SRG stellt Walliser Weinhändler als schwulenfeindlich dar und kassiert dafür einen Rüffel
Der Moderator kündigte eine Reportage über die «dunklen Seiten» des Schweizer Weinmarkts an. 52 Minuten lang dauerte der Beitrag, der am 22. Januar 2015 im Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) ausgestrahlt wurde. Der Hauptfokus in der Sendung «Temps présent» lag auf der «Affäre Dominique Giroud» und dem mutmasslich illegalen Vermischen von Weinen. Der Walliser Weinhändler war zu diesem Zeitpunkt bereits als Steuerbetrüger verurteilt worden. Ein Strafverfahren wegen Weinpanscherei hatte die Waadtländer Staatsanwaltschaft jedoch wenige Monate zuvor eingestellt.
Die Affäre Giroud warf damals medial hohe Wellen. Der Winzer wehrte sich gegen den RTS-Beitrag. Er warf dem Sender der SRG vor, er habe ihn ins Zwielicht rücken wollen und wesentliche Informationen unterschlagen.
Giroud drang mit seiner Kritik durch. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) kam zum Schluss, die Reportage habe nicht nur auf Missstände im Weinhandel gezielt, sondern auch ein moralisches Urteil über Giroud gefällt. Der Beitrag sei tendenziös gewesen und habe sich einzig auf negative Aspekte von Giroud fokussiert. Deswegen habe sich das Publikum keine eigene Meinung bilden können. Das Bundesgericht bestätigte später das Verdikt: Der Beitrag war nicht sachgerecht.
Ein wichtiger Kritikpunkt bezog sich auf die Darstellung von Girouds religiösen Überzeugungen. Der Weinhändler bewegte sich im Umfeld der erzkonservativen Piusbrüder. RTS erinnerte daran, dass er Ende der 1990er Jahre als Abtreibungsgegner in Erscheinung trat – etwa mit einer Plakatkampagne gegen drei Walliser Politikerinnen. Später habe er im Stil eines Moralpredigers einen Kreuzzug gegen die Organisationen einer Gaypride in Sitten geführt. Garniert wurden die Aussagen mit Filmausschnitten, in denen man Giroud beim Empfang der heiligen Kommunion sieht. Der Ton war gesetzt: Ausgerechnet ein strenggläubiger Mann täuscht den Fiskus und verstösst gegen heilige Gebote der Weinbauern.
Fernsehen nahm Reportage vom Netz
Was haben konservative Einstellungen mit Weinhandel zu tun? Nichts, fand das Bundesgericht. RTS habe sich als moralische Instanz aufgeführt. Die UBI habe deshalb zu Recht eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots festgestellt. Die UBI eröffnete ein Massnahmeverfahren. RTS ergriff darauf interne Massnahmen, die sicherstellen sollen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen. Die UBI zeigte sich zufrieden mit den ergriffenen Massnahmen. Sie hätte auch damit leben können, wenn die Reportage verfügbar geblieben wäre – mit einem Verweis auf die juristischen Einschätzungen dazu. RTS nahm die Reportage aber vom Netz.
Das Fernsehen der französischen Schweiz gab sich nach dem Verdikt des Bundesgerichts aber nicht geschlagen. Seine Muttergesellschaft, die SRG, monierte eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit. Die religiösen Überzeugungen zu erwähnen, gehöre zur redaktionellen Freiheit. Die SRG wehrte sich auch gegen den Vorwurf, Girouds Position sei nicht ausreichend zur Geltung gekommen.
Die SRG verklagte die Schweiz deshalb beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Richter in Strassburg haben die Beschwerde nun abgewiesen und für unzulässig erklärt, wie aus einem am Donnerstag publizierten Entscheid hervorgeht. Sie sahen keine Anhaltspunkte, dass sich die in der Schweiz gefällten Entscheide negativ auf die journalistische Freiheit auswirken würden. Der Gerichtshof stellte etwa fest, dass kein Sendeverbot für die beanstandete Reportage bestand. RTS nimmt den Entscheid zur Kenntnis, wie ein Sprecher sagt. «Wir werden ihn im Detail analysieren, um daraus die nötigen Schlüsse für unsere journalistische Praxis zu ziehen.»
Girouds Anwälte reagierten mit Genugtuung auf das Verdikt aus Strassburg: «Der Europäische Gerichtshof sendet ein deutliches Signal: Investigativer Journalismus rechtfertigt weder Parteilichkeit noch das Verdrehen von Fakten.» Sein Sieg gegen «Temps présent» sei nun definitiv, freute sich derweil Giroud. RTS habe keine Einsicht gezeigt und geglaubt, sich in Strassburg reinwaschen zu können.
Das letzte Wort in der Causa Giroud ist damit freilich nicht gesprochen. Der Verband der Walliser Weinbranche hat ihn 2015 angezeigt, unter anderem wegen des Panschens von Wein und unlauteren Wettbewerbs. Das Verfahren wird von einem ausserordentlichen Staatsanwalt geführt und läuft noch. Die Zeit drängt, weil einige der mutmasslichen Delikte bald verjähren könnten. Für Giroud gilt die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)
