der mit allen reden könne und den Konsens suche.

Der Gesundheitsökonom Willy Oggier hält die Gründung eines neuen Krankenkassenverbandes für grundsätzlich begrüssenswert. «Entscheidend wird sein, wer den neuen Verband gestalten wird», sagte Oggier auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Verharrten die Streithähne in den Schützengräben, ändere sich nichts. Denn diese hingen mit den Personen zusammen, die die derzeitigen Verbände Santésuisse und Curafutura geprägt hätten.

90 Prozent der Grundversicherten vertreten

Gründungsmitglieder des neuen Verbandes sind laut Mitteilung die Krankenversicherer Assura, Atupri, Concordia, CSS, EGK, Groupe Mutuel, Helsana, KPT, ÖKK, Sanitas, SWICA, Sympany und Visana. Die bestehenden Mitgliedschaften in den Verbänden Santésuisse beziehungsweise Curafutura würden beendet.

Die Krankenversicherer wollen sich dem neuen Branchenverband nach eigenen Angaben «gemeinsam für ein nachhaltiges, finanzierbares, qualitativ hochstehendes und patientenzentriertes Gesundheitssystem einsetzen». Die Gründungsmitglieder vertreten laut Mitteilung heute bereits über 90 Prozent der Grundversicherten der Schweiz. Der Beitritt zur neuen Organisation stehe weiteren Krankenversicherern offen.

Ringen um Tarifstruktur

Der Bundesrat entschied am Mittwoch, die veraltete Tarifstruktur für ambulante ärztliche Leistungen namens Tarmed per Anfang Januar 2026 abzulösen. Er genehmigte die neue Einzelleistungstarifstruktur Tardoc sowie die ersten ambulanten Pauschalen.Seit Jahren hatten Versicherer, Spitäler und Ärzteschaft um einen neuen Ärztetarif als Ersatz für den veralteten Tarmed gerungen, mit dem Spitäler und Ärzte abrechnen. Die Ärzteverbindung FMH und der Krankenkassenverband Curafutura schlugen die Tarifstruktur Tardoc vor, der Verband Santésuisse war nicht mit an Bord.

Santésuisse und Ärztevereinigung begrüssen einheitlichen Verband

Santésuisse und die Ärztevereinigung FMH begrüssen die Gründung eines einzigen Krankenkassenverbandes. Für Santésuisse ist es wichtig, dass die Branche wieder mit einer Stimme spricht. Die Ärzteschaft zeigte sich überrascht.

Ihr Verband stehe voll hinter der Neugründung, erklärte Santésuisse-Direktorin Verena Nold am Donnerstagnachmittag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Zwei Verbände seien im Politikbereich nie zielführend gewesen. Es habe immer wieder Bestrebungen für eine Wiedervereinigung gegeben.

Ihr Verband werde damit nicht verschwinden oder in der neuen Körperschaft aufgehen. Einzig die Sparte Kommunikation und Politik werde man mit dem neuen Verband teilen. Alle anderen Tätigkeitsbereiche von Santésuisse blieben bestehen.

Nold nannte dabei die Ausbildung von KV-Lernenden bei Krankenkassen und Sozialversicherungen, Spezialkurse, die Tochtergesellschaft für die Kostenstatistik der Branche zuhanden des Bundesamts für Gesundheit, die Produktion von Versichertenkarten oder die Rechnungskontrolle für schwere Fälle.

Einen Zusammenhang zwischen Verbandsgründung und dem Bundesratsbeschluss vom Mittwoch für die neue Einzeltarifstruktur Tardoc und die ersten Patientenpauschalen sah Nold nicht. Bei den Tarifen waren sich die bisherigen Verbände Santésuisse und Curafutura uneins.

Nold erwartet auf dem Gebiet keine weiteren Differenzen, denn die Tarifstruktur liege nun in den Händen der neuen Organisation ambulante Arzttarife (OAAT). Diese Frage sei damit vom Tisch.

Curafutura nimmt Entscheid zur Kenntnis

Der Krankenkassenverband Curafutura teilte mit, er nehme die Gründung eines neuen Verbands per Anfang 2025 zur Kenntnis. Bis dahin werde Curafutura «die Aufgaben im Bereich der Gesundheitspolitik und der Tarife wahrnehmen».

Das zweite Halbjahr 2024 werde von wichtigen Schritten zur Verbesserung unseres Gesundheitssystems geprägt sein, so Curafutura weiter. Nach dem Entscheid des Bundesrates vom Mittwoch mit der Genehmigung des Tardoc müssten umfangreiche Koordinationsarbeiten geleistet werden, damit der Tarmed per 1. Januar 2026 abgelöst werden könne.

Die Ärztevereinigung FMH ortete im neuen Branchenverband eine Chance für konstruktive Lösungen bei den Tarifen, wie sie in einem Communiqué mitteilte. Ein unbelasteter Neustart könne einen Ausweg aus der Zerstrittenheit aufzeigen. Dem neuen Verband sicherte die Ärztevereinigung ihre Zusammenarbeit zu. (saw/sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
99 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
El_Chorche
20.06.2024 15:29registriert März 2021
"Damit solle die Interessensvertretung der Krankenversicherungsbranche gestärkt werden, ..."

Das klingt wie eine Drohung... und ist es hinsichtlich der unendlich steigenden KK-Prämien wohl auch.

Immerhin gut für unsere Politiker... mehr Pöstchen zu vergeben 👍
6912
Melden
Zum Kommentar
avatar
Miicha
20.06.2024 15:02registriert März 2014
Mich dünkt die Interessen der Versicherer sind schon genug vertreten. Die Versicherten hingehen könnten noch Unterstützung brauchen...
614
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sergeant Pepper
20.06.2024 15:09registriert November 2018
Ich habe die Nase gestrichen voll von Lobbyist*inen, Verbänden, Politiker*innen als Verwaltungsrät*innen, Beisitzer*innen, Abzocker*innen, etc. Ich warte sehnlichst auf eine Einheitskasse.
599
Melden
Zum Kommentar
99
    Parlamentarier torpedieren Mutterschutz – wissen sie, was sie tun?
    Die Gesundheitskommission des Nationalrats findet: Mehr Vaterschaftsurlaub soll zu Lasten der Mutter gehen. watson hat die Politiker deshalb getestet: Was wissen sie überhaupt über Schwangerschaft, Geburt und Stillen?

    Die Schweiz soll eine flexible Elternzeit einführen. Für diesen Vorschlag sprach sich Anfang Juni eine Mehrheit der Gesundheitskommission des Nationalrats aus. Was gut klingt, bedeutet in Wirklichkeit: Mehr «Papi-Ziit» würde zu Lasten der Mutter gehen.

    Zur Story