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SRG stellt Weinhändler als schwulenfeindlich dar und erntet Rüffel

SRG stellt Walliser Weinhändler als schwulenfeindlich dar und kassiert dafür einen Rüffel

Ausgerechnet ein streng religiöser Geschäftsmann sündigt mit gepanschtem Wein: So präsentierte das Westschweizer Fernsehen Dominique Giroud den Zuschauern. Durfte es das? Jetzt hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Fall geäussert.
07.11.2025, 07:5807.11.2025, 07:58
Kari Kälin / ch media

Der Moderator kündigte eine Reportage über die «dunklen Seiten» des Schweizer Weinmarkts an. 52 Minuten lang dauerte der Beitrag, der am 22. Januar 2015 im Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) ausgestrahlt wurde. Der Hauptfokus in der Sendung «Temps présent» lag auf der «Affäre Dominique Giroud» und dem mutmasslich illegalen Vermischen von Weinen. Der Walliser Weinhändler war zu diesem Zeitpunkt bereits als Steuerbetrüger verurteilt worden. Ein Strafverfahren wegen Weinpanscherei hatte die Waadtländer Staatsanwaltschaft jedoch wenige Monate zuvor eingestellt.

ZUR MELDUNG, DASS DER WALLISER WEINHAENDLER DOMINIQUE GIROUD VON DER SRG 30 MILLIONEN FRANKEN FORDERT, STELLEN WIR IHNEN AM MONTAG, 8. DEZEMBER 2014, FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Dominique Gi ...
Als zwielichtige Person dargestellt: Der Walliser Weinhändler Dominique Giroud.Bild: KEYSTONE

Die Affäre Giroud warf damals medial hohe Wellen. Der Winzer wehrte sich gegen den RTS-Beitrag. Er warf dem Sender der SRG vor, er habe ihn ins Zwielicht rücken wollen und wesentliche Informationen unterschlagen.

Giroud drang mit seiner Kritik durch. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) kam zum Schluss, die Reportage habe nicht nur auf Missstände im Weinhandel gezielt, sondern auch ein moralisches Urteil über Giroud gefällt. Der Beitrag sei tendenziös gewesen und habe sich einzig auf negative Aspekte von Giroud fokussiert. Deswegen habe sich das Publikum keine eigene Meinung bilden können. Das Bundesgericht bestätigte später das Verdikt: Der Beitrag war nicht sachgerecht.

Ein wichtiger Kritikpunkt bezog sich auf die Darstellung von Girouds religiösen Überzeugungen. Der Weinhändler bewegte sich im Umfeld der erzkonservativen Piusbrüder. RTS erinnerte daran, dass er Ende der 1990er Jahre als Abtreibungsgegner in Erscheinung trat – etwa mit einer Plakatkampagne gegen drei Walliser Politikerinnen. Später habe er im Stil eines Moralpredigers einen Kreuzzug gegen die Organisationen einer Gaypride in Sitten geführt. Garniert wurden die Aussagen mit Filmausschnitten, in denen man Giroud beim Empfang der heiligen Kommunion sieht. Der Ton war gesetzt: Ausgerechnet ein strenggläubiger Mann täuscht den Fiskus und verstösst gegen heilige Gebote der Weinbauern.

Fernsehen nahm Reportage vom Netz

Was haben konservative Einstellungen mit Weinhandel zu tun? Nichts, fand das Bundesgericht. RTS habe sich als moralische Instanz aufgeführt. Die UBI habe deshalb zu Recht eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots festgestellt. Die UBI eröffnete ein Massnahmeverfahren. RTS ergriff darauf interne Massnahmen, die sicherstellen sollen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen. Die UBI zeigte sich zufrieden mit den ergriffenen Massnahmen. Sie hätte auch damit leben können, wenn die Reportage verfügbar geblieben wäre – mit einem Verweis auf die juristischen Einschätzungen dazu. RTS nahm die Reportage aber vom Netz.

Des ouvriers installent le logo de la RTS (SRG-SSR) sur le nouveau batiment le mardi 4 novembre 2025 sur le site de l'EPFL a Lausanne-Ecublens. La RTS a diffuse mardi matin ses premieres emission ...
Das RTS-Studio in Lausanne.Bild: keystone

Das Fernsehen der französischen Schweiz gab sich nach dem Verdikt des Bundesgerichts aber nicht geschlagen. Seine Muttergesellschaft, die SRG, monierte eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit. Die religiösen Überzeugungen zu erwähnen, gehöre zur redaktionellen Freiheit. Die SRG wehrte sich auch gegen den Vorwurf, Girouds Position sei nicht ausreichend zur Geltung gekommen.

Die SRG verklagte die Schweiz deshalb beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Richter in Strassburg haben die Beschwerde nun abgewiesen und für unzulässig erklärt, wie aus einem am Donnerstag publizierten Entscheid hervorgeht. Sie sahen keine Anhaltspunkte, dass sich die in der Schweiz gefällten Entscheide negativ auf die journalistische Freiheit auswirken würden. Der Gerichtshof stellte etwa fest, dass kein Sendeverbot für die beanstandete Reportage bestand. RTS nimmt den Entscheid zur Kenntnis, wie ein Sprecher sagt. «Wir werden ihn im Detail analysieren, um daraus die nötigen Schlüsse für unsere journalistische Praxis zu ziehen.»

Girouds Anwälte reagierten mit Genugtuung auf das Verdikt aus Strassburg: «Der Europäische Gerichtshof sendet ein deutliches Signal: Investigativer Journalismus rechtfertigt weder Parteilichkeit noch das Verdrehen von Fakten.» Sein Sieg gegen «Temps présent» sei nun definitiv, freute sich derweil Giroud. RTS habe keine Einsicht gezeigt und geglaubt, sich in Strassburg reinwaschen zu können.

Das letzte Wort in der Causa Giroud ist damit freilich nicht gesprochen. Der Verband der Walliser Weinbranche hat ihn 2015 angezeigt, unter anderem wegen des Panschens von Wein und unlauteren Wettbewerbs. Das Verfahren wird von einem ausserordentlichen Staatsanwalt geführt und läuft noch. Die Zeit drängt, weil einige der mutmasslichen Delikte bald verjähren könnten. Für Giroud gilt die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nett sein ist keine Schwäche
07.11.2025 08:47registriert August 2024
Hätte ein privater Sender diesen Beitrag ausgestrahlt, hätte Giroud nicht klagen können, denn nur die SRG muss vom Sendeauftrag her immer ausgewogen berichten.
Darum ist es wichtig, dass die Halbierungsinitiative abgelehnt wird, denn private Sender dürfen Empörungsberichte bringen. Die SRG muss immer maximal sachlich und ausgewogen berichten, was für eine Meinungsbildung in einer direkten Demokratie unbedingt gewährleistet sein muss.
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Doppellottotreffer
07.11.2025 09:01registriert September 2021
Das Bundesgericht irrt sich, wenn es glaubt
religiös-konservative Einstellungen hätten nichts mit Weinhandel bzw. Weinpanscherei zu tun, denn wer bitte hatte vor rund 2000 Jahre Wein aus Wasser gemacht? Eben.
Sowohl das Bundesgericht als auch RTS haben diesen angeblichen Sachverhalt im Gegensatz zum strenggläubigen Walliser Weinhändler Dominique Giroud schlichtweg ignoriert! 😉
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