Schweiz
Rassismus

Ist die Schweiz blind für staatlichen Rassismus?

Stefanie Boulila, Universität Göttingen
Dr. Stefanie Boulila lehrt und forscht an der Universität Göttingen. Derzeit arbeitet sie an einem Buch mit dem Titel «Race in Post-Racial Europe».Bild: ZVG

Ist die Schweiz blind für Behörden-Rassismus? Das behauptet zumindest diese Forscherin

Ausgerechnet die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus soll Rassismus in der Schweiz salonfähig machen. Diese These stellt eine Wissenschaftlerin in der internationalen Fachpresse auf. Die Kommission wehrt sich.
19.08.2018, 13:2220.08.2018, 06:22
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Der Vorwurf

Während das Land gerade hitzig darüber diskutiert, ob Basler Guggen «Mohrekopf» oder «Negro» heissen dürfen, bekommt die Schweiz für ihren Umgang mit Rassismus auch in der Fachpresse ihr Fett weg.

Nicht nur Volksinitiativen aus der rechten Ecke hätten Rassismus in der Schweiz salonfähig gemacht, schreibt Stefanie Boulila, Postdoktorandin an der deutschen Universität Göttingen, in einer Studie, die unlängst in der Fachzeitschrift «Ethnic and Racial Studies» erschienen ist. Mitschuld sei auch «ein staatlich unterstütztes Klima, in welchem jeder Versuch, Rassismus zu benennen, als exzessiv oder hysterisch befunden wird».

Boulila stellt in der Studie insbesondere der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) ein schlechtes Zeugnis aus. Und fordert die Schweiz auf, ihre Anti-Rassismus-Politik dringend überdenken.

Die Argumentation

Die gebürtige Bernerin argumentiert dabei wie folgt:

  • Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus stelle Rassendiskriminierung als ein Problem von einzelnen Menschen dar, quasi als krankhafte Abweichung von der Norm. Für die strukturellen und institutionellen Ursachen von Rassismus sei die Kommission hingegen weitgehend blind.
  • Dies, obwohl unzählige Beispiele existierten, in denen Rassismus von den Behörden ausgehe. So etwa das Badi-Verbot für Asylsuchende in Bremgarten AG, das 2013 international für Schlagzeilen sorgte. Oder die Kontroverse um die Anti-Minarett-Plakate der SVP 2009: Damals verzichtete die EKR darauf, sich explizit für ein Verbot der Plakate auszusprechen.
  • Weil die EKR dem Eidgenössischen Departement für Inneres unterstehe, mangle es ihr an Unabhängigkeit, so Boulila weiter. Aufgrund ihrer Nähe zum Bund könne die Kommission Rassismus von Seiten der Behörden schlecht ankreiden. Generell verfüge sie über zu wenig Ressourcen und Kapazitäten.
  • Die Schweiz kehrt laut Boulila ihre Rolle in der Geschichte des Kolonialismus unter den Teppich. Darum sei sie auch nicht gewillt, sich mit den Folgen zu beschäftigen sowie mit dem Umstand, dass Menschen aufgrund der Idee von «Rasse» immer noch Diskriminierung erfahren. «Rasse», so Boulila, habe sich historisch nicht nur auf körperliche, sondern auch auf kulturelle Zuschreibungen bezogen – und diese gelte es zu entkräften.
  • Indem man das Konzept der «Rassen» als überwunden erkläre, erschwere man den Kampf gegen Rassismus erst recht. Denn so liessen sich die Missstände schlechter benennen und eine Mobilisierung der Betroffenen sei schwieriger.

Gegenüber watson führt Boulila aus, es gelte genauer hinzusehen, wie sich Rassismus in unseren Institutionen und in unserer Gesellschaft äusserten – «vom Bildungssystem über die politischen Strukturen und die Polizei bis hinein in Krankenhausbetriebe und die Medien und Konsumkultur». Sie plädiert dafür, Menschen die Untersuchungen leiten zu lassen, die selber von Rassismus betroffen sind.

Das sagt die EKR

Bei der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus kommt der Rundumschlag schlecht an. «Die EKR befasst sich mit allen Themen, die sie für sinnvoll hält, auch mit Fragen im Zusammenhang mit Behörden und Institutionen», betont Geschäftsführerin Giulia Brogini.

Die Forscherin habe die Arbeit der EKR der letzten Jahre nicht berücksichtigt, ärgert sich Brogini. Und verweist darauf, dass die Kommission 2016 beispielsweise eine ganze Ausgabe ihrer Zeitschrift «Tangram» der Rassismus-Problematik im Schulbereich gewidmet habe.

