Gletscher fliessen. Ständig. Hoch oben werden sie von frischem Schnee gespeist, und das Gefälle zieht sie abwärts. Bis dahin, wo die Temperaturen so hoch sind, dass die Gletscherzunge schneller abschmilzt, als Eis nachfliesst. Doch wenn ein Gletscher statt weniger Zentimeter pro Tag plötzlich mehrere Meter weit fliesst, stimmt etwas nicht. Die auf der Gegenseite des Berges im Lötschental installierten Messsysteme hatten die zunehmende Bewegung in den letzten Wochen registriert.
Doch schon vor einem Jahr fiel Schweizer Glaziologinnen und Glaziologen auf, dass der Birchgletscher als einziger Gletscher in der Schweiz nicht schrumpfte, sondern vorrückte. Die Gletscherzunge wuchs sogar in der Höhe, um bis zu zwanzig Meter nahm die Dicke zu. «Das ist sehr, sehr aussergewöhnlich. Die Natur spürte das. Das kennen wir sonst nur von Gletschern im Himalaja oder im Karakorum-Gebirge», sagt Matthias Huss, Glaziologe an der ETH Zürich. Denn die Gletscher auf der ganzen Welt sind durch die Klimaerwärmung fast alle am Schmelzen.
Huss geht davon aus, dass der Birchgletscher als Ganzes trotzdem an Masse verloren hat – aber zuunterst wuchs, weil durch Steinschläge in den letzten Jahren viel Druck aufgebaut worden war.
Damit wurde noch einmal ungeheuer viel Energie frei: Rund 9 Millionen Tonnen Geröll, Wasser und Eis fielen 1000 Höhenmeter ins Tal herunter. «Das ist ein unglaublicher energetischer Prozess», sagt Huss. Dadurch wandelte sich viel Eis noch während des Stürzens in Wasser um, was den Bergsturz zusätzlich beschleunigte.
Dennoch geht Huss davon aus, dass im Schuttkegel im Tal immer noch Eis gebunden ist und die Masse noch relativ locker ist.
Nicht nur Bundesrat Albert Rösti sprach gestern von einem Jahrtausend-Ereignis: Auch Glaziologe Huss sagt, «das ist extrem selten». Jahrhundertelang blieb Blatten im Lötschental von den Gletschern unbehelligt. Haben also die steigenden Temperaturen die Katastrophe ausgelöst? Huss sagt: «Obwohl der Zusammenhang mit dem Klimawandel noch genauer untersucht werden muss, gibt es ihn bestimmt.» Eine solche Katastrophe entstehe aber immer durch eine Verkettung unglücklicher Ursachen.
Die Hauptursache war der Bergsturz am Nesthorn, der den Druck auf den Gletscher erhöhte, der ohnehin auf einem Wasserkissen lag. Und als letzte Tragödie dieser Verkettungen bildete die Lonza gestern den Stausee, der auch die zuerst verschonten Häuser des Dorfes zum Verschwinden brachte.
Matthias Huss kennt nur ein vergleichbares Ereignis auf der Welt: 2002 stürzte im Kaukasus in der Karmadon-Schlucht eine Lawine mit Geröll auf einen Gletscher ab, der in der Folge ins Tal donnerte und rund 140 Personen das Leben kostete. Russische, Schweizer und kanadische Forscher untersuchten das Ereignis und schrieben in einer Studie 2005: «Mehrere Aspekte des Ereignisses sind aussergewöhnlich: das grosse Eisvolumen, die extreme Anfangsbeschleunigung, die hohe Fliessgeschwindigkeit, wie weit der Bergsturz kam und vor allem die Erosion eines Gletschers.» Das sei ein bisher nicht bekannter Vorgang.
Im Lötschental scheint er sich wiederholt zu haben. Hier sah man die Katastrophe zwar kommen. Die Bevölkerung konnte evakuiert werden. Aber mehr war nicht menschenmöglich. (bzbasel.ch)
Es ist schon sehr auffällig wie oft es in der Schweiz zu teuren Murgängen, Hangabrissen usw gekommen ist.
Wie wärs mit der Zusammenstellung der Gesamtkosten der offensichtlichsten Folgen des Klimawandels und was uns noch erwartet? Welche Regionen werden alle instabil?
Hat jemand ausgerechnet was und das allein finanziell kostet versus Co2 Steuer und Umstellung auf Alternative Energien?
Die Kletterer sagen, es wird immer gefährlicher in den Alpen und bleiben öfter zu Hause.