Die Schweiz ist in vielerlei Hinsicht vielfältig: Im Ausland brüstet sich unser Land mit seinem Föderalismus und seinen vier Landessprachen. Die Eidgenossenschaft zählt 26 Kantone und hat eine lange Migrationsgeschichte. Dennoch stellt sich die Frage, ob diese Vielfalt von den Einwohnern im Alltag gelebt wird. Sind wir wirklich so vielfältig wie unser Land selbst? Eine umfassende Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) im Auftrag des Migros-Kulturprozents, die am Montagmorgen veröffentlicht wurde, versucht, diese Frage zu beantworten.
Die Antwort ist nuanciert. Die Menschen in der Schweiz haben zwar «eine relativ positive Einstellung» zum Begriff der Vielfalt – 82 Prozent der Befragten finden sogar, dass sie das Wesen der Schweiz ausmache, und fast zwei Drittel sind der Meinung, dass die meisten Menschen trotz ihrer Unterschiede viel gemeinsam haben. In der Praxis sieht es jedoch anders aus.
Die Studie zeigt, dass sich diese positive Einschätzung der Vielfalt «nicht in den verschiedenen Bekanntenkreisen widerspiegelt». Diese sind nämlich weitgehend «nicht durchmischt und vielfältig». «Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Schweizer und den tatsächlichen Kontakten», sagt Jakub Samochowiec, einer der Autoren der Studie.
Diese fehlende Durchmischung findet sich auf verschiedenen Ebenen. So haben fast zwei Drittel der Personen mit höherer Bildung nur wenig oder gar keinen Kontakt zu Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau. Mehr als drei Viertel der Befragten, die in bescheidenen Verhältnissen leben, geben an, nicht mit wohlhabenden Menschen zusammenzukommen. Die Hälfte der jungen Leute (unter 25 Jahren) pflegt keine Beziehungen zu Menschen über 65 und umgekehrt.
Was die Vielfalt der politischen Überzeugungen innerhalb des Bekanntenkreises angeht, so stellen die Autoren fest, dass diese «minimal» ist. «Es stimmt, dass die Studie zeigt, dass etwa die Hälfte der Menschen, die links oder rechts stehen, nicht mit anderen Menschen zusammenkommen wollen», sagt Samochowiec. Er präzisiert allerdings: «Ich würde jedoch nicht von einer Polarisierung sprechen, sondern eher von einem emotionalen Phänomen.»
Samochowiec war von diesen Ergebnissen nicht überrascht. «Im Grossen und Ganzen habe ich damit gerechnet», sagt er. Mit einer Ausnahme: die Diskrepanz zwischen den Sprachregionen. «Es hat mich überrascht, dass 40 Prozent der Deutschschweizer keine Bekannten aus der Romandie oder dem Tessin haben», sagt er.
Diese Ergebnisse werfen die Frage auf, ob es eine persönliche Entscheidung ist, mit Menschen zu verkehren, die einem ähnlich sind, oder ob es unvermeidlich ist. «Tatsächlich ist es oft weder das eine noch das andere», glaubt Samochowiec. «Aufgrund verschiedener soziokultureller Faktoren kommt es fast automatisch vor, dass wir Menschen treffen, die uns ähnlich sind.»
Es ist also nicht einfach, sich weiter zu durchmischen. «Um aus dieser Blase herauszukommen, müssen wir proaktive Massnahmen ergreifen. Aber das tun wir oft nicht, weil wir uns in unserer Blase wohlfühlen», ergänzt der Autor der Studie.
Auch wenn die Art unserer Beziehungen also grundsätzlich abgeschottet erscheint, können sich die Dinge immer ändern, zeigt die Studie. In der Tat zeigten die Befragten ein «weitverbreitetes Interesse» an «mehr Vielfalt» in ihren sozialen Kreisen.
Doch auch hier scheitert der Wunsch an der Realität. In der Praxis «fehlt es an Möglichkeiten, sich zu treffen», so die Autoren der Studie. Mehr noch als ein Mangel an Gemeinsamkeiten, der von weniger als einem Viertel der Befragten genannt wurde, ist es der Mangel an Begegnungsmöglichkeiten, der die soziale Mischung einschränkt.
Zum Schluss betont Samochowiec, dass «die Stimmung umso positiver ist, je mehr Kontakt es gibt.» Er fügt hinzu: «Mit einer Ausnahme, nämlich jener der Sprachregionen», und führt das Beispiel der Deutschschweiz an:
Damit hätte die Tradition der Vielfalt in der Schweiz immerhin einen kleinen Einfluss auf unsere Lebensweise.
Oder anders gesagt: Wir sind offen und tolerant. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns aktiv mit "anderen" durchmischen wollen.