Giulia Brogini, Leiterin Sekretariat der Eidgenoessischen Kommission gegen Rassismus, EKR, spricht anlesslich der Lancierung der Kampagne "Bunte Schweiz", am Donnerstag, 25. Juni 2015, in Be ...
EKR-Geschäftsführerin Giulia Brogini lässt die Kritik nicht auf sich sitzen.Bild: KEYSTONE

Als weiteres Beispiel führt die Geschäftsführerin eine Studie zum Thema «Anti-Schwarze-Rassismus» an, die das Zentrum für Sozialrecht der ZHAW letztes Jahr im Auftrag der EKR erstellt hat. In ihren Ausführungen dazu hält die Kommission fest, schwarze Menschen seien in der Schweiz mit struktureller Diskriminierung, Alltagsrassismus und Stigmatisierung konfrontiert. «Gleichzeitig werden ihnen wegen ihrer Hautfarbe Eigenschaften wie Irrationalität, Emotionalität, Faulheit, Triebhaftigkeit, Gewalttätigkeit oder kriminelles Verhalten zugeschrieben.»

Diese Formen rassistischer Diskriminierung liessen sich teils auf koloniale Bilder und strukturelle Ungleichheiten zurückführen, hält die EKR weiter fest. «Selber zwar ohne eigene Kolonien, hat die Schweiz ohne Zweifel ökonomisch und politisch vom Kolonialismus in Afrika und vom transatlantischen Sklavenhandel profitiert». Die Aufarbeitung dieser Verflechtungen und deren Folgen sei heute noch lückenhaft.

In dieser Stellungnahme seien alle Dimensionen des Rassismus – institutionell, politisch und strukturell – berücksichtigt, so Brogini. 

Kritik am Laufmeter – und ein neues Problem

Es ist nicht das erste Mal, dass die offizielle Schweiz für ihre Anti-Diskriminierungs-Politik einen Rüffel kassiert. So zeigten sich UNO-Gremien wiederholt besorgt über strukturellen und institutionellen Rassismus in der Schweiz. Anlass zu Kritik gaben letztes Jahr etwa die «extrem rechte Positionierung gewisser Medien und Parteien» sowie «politische Kampagnen mit rassistischen und ausländerfeindlichen Inhalten».

Viele UNO-Mitgliedstaaten forderten die Schweiz zudem dazu auf, ein wirksameres Anti-Diskriminierungs-Gesetz einzuführen. Einen Gesetzesartikel, der Rassendiskriminierung unter Strafe stellt, gibt es in der Schweiz erst seit 1995. Seither wurden über 500 Schuldsprüche ausgesprochen – 38 davon gegen Politiker, 22 gegen Medienschaffende.

Grundsätzlich stelle die EKR fest, dass die Sensibilität und das öffentliche Bewusstsein für Rassismus in den letzten Jahren zugenommen habe, sagt Geschäftsführerin Brogini. Neue Herausforderungen ortet sie insbesondere im Zusammenhang mit Rassismus in den sozialen Medien. Auch dort wolle sich die Kommission künftig verstärkt engagieren, verspricht die Geschäftsführerin.

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Video: lia haubner
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216 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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BigE
19.08.2018 13:45registriert März 2016
Es gibt leider keinen „vernunftgeprägten“ Umgang mit dem Thema. Entweder man ist ein rechtsradikaler Rassisten-Nazi oder ein linksgrünversiffter Gutmensch. Dazwischen kann keine Position eingenommen werden. Egal, wie differenziert man versucht, ein Thema anzugehen, man wird sofort in eine der beiden Schubladen gesteckt. Entsprechend schwer ist es, sich mit Andersdenkenden auszutauschen, ohne zu streiten. Wenn dasThema etwas sachlicher angegengen würde (auch in den Kommentaren hier), wäre viel gewonnen.
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Magenta
19.08.2018 15:17registriert März 2018
Mit Rassismus, Diskriminierung, Sexismus und sexueller Belästigung ist es dasselbe: Unsere Gesellschaft ist hypersensibilisiert. Weil jedes noch so kleinste Ereignis medial aufgebauscht wird, sind wir abgestumpft. Die genannten Themen nerven nur noch, was eine Art Abwehrreaktion hervorruft.

Das ist fatal, weil man so auch die «echten», wirklich bedeutenden Fälle gar nicht mehr erst diskutieren mag. Eine Debatte wird abgelehnt, weil wir dieser Themen müde sind.

Mehr Gelassenheit und Abstand würde helfen, die Dinge wieder in Relation zu setzen. Und dort zu reagieren, wo es wirklich nötig ist.
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stadtzuercher
19.08.2018 15:16registriert Dezember 2014
Was ich eher beunruhigend finde, dass aus Kreisen, aus der diese Forscherin&Feministin kommt (Uni Göttingen, CIJ Berlin u.ä.) immer öfter propagiert wird, dass es Rassismus gegen Weisse und Sexismus gegen Männer nicht gibt, nicht geben kann - übrigens eine Position die in der Schweiz linke Politikerinnen auch vertreten (siehe bspw. «Deshalb kann ich als Frau*...» vom 13.4.2017 im Tagi).

Dieselbe weissen- und männerfeindliche Definition von Rassismus und Sexismus teilt übrigens die Feministin Sibil Schick, die die Polemik um den Hashtag MännersindMüll angestossen hat.
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