«Grösserer Fels- und Gletscherabbruch im Lötschental» vermeldet der «Walliser Bote». In den Tagen zuvor seien in der Region Kleines Nesthorn/Birchgletscher Bodenbewegungen festgestellt worden. Anwohner berichten, dass ein grösserer Brocken abgebrochen sei, der nahezu bis in den Talgrund vorgedrungen sei. Wegen der bevorstehenden Schneeschmelze sind weitere Gletscher- und Felsabbrüche nicht auszuschliessen. Die Gemeinde Blatten sperrt erste Wanderwege.
Am Abend werden erste Anwohnerinnen und Anwohner von Blatten, der Gemeinde unterhalb des Kleines Nesthorns, evakuiert. Insgesamt müssen 92 Einwohnerinnen und Einwohner sowie 16 Gäste ihre Häuser verlassen.
Der regionale Führungsstab Lötschental teilt mit, dass nach wie vor eine konkrete Bergsturzgefahr bestehe. Der Berghang ist instabil, es werden kontinuierlich Bewegungen und Gesteinsabgänge registriert. Seit Freitag bewegte sich die Ostflanke des 3341 Meter hohen Kleinen Nesthorns horizontal um 2,9 Meter und sank um 1,6 Meter ab.
Jetzt muss es schnell gehen: Die Behörden ordnen die fast vollständige Evakuierung von Blatten an – das betrifft etwa 300 Menschen. Sie haben 30 Minuten Zeit, um ihr Hab und Gut zu packen. Am Mittag zwischen 12 und 12.45 Uhr kommt ein grosser Schub Fels herunter. Akut absturzgefährdet sei eine Felsmasse zwischen einer bis drei Millionen Kubikmetern. Alban Brigger von der Dienststelle für Naturgefahren: «Wir sprechen nicht von einem Felssturz, sondern von einem Bergsturz.» Am Abend bricht ein Teil des Gipfels in Stücken ab. Dabei lösen sich 150'000 bis 200'000 Kubikmeter Gestein.
Die Nacht auf den Dienstag bleibt ruhig. Bisher sei der «Best Case» eingetreten, sagen die Behörden: Die Abbrüche seien nicht in einem einzigen Rutsch passiert, sondern in Teilen. So sei es weniger gefährlich. Von Entwarnung kann aber keine Rede sein: Laut den Radarmessungen ist nun auch der Gletscher instabil, er verschiebt sich nach vorne. Sollte ein Teil der Nordflanke des Kleinen Nesthorns direkt darauf fallen, könnte es zu einer plötzlichen Verschärfung der Situation kommen.
In der Nacht kam es am Kleinen Nesthorn zu weiteren kleinen Felsabbrüchen. Gemäss den Experten scheint sich die Bewegung im oberen Bereich des Kleinen Nesthorns verlangsamt zu haben. Anders am Birchgletscher: Wärmebildkameras zeigen, dass die Bewegung zunimmt.
Es kommt zu weiteren Felsabbrüchen. Dadurch hat sich ein massiver Schuttkegel auf dem Birchgletscher gebildet. Die Bewegung dessen Front hat sich nochmals beschleunigt: War die Front am Dienstag noch mit einem Tempo von 0,1 Meter pro Tag unterwegs, sind es nun bereits 1,5 Meter und schneller. Am Abend bricht erneut ein grösserer Teil der instabilen Felsmasse ab.
Es seien inzwischen zwei Drittel des Materials abgerutscht, heisst es von den Experten. Mehrere Rekognoszierungsflüge haben gezeigt, dass sich die Gletscherfront weiter beschleunigt: «Aufgrund des Geschwindigkeitstrends ist ein Kollaps und Absturz des Gletschers weiterhin wahrscheinlich.»
Die geologische Lage spitzt sich zu. Am Kleinen Nesthorn zeigen sich verstärkte Felsbewegungen, auch eine Eislawine vom Birchgletscher hat sich gelöst und ist bis auf 2100 Meter vorgedrungen. Die Gletscherfront bewegt sich immer schneller, jetzt schon mit 4,5 Meter pro Tag.
Eine Woche nach der ersten Evakuierung ziehen die Behörden Zwischenbilanz: «Der Berg erodiert weiter», sagt Gemeindepräsident Matthias Bellwald. Bisher sei der Verlauf günstig, das Nesthorn sei kleiner geworden (an der Ostflanke um 101 Meter), der Gletscher aber schwerer und unberechenbarer. Insgesamt lastet auf dem Gletscher ein Gewicht von 9 Millionen Tonnen.
Am Berg werden «weiterhin starke Bewegungen» registriert. Ausserdem gibt es mehrere Eisabbrüche an der Gletscherfront, die Eislawinen im Birchbach ausgelöst haben. Die Gletscherfront bewegt sich nun mit 10 Metern pro Tag.
Gegen 18 Uhr kommt es zu einem grösseren Gletscherabbruch. Zahlreiche Bäume werden von der Geröllmasse umgeknickt und mitgerissen. Die Masse erreichte das Dorf nicht.
Am Morgen ruft der Walliser Staatsrat die «besondere Lage» aus. Ein Teil des Birchgletschers sei «stark einsturzgefährdet». Gletscherabbrüche, Felsstürze und Eislawinen zeugen davon, dass viel in Bewegung ist. Gegen 15.30 Uhr geschieht dann das Unfassbare: Es kommt zu einem massiven Gletscherabbruch, der grosse Teile des Dorfes Blatten unter sich begräbt. Der Schweizerische Erdbebendienst registriert ein Beben mit der Stärke von 3,1 auf der Richterskala. Der riesige Schuttkegel staut auch den Fluss Lonza auf, in der Folge kommt es am oberen Flusslauf zu Überschwemmungen. Deshalb werden Teile von Wiler und Kippel evakuiert.
Am Kleinen Nesthorn bestehen weiterhin erhebliche Instabilitäten – betroffen sind mehrere hunderttausend Kubikmeter Fels, wie der Kanton Wallis mitteilt. Auf beiden Seiten des Lötschentals besteht die Gefahr von Murgängen. Auch das im Talboden gelegene Absturzmaterial aus Felsen, Eis und Wasser ist instabil. Das macht derzeit jegliche Intervention im Katastrophengebiet unmöglich. (bzbasel.ch)