Ein Griff in die Chips-Tüte führt zuerst durch jede Menge Luft. Die Gesichtscreme im Bad ist alle paar Wochen leer – obwohl sie doch riesig wäre. Und die Teepackung nimmt mehr Platz ein, als sie heisse Getränke verspricht. «Mogelpackung!», ist wohl schon der einen oder dem anderen entfahren, der ein solches Produkt in den Händen hielt.
Tatsächlich greifen Händler manchmal zu Tricks, um den Anschein zu erwecken, ein Produkt habe mehr Inhalt, als es eigentlich hat. «Dazu gehören grosse Deckel, hohe, aber schlanke Flaschen, unnötiges oder luftiges Verpackungsmaterial», wie André Bähler von der Stiftung für Konsumentenschutz auf Anfrage schreibt.
Eine Studie aus dem Jahr 2021 im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) hat ergeben, dass in Deutschland jedes Jahr 1,4 Millionen Mülltonnen eingespart werden könnten, wenn Hersteller auf überdimensionierte Luft-Verpackungen verzichten würden. Die Schweiz verfügt über keine entsprechenden Studien, doch das Bundesamt für Umwelt schreibt auf Anfrage: «Es kann davon ausgegangen werden, dass die Verhältnisse denjenigen in Deutschland entsprechen.»
Ein Rundgang im Supermarkt zeigt: Solche Packungen lauern überall. «Wer denkt, dass Luft kostenlos ist, hat noch nie eine Tüte Chips gekauft», schreibt auch eine Frau auf Twitter. Doch handelt es sich wirklich bei jedem grösseren Leerraum und jedem doppelten Boden um eine Mogelpackung?
In Chipstüten ist immer viel Luft. Auch der Schweizer Chips-Hersteller Zweifel verkauft gepolsterte Packungen. Die Luft diene als Schutzpolster, um Bruch zu vermeiden, schreibt Zweifel-Sprecherin Anita Binder auf Anfrage.
Für den Leerraum sind auch die Kartoffeln verantwortlich. Binder schreibt: «Als Naturprodukt sind Kartoffeln und folglich die Chips nicht immer gleich gross und aufgrund von unterschiedlichem Stärkegehalt unterschiedlich schwer und brauchen für dasselbe Gewicht manchmal mehr Platz.»
Um Abfall zu sparen sind Chips-Verpackungen aber kein gutes Beispiel: Andreas Zopfi, Geschäftsführer vom Schweizerischen Verpackungsinstitut (SVI) sagt denn auch: «Ich finde die Chips-Verpackung genial.» Das, weil die Kunststoff-Verpackung bloss zehn Gramm wiege. «Trotz des Luftpolsters muss nur sehr wenig Material verwendet werden.»
Dass die Verpackung über viel Luft verfügt, ist manchmal auch technischer Natur, wie eine Anfrage bei Coop zeigt. Die Verpackung der gedörrten Ananasringe der Marke Naturaplan ist knapp bis zur Hälfte gefüllt. Dies, weil die unförmigen Ananasringe mit einem grossen Rohr abgefüllt werden müssen, damit es nicht verstopft. Also ist auch die Verpackung grösser.
Dass im Zusammenhang mit Leerraum oft von «Mogelpackungen» gesprochen wird, stört den Verpackungsexperten. Denn Verpackungen erfüllen verschiedene Funktionen. Eine der wichtigsten ist Schutz. Der Konsument nehme die Verpackung erst wahr, wenn sie ausgedient hat, sagt Zopfi. Dass sie aber dabei half, das Produkt während Wochen geniessbar zu halten, werde vergessen.
Dass Verpackung immer auch dem Marketing dient, ist aber nicht von der Hand zu weisen. «Gerade Produkte, die eine grössere Verpackung haben, werden oft eher gekauft, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis besser scheint», sagt Zopfi.
In der Europäischen Union könnten solche Täuschungen bald Geschichte sein. Die EU hat am 30. November 2022 eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften über Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgeschlagen. Dazu gehören strenge Massnahmen zur Verminderung von unnötigen Verpackungen und Verpackungsbestandteilen, wie das Bundesamt für Umwelt schreibt. Die Schweiz überprüfe, welche EU-Massnahmen auch hier angewendet werden können.
Aktuell gibt es in der Schweiz keine rechtlichen Vorschriften bezüglich maximalen Leerraums in Verpackungen oder doppelten Wänden. Müsste die Verpackungsindustrie eine Vorreiterrolle einnehmen? «Die Entscheide zu den Verpackungen liegen bei den Produktherstellern und nicht bei den Verpackungsherstellern», sagt Zopfi.
Diese handeln aber oft erst auf Druck der Konsumenten: Zum Beispiel bei der Vegi-Bratwurst von Nestlé. Zwei Stück werden jeweils in einer Plastikverpackung mitsamt Karton-Schild verkauft. Platz hätten mindestens drei. Darauf hingewiesen, schreibt Nestlé, dass es bei der Verpackung oft Standardgrössen gebe, die «nicht bei jedem Produkt perfekt passen». In diesem Fall habe man auch von der Kundschaft die Rückmeldung erhalten, die Verpackung sei zu gross. «Es ist uns gelungen, die Verpackung für dieses Produkt um 38 Prozent zu reduzieren.» Die angepasste Verpackung wird im Verlauf des Jahres in den Schweizer Läden zu finden sein.
Auch Johnson und Johnson gelobt Besserung: Ihre Hydro Boost Nachtcreme von Neutrogena verfügt über eine doppelte Wand und einen hohen Deckel. Der Inhalt ist viel geringer, als die Dose wirkt. Im Verlauf des Jahres wird für die ganze Hydro Boost Linie ein Relaunch umgesetzt – mit optimierter Verpackung. «Um den Plastikverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren, werden wir auf 100 Prozent recycelbare Glastiegel und Kartons umstellen», schreibt die Johnson and Johnson Sprecherin.
Die «the Ritual of Namaste Day Creme» von Rituals verfügt über gleich viel Inhalt wie die Neutrogena Creme – ist aber doppelt so hoch. Auf die verpackungstechnischen Entscheide ging das Unternehmen nicht innert gegebener Frist ein. Es macht jedoch darauf aufmerksam, dass es für das Produkt eine Nachfülloption gibt. Zudem verfolgt Rituals das Ziel, dass alle Produkte bis 2025 entweder nachfüllbar oder recycelbar sind.
Aufgefallen ist auch der Brennnesselblättertee vom Pharmaunternehmen Sidroga. Eine Packung enthält zwanzig Teebeutel - platz hätten mindestens fünf mehr. Das Unternehmen macht darauf aufmerksam, dass es sich um Arzneitees handelt, deren Herstellung, Qualität und Lagerung gesetzlichen Regularien sowie Qualitätsstandards unterliegen. Die strengen Vorschriften und die damit einhergehenden Produktionslinien führen dazu, dass sowohl der Umkarton als auch die Teebeutel standardisiert seien. Zudem habe die Füllmenge und die Dosierung, die je nach Tee unterschiedlich ist, einen Einfluss auf den Leerraum in der Packung.
Ein bisschen Eigenverantwortung darf man von Den Konsument*innen doch wohl erwarten.
Was den Müll angeht sind übergrosse Verpackungen natürlich schlecht.