Es scheint, als müssten die Menschen im Lötschental es mit eigenen Augen sehen, um zu begreifen, was passiert ist. Am Dorfende von Wiler versammeln sich Menschen an einer Strassensperre, schauen in das Tal, wo sich jetzt Gesteinsmassen türmen. Darunter liegt Blatten.
Wie gehen Menschen aus Blatten mit diesem Verlust um? Und wie geht es jetzt weiter? watson hat vor Ort mit zwei Personen gesprochen, die beim Gletscherabbruch alles verloren haben.
Die Stimmung in Wiler, das nur einen Fussmarsch von Blatten entfernt ist, ist gedrückt. Menschen gehen in Grüppchen durchs Dorf, umarmen sich, es fliessen Tränen. Viele können noch nicht über das sprechen, was gestern in ihrem Tal geschehen ist. «Unmöglich», sagt ein Mann im Nachbardorf von Blatten. Darauf angesprochen, ob er aus Blatten komme, sagt sein Begleiter: «Jetzt sind wir alle Blattner.» Denn der Gletscherabbruch betrifft auch sie: «Das ganze Tal ist betroffen.»
An der Strassensperre steht Daniel Ritler. Bis gestern war er Landwirt in Blatten, jetzt koordiniert er die Evakuierung von Schafen aus dem Gebiet. Was passiert mit ihnen? «Die Bauern geben sie weg, viele müssen ihre Betriebe aufgeben.» Für einige Tiere hätten sich bereits Käufer gefunden.
Auch Ritler hat am Mittwoch sein Zuhause und seinen Hof verloren. Wie es für ihn weitergeht, ist unklar.
Was hilft, sei die grosse Unterstützung, die die Menschen aus Blatten erfahren. Von Freundinnen und Freunden, Nachbardörfern, vom Kanton und vom Bundesrat.
Vor Ort ist auch ein Hoteleigentümer aus Blatten, der anonym bleiben möchte. Sein Hotel wurde gestern komplett zerstört: «Wir haben einen Totalverlust.» Auch sein Elternhaus hat der Blattner verloren.
Die letzten Tage habe sich die Lage immer weiter zugespitzt: von einzelnen Evakuierungen bis schliesslich zur Evakuierung des ganzen Dorfes. Lange hätten er und andere noch gedacht, dass sie wieder zurückkehren könnten.
Dennoch: Dieses Ausmass an Zerstörung habe niemand erwartet und jedes Szenario übertroffen, sagt der Unternehmer.
Die Folgen würde das gesamte Tal zu spüren bekommen, auch wirtschaftlich, ist der Hotelbesitzer überzeugt. Von insgesamt sieben Hotels im Tal seien drei bei dem Gletscherabbruch zerstört worden, eines sei durch den Abbruch unerreichbar geworden.
Wie sehen die nächsten Tage für ihn aus? Zuerst einmal muss der Hotelbesitzer koordinieren: Er müsse mit seiner Familie besprechen, wie es jetzt für sie weitergeht. Und danach müsse er alle seine Mitarbeitenden anrufen. Er werde versuchen, für alle eine Anschlusslösung zu finden.
Ob der Betrieb in der Zwischenzeit Kurzarbeit erhält, ist offen. Denn diese gibt es nur, wenn die Mitarbeitenden danach nicht entlassen werden. Aber ohne Hotel seien Entlassungen wohl unumgänglich.
Eine Frage, die den Blattner umtreibt, ist schliesslich auch, wie die Dorfgemeinschaft weiterbestehen kann, auch ohne ihr Dorf. Dafür brauche es eine Katastrophenbewältigung im sozialen Bereich.