Zum Beispiel «10 vor 10»: Das Publikum des Hintergrundmagazins ist in einem einzigen Jahr um 13 Prozent geschrumpft. Die Sendung erreicht noch knapp über 300'000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Während vieler Jahre verfolgten rund eine halbe Million Menschen das Programm. Das ist vorbei.
Das Schweizer Fernsehen hatte allgemein kein besonders gutes Jahr: Der Marktanteil seiner drei Sender sank 2023 von 33,4 auf 30,4 Prozent. Es fällt auf, dass alle Informationsprogramme vom schwindenden Publikumsinteresse betroffen sind.
Das Recherchemagazin «Rundschau» verlor 10 Prozent des Publikums und wird noch von knapp mehr als einer Viertelmillion Personen gesehen. Die Sendung funktionierte lange nach dem Prinzip: In einem Beitrag wird eine Person oder eine Organisation hinterfragt, dann nimmt der Moderator einen Exponenten im Fernsehstudio in die Mangel. Nun ist die «Rundschau» weniger konfrontativ, und das Interesse nimmt ab.
In eine veritable Krise gerutscht ist der «Kassensturz». Das Konsumentenmagazin war ein Aushängeschild des Schweizer Fernsehens und erreichte sehr hohe Quoten. Heute wird die Sendung noch von 315'000 Personen gesehen. Der «Kassensturz» hat den Abgang des langjährigen Moderators Ueli Schmezer schlecht verkraftet. Er trat 2021 ab; seine Nachfolgerin ist bereits weg.
Das abnehmende Interesse ist für das Schweizer Fernsehen besonders spürbar, weil die beiden Jahre der Pandemie bessere Zahlen brachten: In der Zeit des «Bleiben Sie zu Hause!» wurden die Informationsprogramme von Menschen gesehen, die das normalerweise nicht tun. Die «Tagesschau» kam 2020 auf 811'000 Zuschauerinnen und Zuschauer; jetzt sind es noch 579'000 - was ungefähr der Höhe von vor Corona entspricht.
Die anderen Sendungen fallen hingegen weiter zurück. «Schweiz aktuell», die «Rundschau», «10 vor 10», der «Kassensturz» und auch das Diskussionsformat «Arena» liegen klar hinter den Zuschauerzahlen von 2019. Beim Konsumentenmagazin beträgt das Minus verglichen mit jenem Jahr 30 Prozent, bei «10 vor 10» sind es 20 Prozent.
Das ist viel. Wo liegt der Grund? Das Schweizer Fernsehen hat seine Organisation umgestellt: Die Journalisten arbeiten nicht mehr in Sendungs-, sondern in Fachredaktionen. Einige Mitarbeiter finden, dass die Reform keine positiven Resultate bringe. «Früher gehörte man zum Team von ‹10 vor 10› und strengte sich an, eine möglichst spannende Sendung zu machen», meint eine Journalistin. Heute arbeite man in einer Inlandredaktion, deren Beiträge auf die einzelnen Sendegefässe verteilt würden.
Das Hauptproblem des Schweizer Fernsehens ist freilich ein anderes: Das Durchschnittsalter des Publikums beträgt 63 Jahre. Viele jüngere Menschen nutzen die Angebote von SRF nicht mehr. Sie konsumieren die Sendungen auch nicht zeitversetzt. Bei der Erfassung der Zuschauerzahlen ist die zeitversetzte Nutzung bis zum siebten Tag nach der Erstausstrahlung eines Programms berücksichtigt.
Die Daten der Videos auf Abruf und der TV-Livestreams sind für SRF ernüchternd: Die Zugriffe sind im vergangenen Jahr gesunken, von insgesamt 33,6 Millionen auf 26,7 Millionen. Das entspricht einem Rückgang um 20 Prozent.
Das Schweizer Fernsehen versucht, ein jüngeres Publikum in den sogenannten sozialen Medien zu erreichen. Bei den Online-Aktivitäten kommt es aber zu Konflikten mit privaten Anbietern, deren Angebote nicht von Hunderten Millionen Franken an Gebührengeldern gestützt sind.
In der Misere gibt es einen unerwarteten Lichtblick: Der oft gescholtene «Club» erreichte 2023 neun Prozent mehr Zuschauer als im Vorjahr. Es dürfte sich ausbezahlt haben, dass sich die Diskussionssendung bei der Wahl ihrer Themen stärker an aktuellen Entwicklungen orientiert als früher.
Was sagt das Schweizer Fernsehen zur negativen Entwicklung? Wäre es nicht an der Zeit, neue Informationsformate zu lancieren?
Die SRF-Medienstelle schreibt, das Interesse an den Informationssendungen sei nach wie vor gross. Aber: Die Anzahl Personen in der Deutschschweiz, die generell TV schauten, nehme seit 2013 - mit Ausnahme der Pandemiejahre - kontinuierlich ab. Das gehe auf den Medienwandel zurück. «Von diesen Entwicklungen sind alle Medienhäuser betroffen.» Der Marktanteil der «Tagesschau»-Hauptausgabe sei aber anhaltend hoch. Das «Storytelling» und die Aufmachung der Sendung seien dabei völlig anders als vor fünf Jahren.
SRF betont: Es sei wichtig, dass sich das Schweizer Fernsehen an das Medienkonsumverhalten in der Deutschschweiz anpasse - und seine Inhalte auch über digitale Kanäle verbreite und gleichzeitig ein möglichst grosses Publikum auch über die linearen Kanäle erreiche. «So ist die News App heute unser wichtigster Newskanal.» (aargauerzeitung.ch)
Die Entwicklung sehe ich vielmehr dahingehend und zugeschnitten auf den oder die individuelle Zuschauer:in.