«Glory Days», «Dancing ln The Dark», «Born To Run» und «Born In The USA». Am Schluss brechen alle Dämme im ausverkauften Letzigrund Stadion. Dabei läuft schon die Nachspielzeit, nach 130 Minuten. Doch der 73-jährige amerikanische Marathon-Mann treibt die Menge weiter an. Unermüdlich dirigiert er 96'000 Hände und 48'000 Kehlen. Im Letzi singt vermutlich der grösste Chor, den Schweiz je gesehen und gehört hat. Rund drei Stunden dauert die Reise des Glücks, der Ausgelassenheit und der Freude in Zürich. Der Boss war hier, der Boss hat gesprochen.
Doch der Reihe nach. Bruce Springsteen war gern und häufig in der Schweiz. Zuletzt 2009, 2013, 2014 und 2016. Doch Corona hat auch ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Die Tour mit der E Street Band war als Support seines Albums «Letter To You» von 2020 gedacht, musste dann aber verschiedene Male verschoben werden. Jetzt hat es nach einer Pause von sieben Jahren endlich wieder geklappt.
Springsteen fackelt denn auch nicht lange als er und seine 18-köpfige Rock-Bigband nach 19 Uhr mit leichter Verspätung die Bühne betreten. «Hello Zurich», ruft er bloss und kommt gleich zur Sache. Man kennt sich ja. In einer Sekunde von null auf 100. Die Maschine läuft, das Publikum brennt.
Springsteen ist der Master of Ceremony, Dreh- und Angelpunkt der Show. Dabei macht er kaum Ansagen. Ohne grosse Worte ist er der grosse Kommunikator. Dafür verlässt er schon im dritten Song die Bühne und steigt in den Publikumsgraben zu den Leuten. Er feuert das Publikum an, fordert das Publikum zum Mitsingen auf. Einfachste Refrains, das kann jeder, können alle.
Er sucht die Nähe zu den Fans, sucht Blickkontakt und lässt sich feiern. Der Mann hat Charisma, aber Springsteen ist der Superstar zum Anfassen, zieht das Publikum in seinen Bann, indem er es integriert und zu einem Teil der Show werden lässt. Aufführende und Publikum verschmelzen zu einer verschworenen Gemeinschaft und erzeugen magische Momente. So geht Rock'n'Roll.
#Zurich @springsteen #The Rising… Can’t see nothing in front of me, can’t see nothing coming up behind…✨🔥🎉 pic.twitter.com/7gPCKdJlDt
— Paul Appleton (@PaulApp0505) June 13, 2023
Doch das ist nur die eine Seite. Springsteen ist wohl auch der grösste Chefdramaturg des Rock. Er spielt mit den akustischen Reizen seiner 18-köpfigen Rock-Big Band. Lässt mal Trompeter Barry Danielian den Vortritt, mal der Violinistin Soozie Tyrell. Er sucht das Wechselspiel mit Saxofonist Jake Clemons, den Wechselgesang mit dem Ur-Kumpel Steven Van Zandt, lässt die fünfköpfige Bläsersektion schmettern.
Und immer wieder Jake Clemens, der seit dem Tod seines Onkels Clarence das Tenor bläst und sich zu einem Double entwickelt hat. Gerne hätten wir etwas mehr von Nils Lofgren gehört, diesem unterschätzten Solisten und Musiker.
Springsteen variiert die Dynamik, lässt den Song zusammenfallen, die Band leise brummen, bevor sie wieder explodiert. One, two, three…und weiter gehts. Ohne Unterbruch, die Spannung bleibt. Er lässt Themen, Refrains und Riffs immer wieder wiederholen und entfacht einen unwiderstehlichen Sog, einen rauschhaften Zustand. Trotz der teilweise langen Stücke, des langen Konzerts gibt es kaum Längen. Es sind einfache musikalische Mittel und Tricks, mit denen der Boss ein Maximum herausholt. So geht Rock'n'Roll.
Springsteen ist kein Blender, kein Jahrhunderttalent. Seinen Erfolg hat er sich hart erarbeit. Einsatz, Leidenschaft und Herz sind Springsteens Tugenden. Es sind alte, traditionelle Werte, die gerade in der jetzigen Krise wieder aktuell geworden sind. Springsteen verkörpert sie und das macht ihn glaubwürdiger denn je.
Auf dem Bühnendach des Letzigrund Stadions flattern derweil einträchtig die amerikanische und die Schweizer Flagge nebeneinander. Das gute Amerika war hier.